81 www.architektur-online.com Pavillons Zauberwort Bionik I Einer dieser bionischen Versuchsbauten zeigt die Möglichkeiten neuer Entwurfs-, Simulations und Herstellungstechniken in der Architektur auf. Das Projekt wurde in einer anderthalbjährigen Entwicklungszeit realisiert. Ziel war die Entwicklung eines Wickelverfahrens für modulare, doppelschalige und damit statisch sehr leistungsfähige Faserverbundstrukturen, bei dem der erforderliche Formenbau auf ein Minimum reduziert wird und dennoch eine geometrische Variation der Module möglich war. Im Rahmen der Untersuchung natürlicher Faserverbundstrukturen haben sich die Deckflügelschalen (Elytren) flugfähiger Käfer als geeignetes Vorbild für materialeffiziente Bauweisen herausgestellt. Die Elytren sind zum Schutz des Käferhinterleibes besonders tragfähig, aber gleichzeitig zur Erhaltung der Flugfähigkeit sehr material- und gewichtssparend ausgebildet. Die Leistungsfähigkeit dieser natürlichen, zweischaligen Konstruktion beruht auf der komplexen geometrischen Ausformung ihrer Tragstruktur und auf den mechanischen Eigenschaften des natürlichen Verbundmaterials, welches aus in eine Proteinmatrix eingebetteten Chitinfasern besteht. Zuerst wurden mittels Mikro-Computertomografie hoch aufgelöste dreidimensionale Modelle der Käferelytren erstellt. So konnten die feinen Innenstrukturen der Käferschalen untersucht werden. Die Morphologie der Elytren beruht auf einem doppelschaligen Aufbau, dessen Ober- und Unterschale durch säulenartige Stützelemente mit doppelt gekrümmter Geometrie, den sogenannten Trabekeln, verbunden sind. Innerhalb der Trabekel gehen die Fasern der inneren und äußeren Schale kontinuierlich ineinander über. Die Anordnung und geometrische Ausformung der Trabekel variiert hierbei stark innerhalb der Käferschale. Für die Erforschung der abstrahierten Strukturprinzipien im Rahmen eines Versuchsbaus wurde ein modulares System entwickelt, dessen Bauteilgeometrien auf der Differenzierung der Trabekelmorphologie und deren Faseranordnung beruht. Durch die Entwicklung computerbasierter Entwurfs- und Simulationsprozesse war es – durch eine Abstrahierung der Strukturprinzipien – möglich, sowohl die Eigenheiten der robotischen Herstellungstechnik als auch die abstrahierten biologischen Konstruktionsprinzipien von Anfang an in den Planungsprozess zu integrieren. Das Faserverbundmaterial aus glas- und carbonfaserverstärktem Epoxidharz eignet sich hervorragend zur technischen Umsetzung der biologischen Strukturprinzipien, da es aufgrund seiner Anisotropie und seiner Formbarkeit die komplexe Geometrie und Materialorganisation der natürlichen Konstruktion abbilden kann. Im Rahmen dieses Projektes wurde nun ein kernloser robotischer Wickelprozess entwickelt, bei dem in Harz getränkte Glas- und Carbonfasern auf von zwei kooperierenden 6-Achs Industrieroboter geführten Rahmen (Effektoren) gewickelt werden. Diese dünnen Rahmen definieren lediglich die Bauteilkanten, während die Bauteilgeometrie aus der Interaktion von frei in der Luft gespannten Fasern entsteht. Dabei bilden die Fasern zunächst linear gespannte Segmente zwischen den Rahmen, die je nach Wickelreihenfolge miteinander interagieren, indem neu abgelegte Fasern sich auf bereits gewickelte Fasern ablegen. Diese Faser-Faser-Interaktion bewirkt eine wechselseitige Verformung der aufeinander liegenden Fasern, sodass sich die zunächst gerade abgelegten Segmente zu komplex gekrümmten Oberflächen verbinden. Dieses kernlose Wickelverfahren ermöglicht nicht nur eine erhebliche Materialersparnis beim Formenbau, sondern stellt an sich ein sehr materialeffizientes und ressourcenschonendes Herstellungsverfahren dar, da während des Prozesses kein Abfall oder Verschnitt anfällt. Insgesamt wurden 36 unterschiedliche Bauteile hergestellt, deren Geometrie auf abstrahierten Strukturprinzipien der Käferelytren beruht. Jedes davon besitzt einen individuellen Faserverlauf, der zum materialeffizienten Lastabtrag beiträgt. Das größte Element hat einen Durchmesser von 2,6 m bei einem Gewicht von gerade einmal 24,1 kg. Der Forschungspavillon überspannt eine Fläche vom 50 m² mit einem Gesamtgewicht von 593 kg und einem Rauminhalt von 122 m³. Die Gesamtform des Pavillons reagiert zum einen auf die örtlichen Gegebenheiten auf dem öffentlichen Platz in direkter Nähe zum Stadtpark. Zum anderen demonstriert sie die morphologische Anpassungsfähigkeit des Systems, das weit über eine einfache Schalenform hinausgeht. Insgesamt zeigt der Forschungspavillon, wie die computerbasierte Synthese von biologischen Strukturprinzipien und den komplexen Wechselwirkungen aus Material, Form und robotischer Herstellung nicht nur zu ressourcenschonenden Leichtbaukonstruktionen, sondern auch neuartige, räumliche Qualitäten und erweiterte tektonische Möglichkeiten für die Architektur führen kann. Fotos: CD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart (rp)
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