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Farblos, baufällig und menschenfeindlich –
mit diesen Adjektiven werden also etliche
Gebäude aus der Epoche des Brutalismus
beschrieben. Hinzu kommt, dass der auf den
ersten Blick farblose Stil auch heute noch
mit Plattenbausiedlungen und verschlafenen
Satellitenstädten am Rande von Metropolen
in Verbindung gebracht wird. Unter
diesem Gesichtspunkt wundert es wenig,
dass vielen Bauwerken der Nachkriegszeit
auch heute noch der Abriss droht.
Brutalismus als Gesellschaftskritik
Einen integrativen Faktor spielte der Brutalismus
in den 1960er- und 1970er-Jahren.
Durch die damals wachsende internationale
Tendenz in Richtung einer Urbanität durch
Dichte und der gleichzeitigen Abkehr von
der funktionellen Stadt, hatten die massiven
Bauten einen hohen Stellenwert. Da im
Rahmen dieses Stils langfristige Tendenzen
der heutigen Architektur erstmals erprobt
wurden, spielt der Brutalismus auch heute
eine wichtige historische Rolle.
Interessant ist, dass der nüchterne Stil der
modernen Architektur eigentlich als Reaktion
auf eine gesellschaftskritische Strömung
entstand, die sich dem Dienst des
Allgemeinwohls verpflichtet fühlte. Die auf
den ersten Blick scheinbar nüchterne Idee
entspringt einer Generation, die im rohen
Beton eine Ästhetik der „Wahrhaftigkeit“
sieht und sich in dem Baustil auch ethisch
wiederfindet. Die Ethik selbst bezieht sich
dabei auf die Rolle des gebauten Raumes
im Leben der Stadtbewohner – ein pompöser
Baustil sollte der Funktionalität und
dem Minimalismus weichen. Eine offenere
Form des Bauens sollte zudem einen
Gegenzug zur hierarchischen Architektur
des Faschismus darstellen. Verbreitung
fand diese Strömung innerhalb Europas
ab den 1950er-Jahren, wobei sie bis in die
1980er-Jahre präsent blieb – so finden sich
heute auf der ganzen Welt die massiven
Bauwerke mit ihren charakteristischen Fassaden
aus Beton.
Einen Namen machten sich in puncto Brutalismus
und dem verwandten Strukturalismus
vor allem Architekten aus dem ehemaligen
Zusammenschluss Team10 – zu erwähnen
sind hier unter anderem Peter und Alison
Smithson, die mit Bauten zwischen 1953
und 1981 neue Raumstrukturen entwickeln
wollten. Eine geschichts- und schnörkellose
Bauweise, die sich von der Bourgeoisie distanzierte
und gleichzeitig eine Repräsentation
des ideologiefreien Wohlfahrtsstaats
darstellte, sollte das Ziel sein. So wurden
während der Nachkriegszeit zahlreiche öffentliche
Gebäude und auch einige Stadtteile
in jenem Stil errichtet.
Ernsthaft in Kritik gerieten die Betonkonstrukte
erstmals in den 1990er-Jahren.
Während dem Brutalismus zwar ein gut gemeinter
Grundgedanke zugrunde lag, widersprachen
viele der Bauwerke aber menschlichen
und ästhetischen Bedürfnissen. Als
problematisch erwiesen sich die Gebäude
mit ihren charakteristischen Betonfassaden
vor allem dort, wo sie in hoher Zahl und
verdichteter Bauweise zum Einsatz kamen.
Hinzu kam, dass die Bauten des Brutalismus
durch die verstärkte Schmutzanfälligkeit
von Beton ungepflegt und verfallen wirkten.
Der Zahn der Zeit nagte also vergleichsweise
stark an den Gebäuden, was den Konstruktionen
recht bald ihren heutigen Ruf als
Bausünde einbrachte.
Ästhetik der Funktionalität
„Es gibt nichts, was diesen Baustil höflich
oder niedlich macht. Er ist, was er ist.“ Dieses
Zitat der Architektin Zaha Hadid beschreibt
das Kernelement des Brutalismus.
Die Architekturkritikerin verteidigte die Gebäude
unter dem Gesichtspunkt, dass diese
in erster Linie durch ihre Funktionalität im
Alltag und nicht durch die ansehnliche Gestaltung
ihrer Fassade überzeugen sollten.
Umso ironischer ist es, dass viele Bauwerke
der Nachkriegsmoderne gerade wegen ihrer
Ästhetik wieder vermehrt in den Fokus
der Bevölkerung rücken. Grund hierfür ist
deren Fotogenität. Diesem Trend entsprang
letzten Endes die Aktion #SOSBrutalismus,
eine Rettungskampagne, welche viele der
derzeit noch existierenden Betongebäude
der Nachkriegszeit vor dem Abriss bewahren
will. Ein Vorhaben, das durch eine
Neubewertung des Baustils Früchte tragen
könnte. Jedoch müssten viele Bauten
hierfür renoviert, an die Bedürfnisse des
heutigen Urbanismus angepasst und gegebenenfalls
einer neuen Nutzung zugeführt
werden – ein Unterfangen, das sowohl
Städten als auch ihren Bewohnern Zeit und
Geduld abverlangen würde.
Natürlich darf auch Kritik an den Bauwerken
nicht zur Gänze ignoriert werden. Die
aktuell steigende Beliebtheit der vermeintlichen
Betonklötze wäre dann problematisch,
wenn diese stadtpolitische Folgen
nach sich ziehen würde. Beim Brutalismus
mangelt es oft an Grünraum und einer dem
Menschen zugewandten Bauweise. Vereinzelt
können die Bauwerke dem Ortsbild
durchaus Charakter und Individualität verleihen
sowie ein Fundament für Stadterneuerungsprojekte
darstellen – als Baustil für
die Massen ist die nüchterne Architektur
mit dem Rohbeton nicht geeignet.
Dem Thema Brutalismus und einer architektonischen
Neubewertung der Bauten
widmet sich seit 09. November 2017 die
Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums
„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster“.
Im Zuge der Exhibition können
Besucher einen neuen Eindruck von den
berühmtesten Bauwerken der Nachkriegsmoderne,
die in Betongüssen und großen
Modellen nachgebaut wurden, gewinnen.
Die Ausstellung ist noch bis 02. April 2018
in Frankfurt zu besuchen. Das Architekturzentrum
Wien widmet dem Brutalismus ab
02. Mai 2018 eine Ausstellung.
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