Grüne Architektur – handeln statt reden!
Grüne Architektur – handeln statt reden!
Grüne Architektur – Veranstaltungen wie „Houston, we have a problem. Ökologie und Verantwortung“ im DAZ letzten Jahres, oder „Anthropozänkitsch: Architektur als Ersatzhandlung“ in der Gesprächsreihe „Wir müssen reden!“ zeigen, dass Handlungsbedarf besteht. Selbst wenn noch ein unbelehrbarer, westlicher Präsident den Klimawandel leugnet. Doch wir sollten mehr tun als nur reden!
Nachhaltiges Bauen ist mehr als ein kurzfristiger Trend: Das Berücksichtigen von ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren beeinflusst heute maßgeblich die Form und Funktion von Gebäuden. Die Nutzung erneuerbarer Energien, die Verwendung regenerativer und nachhaltiger Materialien oder flächensparendes Bauen sind Planungsansätze für eine zeitgemäße, nachhaltige Architektur. Grüne Architektur hat aber viele Gesichter – nicht nur die einer architektonisch gebauten Substanz – und „Green Building“ ist, durch die sich immer deutlicher abzeichnenden Auswirkungen des Klimawandels, unter Architekten, Projektentwicklern und Investoren zum geflügelten Wort geworden. Alles was nachhaltig, ökologisch oder energiesparend aussieht und den allgemeingültigen Standards für umweltfreundliche Architektur entspricht, wird unter dem Oberbegriff der „grünen Architektur“ zusammengefasst und vermarktet. Damit stellt sich auch die Frage, ob das ein neues Geschäftsmodell darstellt und ob das (moralisch) gut ist. Offenbar kann mit der Rettung unserer Umwelt Profit gemacht werden, eine wahrlich schizophrene Haltung, wenn gleichzeitig immer lamentiert wird, dass die Reduktion des CO2-Ausstoßes, die nachhaltige Sanierung von Gebäuden, die Verwendung schadstofffreier und „fairer“ Materialien zu viele Milliarden koste. Scheitert die Rettung unseres Planeten am Geldmangel?
Casa Ojalá – Foto:©Architect Beatrice bonzanigo, IB Studio
Auch die EU hat den Begriff „Grüne Architektur“ in ihrem Programm, dabei handelt es sich allerdings um rein landwirtschaftsbezogene Agenden der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Jedoch gehen EU-weit wöchentlich am Freitag (Fridays for Future) Schüler mittlerweile auf die Straße und demonstrieren für den Klimaschutz. Die Initiatorin dieser Proteste, die 16-jährige Greta Thunberg war auch schon in Wien und hat zusammen mit Terminator Arnold Schwarzenegger auf dem R20 Austrian World Summit gesprochen. Aber was werden die Politiker, Behörden und Wirtschaftstreibenden unternehmen, wann werden sie reagieren? Wie weit werden oder sollen sie die Architektur, die ja einen großen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß hat, in die Pflicht nehmen?
Genügt es denn, Bauordnungen, Standards und Normen zu erfüllen und nach Zertifikaten zu streben und wie sieht eine Architektur aus, die ein Wohnen, ein Benutzen im Gleichgewicht mit der Umwelt zulässt? Initiativen wie Pocket-Parks, Parklets, Urban Gardening, Vertical Farming und viele andere auch, zählen eindeutig zur „Grünen Architektur“, vor allem mit ihrem Anspruch, die Welt ein Stückchen besser zu gestalten und die Umwelt zu schonen (siehe auch andere Berichte in dieser Ausgabe).
Den Trend zur Grünen Architektur versinnbildlichte in Europa lange Zeit vor allem das Projekt Bosco Verticale vom Architekturbüro Boeri Studio und dem Bauherrn Manfredi Catella. Auf zwei Hochhäusern wachsen dort ebenso viele Bäume wie auf einer Waldfläche von 10.000 Quadratmetern – 800 Stück sind es. Jedoch bereits zwei Jahre früher, 2012 wurde mit dem Projekt „25 Verde“ eine Zukunftsvision von grüner Architektur Wirklichkeit. Entworfen wurde sie vom italienischen Architekten Luciano Pia und dieses Projekt stellen wir in einem eigenen Bericht (Seite 80) vor.
Caixa Forum Madrid – Foto:©Cillas
Grüne Architektur meint sicher nicht nur begrünte Architektur (obwohl natürlich auch diese), auch nicht nur sogenannte nachhaltige oder (energie)effiziente Architektur. Vielmehr soll damit die Frage diskutiert werden, ob und wie weit Architektur zur Rettung der (noch) grünen Umwelt, Natur und unseres ganzen Planeten beitragen kann. Denn nicht alles, was vielleicht danach aussieht, ist wirklich gut für Mensch und Umwelt. So haben sich schon manche hoch zertifizierte Projekte als Etikettenschwindel herausgestellt, während umgekehrt Gebäude, die recht konventionell wirken (Alnatura Arbeitswelt Seite 86), höchst effizient im Ressourcenverbrauch sind und obendrein von einer hohen Lebensqualität und nachhaltiger Bauweise zeugen.
Es gibt mittlerweile jede Menge von innovativen und wirklich guten Ideen für umweltverträgliche Architekturen. Viele davon sind zwar als Einzelideen gut, aber in der Masse – also bei Einbeziehung der demografischen Veränderung und dem Wachsen der Städte zum Beispiel – nicht durchdacht. Daran kann man erkennen, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines sofortigen Handelns auch im Bereich der Architektur, noch nicht in die Köpfe der Menschen eingedrungen ist. Psychologen erklären das mit dem Mechanismus, zu bedrohliche Szenarien auszublenden und zu verdrängen. Aber auch mit dem Gefühl der Ohnmacht des Einzelnen.
Casa Ojalá – Foto:©Architect Beatrice bonzanigo, IB Studio
Naturnah zeigt sich etwa die mobile Miniarchitektur „Casa Ojalá“ der italienischen Architektin Beatrice Bonzanigo vom Mailänder IB Studio. Ihre Idee wurde auf der Milan Design Week 2019 als 1:10-Modell präsentiert. Auf 27 Quadratmetern hat sie alles, was für eine moderne Herberge benötigt wird, untergebracht. Der Bau enthält verschiedenste Variationsmöglichkeiten zur individuellen Auswahl. Sein runder Grundriss fasst zwei Schlafzimmer, eines mit Doppelbett, eines mit Einzelbett, ein Badezimmer, eine Terrasse, eine Küchenzeile und ein Wohnzimmer. Ermöglicht wird diese Grundrissflexibilität durch ein manuell zu bedienendes System aus Seilen, Rollen und Kurbeln, mittels derer man das Haus den gewünschten Bedingungen anpassen kann. Schiebewände aus zwei verschiedenen Materialien – zum einen aus Stoff, zum anderen aus Holz – unterteilen den Raum dieser off-the-grid-Wohnmöglichkeit variabel.
Ausgangspunkt der Idee war auch, wie man mit größtmöglicher Mobilität leben und in Architektur wohnen kann. Durch die freie Wahl des Aufstellungsortes (totale Unabhängigkeit) ist diese Mobilität natürlich gegeben – aber auch ein typisches Beispiel einer neoliberalen Geisteshaltung. Müssen wir 100% mobil sein, was bedeutet das an Energie, wer kann sich das leisten? Als Tourismuskonzept für Luxusherbergen sicherlich geeignet, jedoch zur Lösung unserer Probleme trägt diese Idee nichts bei. Und ob das der richtige Weg ist, mit Ressourcen wie Landschaft, Architektur und Gemeinwohl umzugehen, ist eine andere Frage.
Gardens by the Bay von Grant Associates in Singapur
Überall planen Architekten grüne Gebäude, vor allem in den urbanen Ballungszentren. Mit Pflanzen an Fassaden, auf Terrassen, Balkonen und Dächern. Denn eine begrünte Fassade reduziert die Hitze, wirkt auch gegen städtische Hitzeinseln. Pflanzen sind der natürlichste Schutz vor Sonneneinstrahlung und außerdem produzieren sie Sauerstoff.
Singapur versteht sich als „Stadt in einem Garten“ und aus diesem Grund haben Architekturbüros schon vor vielen Jahren – als man in Europa noch kaum daran gedacht hat – begonnen, die Stadt grün zu gestalten. Pflanzen sollten möglichst in jedes Gebäude integriert werden. Mit dem Bauen in die Höhe wächst auch das Grün mit in die Höhe. Neun Prozent der Landfläche Singapurs wurden für Parks und Naturreservate frei gehalten. Nach und nach werden diese Gebiete miteinander verbunden, damit die Leute überall in der Stadt im Grünen spazieren gehen, joggen und Fahrrad fahren können. Singapur ist die grünste Stadt Asiens – und hat das ehrgeizige Ziel, die grünste Stadt der Welt zu werden.
In Singapur findet man auch ungewöhnlich viele, wie mit einer zotteligen Perücke überzogene Bauten – sie stammen meist vom Architekturbüro WOHA (Wong Mun Summ und Richard Hassell). Diese Architekten setzen neben auskragenden Fassadenelementen vor allem Pflanzen ein. Dabei geht es ihnen nicht um Dachgärten, die wie ein grüner Deckel dekorativ obenauf sitzen, sondern um kühlende Begrünungen und Berankungen, die Teil der Gebäudestruktur und -technik sind. Diese WOHA-Bauten lösen sich nicht nur nach außen hin auf. Sie sind auch im Inneren porös. Offene, luftige Strukturen aus vielen schmalen Türmen, offene Gänge, brücken- und balkonartige Terrassen und in luftiger Höhe eingezogene, sogenannte Sky Gardens machen aus massiven Blöcken locker verhäkelte, winddurchlässige und weitgehend natürlich gekühlte Komplexe. So sind sie ganz anders als der sonst in Südostasien dominierende Wohnblocktyp, der undurchlässig gegenüber Wind und Wetter ist und künstlich klimatisiert werden muss.
School of the Arts
Die „School of the Arts“ zum Beispiel, ist eine Windmaschine, ebenfalls entworfen von WOHA. Sie ist derart gestaltet, dass die leichten Brisen, welche die Stadt durchziehen, in der Architektur kanalisiert und intensiviert werden. Die Luftdurchzugskorridore in ihrem Inneren bieten eine angenehme, komfortable Atmosphäre und auch Interaktionsraum für die Nutzer. Das Design zur Windführung und -leitung hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen und sorgt für eine ständige Kühlung im tropischen Klima der Stadt mit ihrer, fast immer 100%igen Luftfeuchtigkeit im Außenraum. Die Dachfläche ist als ein großer Erholungspark gestaltet und enthält auch eine 400 Meter lange Laufstrecke. Der Bau wurde bereits 2007 begonnen und 2010 größtenteils fertiggestellt.
Der spezifisch tropische Hochhausbau des Singapurer Büros orientiert sich an traditionellen Wohnformen Südostasiens: An den Kampongs genannten Dörfern, in denen Bäume und große Dächer pavillonartigen Bauten Schatten spenden, während Wände aus mobilen, durchlässigen Paneelen und spezielle Korridore jeden leichten Luftzug weiterleiten und intensivieren. Einige dieser, sogenannten passiven Ansätze für grüne Architektur sind so alt wie die Geschichte der Architektur selbst, andere basieren auf allerneuesten „grünen“ Technologien.
Der amerikanische Architekturkenner Philip Jodidio beschreibt in dem Doppelband „100 Contemporary Green Buildings“ viele visionäre, aber auch gebaute Entwürfe, die sich des Einsatzes „grüner“ Technologie bedienen. Er merkt aber auch nachdenklich an, dass die Nebenwirkungen dieser neuen Technologie und der eingesetzten Produkte nicht endgültig geklärt sind und aufgrund erheblicher Profite vielleicht nie geklärt werden können/sollen. Es ist eine Tatsache, dass Solarzellen Schwermetalle enthalten und auch die Herstellung von Biozement enorme Ressourcen verschlingt.
Ebenso meint er, dass es schon bemerkenswert sei, dass heute wieder Architekten historische Rückbezüge wagen und manchmal in die Vergangenheit blicken. Wenn Gropius von der Tabula rasa sprach, ist diese Einstellung heute eindeutig überholt. Dass die Baukunst heute wieder auf Jahrtausende alte Weisheiten zurückgreift, ist ein Befreiungsschlag vom Diktat der Technik und wird dem Begriff und der Verbreitung der Nachhaltigkeit und einer „Grünen Architektur“ sicherlich förderlich sein.
School of the Arts
Text:©Peter Reischer
Kategorie: News, Projekte, Sonderthema