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Eine Renaissance
des Brutalismus
In den letzten Jahrzehnten galten sie als verpönt – doch nun feiern die massiven Nachkriegsbauten
aus Beton in der Architekturszene scheinbar ein Comeback. Durch ihre
Fotogenität erleben die zum Teil sehr eindrucksvollen Bauten vor allem auf sozialen
Netzwerken eine regelrechte Wiedergeburt. Aber nicht überall stößt dieser neue Trend
auf Anklang. Kritiker befürchten, dass die steigende Beliebtheit brutalistischer Architektur
einen negativen Einfluss auf den Baustil der Zukunft haben könnte.
Obwohl die klotzig anmutenden Bauten etwas
anderes vermuten lassen, entsprang
der Name für die Strömung etwa nicht dem
Wort „Brutalität“, sondern der französischen
Bezeichnung für rohen Beton, dem so
genannten „beton brut“. Charakteristisch
für den Baustil sind nämlich unbearbeitete
Betonfassaden mit klaren geometrischen
Formen, die den Gebäuden ihr raues und
sogar kompromissloses Erscheinungsbild
verleihen. Mit der bisweilen als brutal bezeichneten
Ästhetik sollte „eine geistige
Befreiung erlebt und zum Sehen gebracht“
werden. Berühmte Beispiele jenes Baustils
sind unter anderem „Die Kirche zur Heiligsten
Dreifaltigkeit“ in Wien-Mauer von Fritz
Wotruba, die Versöhnungskirche in Dachau
von Helmut Striffler sowie der Belgrader
Genex-Turm aus der Hand des Architekten
Mihajlo Mitrović. Unter dem Einfluss dieser
Stilrichtung entstanden aber nicht nur
einzelne Bauwerke, sondern auch ganze
Bildungskomplexe und Wohnsiedlungen.
Zu erwähnen ist hier insbesondere die
Siedlung Thalmatt, die im Nordwesten der
Schweizer Hauptstadt Bern liegt.
Hat der Beton seinen Reiz verloren?
Bereits seit einigen Jahrzehnten sind die
sogenannte Nachkriegsmoderne und der
daraus entsprungene Brutalismus ein
Schwerpunkt der baugeschichtlichen Forschung.
Während heute immer öfter die
positiven Seiten des Baustils beleuchtet
werden, genießen viele der Betonbauten
noch immer einen schlechten Ruf. Nicht
selten wird der Brutalismus der 1960er- und
1970er-Jahre von Architekturkritikern als
Dystopie bezeichnet. Immerhin sehen sowohl
einige Experten als auch Laien in den
daraus entstandenen Bauten nur brutale
Betonmonster; einen Störfaktor im Ortsbild.
Text: Dolores Stuttner
© Blazej Pindor