Nachhaltiges Planen und Bauen – Zu arm, um nachhaltig zu wohnen?

2. Juli 2013 Mehr

Am Podium (v.l.n.r.): Martin Treberspurg, Wolfgang Liebl, Margit Appel,

Kostenspirale, Verteilungsproblematik, Ende der Fahnenstange und Expertokratie: Kontrovers war die 16. Podiumsdiskussion der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten. Zwischen den Schwerpunkten Soziales und Technik kam die Forderung nach Rahmenbedingungen bei Wohnungsvergaben, nach Förderungen und nach mehr messbaren Daten.

Energiearmut – der Umstand, wenn Menschen das Heizen nicht mehr bezahlen können – ist ein Phänomen, mit dem immer mehr Haushalte konfrontiert sind. Damit wohnen leistbar bleibt, stehen zahlreiche Ideen zur Diskussion: intelligentes Wohnen, Deregulierung von Normen und Gesetzen oder die Technologie des Passivhauses. Ob ökologisches, sozial verträgliches und dennoch günstiges Wohnen eine überzogene Forderung ist, dazu nahmen ExpertInnen Stellung.

Planerinnen und Planer haben den gesellschaftspolitischen Auftrag, leistbares Wohnen möglich zu machen, sagte Christian Aulinger, Bundesvorsitzender der Architekten (bAIK). Notwendig sei kostengünstiges Bauen: „Dafür brauchen wir Rahmenbedingungen, die uns Bewegung erlauben, planerische Entscheidungen zu machen – wir brauchen kein Korsett aus verschiedenen Regulativen.“ Qualitätsstandards seien in verschiedenen Bereichen nach oben geschraubt worden und die resultierenden Zwänge führten zu keinem guten Ergebnis. Aulinger forderte eine radikale Evaluierung aller Regulative. Dann gäbe es Bewegungsspielraum, um sozial-nachhaltig zu Planen und zu Bauen sowie qualitätsvollen, leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Energiearmut nach Architekt Martin Treberspurg heißt, mehr als zehn Prozent des Einkommens für Energie aufzuwenden. Betroffen davon seien vor allem Menschen im untersten Einkommensquartil, die zur Miete in Wohnungen mit sehr schlechtem Baustandard wohnen. Treberspurg fordert daher die Förderung thermischer Sanierung und Passivhausstandards im Wohnbau und die Bindung des Heizkostenzuschusses an ökologische Kriterien. „Wir haben Passivhäuser und Niedrigenergiehäuser gemeinsam untersucht: Die Passivhäuser sind durchschnittlich nicht teurer, haben aber den geringsten Energiebedarf.“

„Der Begriff Energiearmut ist nicht gut, weil diese nur ein Aspekt der sozialen Benachteiligung ist“, sagte Angela Köppl vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Einer Stichgruppen-Erhebung zufolge ist der Wohnkostenanteil an den Konsumausgaben zwischen 2005 und 2010 um sieben Prozent gestiegen und liegt im untersten Einkommensquartil bei fast dreißig Prozent. Dabei hätten die Mietpreise den größten Zuwachs, während der Energiekostenanteil mit zirka fünf Prozent relativ konstant geblieben sei. Bei dieser Entwicklung zu beachten seien auch regionale Schwankungen sowie deutliche Verschärfungen an den untersten Einkommensrändern. Köppl wies auf den überdurchschnittlichen Anstieg der Baukosten im Wohnungs- und Siedlungsbau hin, der sich aber nur zu einem Teil in den Wohnbaupreisen niedergeschlagen haben. Selbst die Baupreise sind im Vergleich zum Verbraucherpreisindex seit 2006 deutlich stärker angestiegen. Wohnen könne und müsse zu mittelfristigen ökologischen Zielen beitragen – dafür seien sozialpolitische Maßnahmen notwendig.

Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie Österreichs sieht in Energiearmut das Zusammenspiel mehrerer Faktoren: „Soziale, gesundheitliche und ökologische Aspekte sind miteinander verbunden und verstärken einander.“ Preise für Energie und neue Technologie, Region und Infrastruktur, Wohnsubstandards nehmen genauso Einfluss auf die Entwicklung wie der Zugang zum Arbeitsmarkt, niedriges Einkommen und Gesundheitsdefizite. „Soll jemand überhaupt einen minderwertigsten und unter Umständen gesundheitsschädigenden Wohnstandard vermieten dürfen?“ Ökologisches, sozial verträgliches und kostengünstiges Wohnen sei „die richtige Forderung“ an die Politik. Außerdem könne ein anderes Wirtschaften zur Problemlösung beitragen: Menschenrechte und eine gleichere Gesellschaft sollten Ziel der Wirtschaft werden, forderte Appel.

Nach Wolfgang Liebl, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft Amstetten, leben 22 Prozent der österreichischen Haushalte in gemeinnützigen Wohnbauten. Wohnbauförderungszusicherungen im Neubau seien gesunken, geförderte Sanierungsinvestitionen gestiegen. Kritik übt Liebl an privaten Mieten, diese seien kaum bis gar nicht geregelt. Ihr Anstieg in den letzten Jahren liege am Wohnungsmangel. Ebenso gestiegen seien die Baukosten. Er ortet ein Einsparungspotential von 340,- €/m2, 55 Prozent davon aus Normen und Richtlinien, 45 Prozent aus den energetischen Standards der Wohnbauförderung. Darüber hinaus sieht Liebl die Gefahr, die Menschen mit den Kennzahlen des Energieausweises zu verwirren, da diese kaum etwas mit dem tatsächlichen Bedarf zu tun haben. Ein kostenoptimaler Heizwärmebedarf im großvolumigen Wohnbau liege bei dreißig bis vierzig kWh/m²a – ohne Berücksichtigung von Förderungen. „Bei Passivhäusern habe ich kein gutes Gefühl, wenn die Mehrkosten bei der Errichtung von Förderungen getragen werden müssen.“

Architekt Georg Reinberg aus dem Publikum widerspricht dem: Ein überdurchschnittlicher Beitrag zum Klimaschutz sei von gesellschaftlichem Interesse und rechtfertige daher den Einsatz von öffentlichen Mitteln.

Bei der Frage nach Kosteneffizienz im innovativen Wohnungsbau schließt sich Walter Hüttler, Geschäftsführer der e7 Energie Markt Analyse GmbH, an: Niedrigstenergiegebäude, Passiv- und Plus-Energie-Häuser seien zwar technisch machbar und praxistauglich, aber nicht kostenoptimal: „Die höheren Investitionskosten beim Passivhausstandard werden im Durchschnitt nicht durch geringere Kosten im Betrieb kompensiert, sondern durch Förderungen.“ Die EU-Gebäuderichtlinie fordere zwar kostenoptimale Gebäudestandards, doch dies heiße nicht zwingend leistbares Wohnen. Eine weitere moderate Verschärfung der Bauordnungsstandards werde jedoch, auch ohne zusätzliche Förderung, zu etwa den gleichen Gesamtkosten von Bau und Betrieb führen. Hüttler forderte dringend Qualitätssicherung bei Planung, Errichtung, Inbetriebnahme und Betrieb.

Vom gordischen Knoten zur Lösung

Die übliche Berechnung eines Lebenszyklus und Amortisierung von Kosten bei dreißig Jahren ist zu wenig. „Wir sollten auf achtzig bis hundert Jahre denken“, forderte Martin Treberspurg. Außerdem müsse es Studien mit mehr Objekten auf eine längere Zeit geben, um aussagekräftigere Daten und Fakten zu erhalten. Der erforderlichen Evaluierung von Normen und Vorschriften wurde breit zugestimmt. Architektin Ursula Schneider, Veranstalterin der Diskussionsreihe, forderte eine Trennung von Wohnen und teuren Stellplätzen. „Der Autobesitzer muss den Stellplatz nachweisen, nicht die Wohnung“. Nach Angela Köppl soll kein Feilschen zwischen Niedrig- oder Passivhaus im Fokus sein, sondern Energiekostenersparnis durch Sanierung. Es müsse dafür gesorgt werden, dass Wohnsubstandards durch Sanierung oder durch sozial nachhaltiges Bauen reduziert werden. Dabei sind technische Standards des Wohnens, hohe laufende Energiekosten und niedrige Einkommen zu berücksichtigen. Die Erwartung an das ökologische Bauen ist die Berücksichtigung von sozialen Themen.

Sport der planenden Zunft

Die Politik, Wohnbauträger sowie Individuen sollen in die Pflicht genommen werden: Subventionen und Förderungen überdenken, Regulative evaluieren und lockern, Einführung einer CO2-Steuer, konsequente Umsetzung von Forschungsergebnissen und das Hinterfragen eines überzogenen Lebensstils. Eine Lösung in beidseitigem Interesse – sozial und ökologisch – fordert Christian Aulinger: „Spielräume müssen aufgemacht werden und eine Verhandlungsbereitschaft über Ziele und für den Bereich des Gestaltens und des Planes geschaffen werden.“

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Kategorie: Veranstaltungen