76 architektur FACHMAGAZIN Frauen in der Architektur
Neue Wohntypologie für den Wettbewerb Wohnanlage
Kafkastraße/Handelskai, Wien 2017, PPAG architects Anna Popelka und Georg Poduschka, PPAG architects
Architektin Anna Popelka
Alles, was ich mir wünsche, ist Normalität!
In der Architektur dominieren nach wie vor
Männer, das wird niemand bestreiten. Das
Studium beginnen beide Geschlechter noch
zu gleichen Teilen, danach ist es anders. Warum
das so ist, ist weniger klar. Geschlechtsspezifische
Zuschreibungen über bestimmte
Fähigkeiten – Männer können besser räumlich
denken, die Farbkarte ist eher Frauensache,
Männer planen gerne Türme, Frauen
weiche Formen etc. – entspringen einer historisch
bedingten, stereotypen Sozialisierung.
Sie stimmen so wenig wie, dass alle
Farbigen rhythmisch begabt sind.
Allein durch die quantitative Minderheit
erfahren Architektinnen im Beruf eine unfreiwillige
„Sonderbehandlung“. Sie werden
verstärkt wahrgenommen, ignoriert oder
überbewertet, jedenfalls kritischer beurteilt
als jeder Mann. Es wird mit zweierlei
Maß gemessen. Männer, die auf Prinzipien
beharren, beweisen Rückgrat, Frauen sind
schwierig. Der schweigende Mann am Verhandlungstisch
ist interessant, die schweigende
Frau hat wohl nichts zu sagen.
Hinzu kommt: Durch jahrhundertelange
Präsenz der Männer in der Gesellschaft
sind Männer in der Kommunikation untereinander
trainiert. Sie können mit Gegnerschaft
umgehen, aber sie fördern einander
auch. Frauen haben sich unterdessen in
Konkurrenz zueinander geübt. Diese alten
Muster in wenigen Generationen aufzubre-
chen, ist und war viel Arbeit, die ausschließlich
einige wenige Feministinnen geleistet
haben, wofür ich unendlich dankbar bin.
Vor ein paar Jahren noch hätte ich die Ungleichbehandlung
im Beruf standhaft geleugnet,
Gegenmittel, wie Seilschaften der
Architektinnen, kamen mir wie das peinliche
Pendant zur Männerbündlerei vor, eine
Kumulierung der Schwachen, eine Reaktion
auf einen unausgesprochenen Kriegszustand,
das Durchsetzen von Quoten – eine
doppelte Schmach.
In letzter Zeit scheint sich das Rad weiter
zurückzudrehen. Das hat sicher auch mit
der sich zuspitzenden geopolitischen Lage
innerhalb eines unbarmherzigen durchkapitalisierten
Marktes zu tun, die den Klassenkampf
wieder stärker befeuert. Hier geht es
in erster Linie um Macht. Qualifizierte Frauen
werden als Konkurrenz am Arbeitsmarkt
wahrgenommen. Wenn sie jung und hübsch
sind, bekommen sie noch eine Rolle innerhalb
der gängigen Narrative zugeteilt, sind
willkommene Abwechslung im männergeprägten
Umfeld, ab einem gewissen Alter
greift Misogynie.
Offene Diskriminierung gibt es nicht mehr,
das passiert heute alles auf einer perfiden,
subtilen Ebene. Männer werden selbstverständlich
in die Kommunikation eingebunden,
Frauen werden viel leichter exkludiert.
Schon über Ausschluss aus dem
Mailverteiler kann man wirkungsvoll in die
Schranken weisen.
Das klingt jetzt alles schlimmer, als es ist.
Natürlich lebe und arbeite ich in einem Umfeld,
das geprägt ist von gegenseitiger Anerkennung
und Respekt. Das nicht nur nicht
permanent wertet, permanent vergleicht,
wo das schlicht alles keine Rolle spielt. Wo
alles ganz normal ist. Im engeren Kreis der
Familie, im Büro, mit guten Geschäftspartnern
und Auftraggebern ist Ungleichbehandlung
meistens kein Thema, wird kaum
persönlich erlebt. Aber ein Schritt hinaus, in
Gremien, die mit den immer gleichen mansplainenden
Silberrücken besetzt sind, die
nichts mehr zu lernen haben, zeigt sich die
gesellschaftliche Gegenwart.
In der Architektur wird aus Nichts Etwas,
Architektur beschreibt eine Art Transformation
von geistiger Energie in Materialität,
ein komplexer Prozess, selbst bei der einfachsten
Hütte. Das ist hoch spannend und
schwer genug. Wir befinden uns mitten in einer
komplexen Dynamik der Ereignisse, der
Phänomene wie rasantes Wachstum, zunehmende
Dichte, Digitalisierung, Automatisierung,
Klima- und Mobilitätswandel. Diese
müssen zugunsten einer positiven Zukunft
für uns alle geplant und verhandelt werden.
Dafür wünsche ich mir ein produktives Klima
der Normalität für alle ArchitektInnen.
© Pfluegl