74 architektur FACHMAGAZIN Frauen in der Architektur
Selbst in Architektenkreisen ist Schönheit
ein oft verpönter Begriff, der durch Funktionalität
und Energieeffizienz ersetzt wird.
Auch als Frau muss ich Kant widersprechen,
denn Schönheit hat aus meiner Sicht nichts
mit Geschmack zu tun, dieser ist individuell,
Schönheit ist absolut. Oder gibt es jemand,
der eine Villa von Andrea Palladio nicht als
schön bezeichnet? Ich spreche hier über
Schönheit im ästhetischen Sinn, ich spreche
von Proportionen, Harmonie, Sinn und
Nachhaltigkeit, Begriffe, die durchaus hochkomplex
sein können und auf Ordnungsprinzipien
aufbauen; auch vom Respekt vor alter
Bausubstanz, ohne das Neue aber weniger
zu bewundern. Schönheit kann überall sein,
in der Kunst, in der Natur, im Alltag, im Kleinen
und im Großen, im Alten und im Neuen.
Das Erkennen von Schönheit setzt das
aufmerksame Betrachten der Umgebung
voraus, die Kunst des Sehens (siehe Arnheim).
Das ist leider bei vielen Menschen
verloren gegangen. Männer sehen Schönes
anders als Frauen, sie haben andere Kriterien
dafür. Dabei ist der Wunsch nach einer
ansprechenden Umgebung durchaus bei
beiden vorhanden. Warum fangen wir nicht
in unserem unmittelbaren Lebensumfeld
an, eine ansprechende und beglückende
Umgebung zu schaffen, anstatt im Urlaub
irgendwo hin zu fliehen? Eine optimierte
Stadtgestaltung kann auch die Wochenendflucht
aus der Stadt aufhalten und reduziert
somit Verkehr und Fläche. Von Autos
verparkte Flächen brauchen wir, um unsere
Städte lebenswert zu gestalten, denn Städte
sind für Menschen konzipiert, nicht für
Autos. Es sind die zufälligen Begegnungen
im öffentlichen Raum, die das städtische
Leben interessant machen. Und zwar an
den Orten, an denen die öffentliche und
private Sphäre aneinanderstößt und die
traditionell einer konkreten, vorbestimmten
Nutzung entzogen ist. Mit entsprechender
Begrünung kann dieser Bereich auch der
Erholung und Stadthygiene dienen und in
den südeuropäischen Städten funktionieren
die Fußgängerzonen ausgezeichnet!
Verlassen wir die Stadt und begeben uns
aufs Land: Bedingt durch die politische Zuständigkeit
der örtlichen Raumordnung auf
Gemeindeebene ist ein heilloses Durcheinander
entstanden. Verstärkt wird die Situation
durch die Kommunalsteuer, welche die
Haupteinnahmequelle der Gemeinden ist.
Anstatt unsere Landschaft an definierten
Knotenpunkten dicht und ästhetisch zu bebauen,
baut jeder irgendwo irgendwas. Das
Ergebnis ist eine großteils zersiedelte Landschaft
mit hohen Kosten für die Herstellung
und Erhaltung der Infrastruktur. Zersiedelung
ist auch Umweltverschmutzung,
das haben die Entscheidungsträger (noch)
nicht bemerkt. Die Bebauung zu steuern
wird sinnvolle, starke Gestaltungsrichtlinien
und strenge Baugesetze erfordern. Das ist
in einer immer bevölkerungsreicheren Welt
nicht zu vermeiden. Übrigens gab es auch
in Siena, der kleinen, viel bewunderten Stadt
in der Toskana, bereits im Mittelalter sehr
strenge Baugesetze.
Halten wir Maßstab, Maß und Sparsamkeit
(Bodenverbrauch) ein und erkennen wir
den Wert der Schönheit und die Einhaltung
von Regeln, wird das auch sehr positive
volkswirtschaftliche Auswirkungen haben.
Und uns vor allem glücklicher und zufriedener
machen!
Architektin DI Claire Braun
Die Oberösterreicherin sucht in ihrem Leben als Architektin
nach Schönheit und den Grundlagen für Ordnung und Struktur.
© Martin Steinkellner
© Lara Braun