41 www.architektur-online.com architekturszene
Architekt Schweighofer, eine hohe Vielfalt
an Nutzungsangeboten zur Verfügung zu
stellen. Das Ziel einer dreidimensionalen
Erlebbarkeit im Stadtraum war damit erreicht
– die Architektur ging in der „Stadt
des Kindes“ weit über den funktionalen Aspekt
hinaus.
Eine würdige Umnutzung?
Nach weniger als 30 Jahren schlug jedoch
die letzte Stunde für das Projekt. Mitte der
1990er-Jahre richtete die Stadt Wien ihr
Konzept zur Jungendbetreuung neu aus.
Dieses sollte mit den zeitgemäßen Entwicklungen
im Einklang stehen, wodurch eine
Dezentralisierung der Betreuungseinrichtungen
initiiert wurde. Die Idee der Stadt
des Kindes war damit nicht mehr zeitgemäß,
sodass die letzten Jugendlichen die
Einrichtung 2002 verließen.
Heute zeugen nur noch einige der erhaltenen
Bauwerke von der sozialen Vergangenheit
des Areals. Mehrere Jahre standen die
Bauten verlassen am Stadtrand leer und
verwahrlosten zusehends. 2008 leitete die
Stadt Wien schließlich den Abriss der betagten
Konstrukte aus den 1970er-Jahren
ein, um Platz für Neues zu schaffen. Ziel
war es, das Areal zu einer Wohnanlage
umzugestalten. Seitens von Bürgerinitiativen
und Studentengruppen führte dieses
Vorhaben zu Protesten und der Besetzung
des Grundstücks. Ziel war dabei, nicht nur
den Abriss der Gebäude zu verhindern,
sondern diese gleich unter Denkmalschutz
zu stellen. Außerdem lautete der Wunsch
der Bevölkerung, das Areal samt seiner
Infrastruktur einer gemeinschaftlichen
oder sozialen Nutzung zuzuführen. Dieser
Forderung schloss sich auch Planer Anton
Schweighofer selbst an. Erfolgreich
waren die Bürger in ihrer Auflehnung aber
nur bedingt. Auch das positive Urteil einer
UNESCO-Expertenkommission, welche die
Bauten „Als Juwel moderner Architektur“
bezeichnete, änderte nur wenig am Vorhaben
der Stadt Wien. Die „Stadt des Kindes“
wurde zwischen 2011 und 2013 ihrer neuen
Nutzung als Wohnanlage zugeführt. Immerhin
bemühte sich das durch eine Jury
ausgewählte Architektenteam von Walter
Stelzhammer darum, einen Großteil der
noch intakten Gebäude von Schweighofer
zu erhalten.
Das Scheitern einer Utopie?
Seine hochgesteckten Ziele erreichte das
als Ausnahmeerscheinung gehandelte Modell
nur für einen begrenzten Zeitraum.
Heute schmücken gepflegte Wohnhäuser
das ehemalige Areal der „Stadt des Kindes“.
Anton Schweighofer kritisiert die Entwicklung
und den heutigen Zustand des ehemals
sozialen Siedlungsgefüges. Dieses
habe seine prägnante Raumkultur verloren
und sei damit der neuen „Banalität des Bauens“
zum Opfer gefallen. Die Rettung einiger
Bauten wie des Hallenbades sei zwar
gelungen, allerdings schaffte es das Architektenteam
von ARGE Stelzhammer/Weber
nur bedingt, die Ästhetik der Gebäude aus
den 1970er-Jahren weiterzuführen – dafür
war nach den Abrissarbeiten zu wenig von
den Originalen vorhanden.
Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die
Frage: Was kann die Architektur von der
Utopie der „Stadt des Kindes“ mitnehmen?
Ein Musterbeispiel stellt das Projekt in Bezug
auf die Verbindung zwischen Architektur
und Sozialem dar. Die Gestaltung der
Anlage diente nicht nur der rein funktionalen
Bedarfsdeckung, sondern sollte den jungen
Bewohnern vor allem Wohlbefinden und
Akzeptanz vermitteln. Ebensolche Projekte
sind in der Architektur leider auch heute
noch eine Seltenheit. Für den damaligen
Erfolg des Siedlungskonzepts ist nicht zuletzt
dessen Lage verantwortlich. Trotz des
hohen Anteils an Grünraum und der Nähe
zur Natur war das Grundstück durch eine
U-Bahn- und eine S-Bahn-Linie erschlossen.
© Architekturzentrum Wien, Sammlung, Pez Hejduk
Diese Vorteile dürfen nun auch die zukünftigen
Bewohner des Areals genießen. Denn in
der Siedlung am Waldrand ist neben einigen
Grünflächen bereits eine Infrastruktur samt
städtebaulichem Charakter vorhanden. Zusätzlich
stehen Hallenbad, Sporthalle und
Spielplätze in der Anlage mit insgesamt
252 Wohneinheiten zur Verfügung. Auch
einer guten Anbindung an den öffentlichen
Verkehr mangelt es nicht. Dieses Vorhaben
klingt durchaus vielversprechend, jedoch
ist es schade, dass der soziale, auf das Gemeinwohl
ausgerichtete Aspekt der „Stadt
des Kindes“ nicht erhalten wurde. Durch
Förderungen seitens der Stadt Wien wäre
es aber durchaus möglich, die Entwicklung
solcher Konzepte voranzutreiben. Langfristig
ließe sich dadurch die Lebens- und
Wohnqualität der Bevölkerung im dicht
besiedelten urbanen Raum erhöhen. Auch
wenn diese Chance bei der ehemaligen
„Stadt des Kindes“ versäumt wurde, kann
die Integration des sozialen Gedankens bei
zukünftigen Baumaßnahmen gut durchdachte
Projekte hervorbringen.
Das Architekturzentrum Wien lieferte im
Rahmen der Ausstellung „Die Stadt des Kindes:
Vom Scheitern einer Utopie“ bis 28. Mai
Einblicke in die architektonische Gestaltung
sowie den Lebensalltag in der Siedlung.
/www.architektur-online.com