Zwischen dicht und dörflich
Zeitgemäß, urban und autofrei – so beschreiben PPAG architects das im Auftrag der BUWOG realisierte Projekt Rivus Vivere im Südwesten von Wien. Das neue Quartier kombiniert 296 Wohnungen und 12 Gewerbeeinheiten in einem differenzierten Komplex mit mehreren Baukörpern. Mit dem Stadtbaustein will das Planerteam den Spagat zwischen hoher Dichte und dem menschlichen Maßstab schaffen und die österreichische Hauptstadt auf diesem Wege um qualitativen und nachhaltigen Lebensraum bereichern.
Das Viertel befindet sich in Liesing, dem 23. Wiener Gemeindebezirk direkt an einer stark frequentierten Verkehrsachse, der Breitenfurter Straße. Dort stellt es den letzten Bauabschnitt des Stadtentwicklungsprojekts Rivus dar, mit dem in Liesing in den letzten Jahren über 800 neue Miet- bzw. Eigentumswohnungen und weitere Neubauten errichtet wurden. Die belebte Lage wirkte sich maßgeblich auf den Entwurf von Rivus Vivere aus: Eine dreigeschossige Sockelzone hebt das Ensemble von der verkehrsbelasteten Umgebung ab. Sie soll bestmöglich vor Lärm schützen und zugleich einen sanften Übergang zur angrenzenden Nachbarschaft sicherstellen. Wie ein „künstlicher Hügel“ beinhaltet die gemeinsame Basis eine Garage mit 250 Parkplätzen, Keller- und Müllräume sowie Lager und Technik. Auf den Sockel setzte das lokale Architekturbüro rund um Anna Popelka und Georg Poduschka sieben Häuser. Diese werden von öffentlichen Höfen, Plätzen und Passagen verbunden, in denen sich das soziale Leben und die Interaktion von Bewohnern und Besuchern abspielt.
Wohnbau trifft Städtebau
Entlang der Breitenfurter Straße sind im Erdgeschoss des Sockels großzügige Geschäftslokale untergebracht. Der erste Stock bereichert mit Ordinations- und Büroflächen sowie einem Café das bunte Programm des Grätzels. Über Treppen, Rampen und Aufgänge gelangt man auf die zweite Ebene und damit ins Innere des autofreien Wohnviertels. Ein Netz aus Fußgängerwegen und Durchgängen führt hier Bewohner zu ihren Wohnungen und lädt auch Nachbarn und Passanten zum Entdecken ein. An den übrigen drei Seiten ist das Ensemble ebenfalls architektonisch und wegetechnisch an das Stadtgefüge angebunden. Die einzelnen Baukörper sorgen mit variierenden Höhen und Tiefen sowie unregelmäßig positionierten Fensteröffnungen für ein differenziertes Bild. Optisch fassen helle Putz- und Klinkeroberflächen, Begrünung, schlichte Stabgeländer, Vordächer und goldene Fensterläden das Quartier einheitlich zusammen. Auch die Vegetation wurde – mit fachlicher Unterstützung durch das Planungsstudio Land in Sicht – von Beginn an mitbedacht: Neben Bäumen und Sträuchern sollen Rivus Vivere künftig üppig bepflanzte Hochbeete und Töpfe einen grünen Touch verleihen.
Rückzugs- und Gemeinschaftorte
Ein- und Ausgänge der Bauten befinden sich jeweils auf mehreren Etagen. Hinter den Ansichten der gestaffelten Häuser verstecken sich großteils Regelgeschosse mit rund 20.000 m2 Nutzfläche. Die knapp 300 freifinanzierten Miet-Einheiten setzen sich aus diversen Wohnungstypen zusammen. Sie sind darauf ausgelegt, unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und generationsübergreifend Singles, Paare bzw. Familien gleichermaßen anzusprechen. Das legt den Grundstein für eine lange und nachhaltige Nutzung des gesamten Viertels. In den unteren Ebenen und den Dachgeschossen befinden sich Maisonetten. Diese öffnen sich hofseitig in Form von Balkonen oder privaten Terrassen, die lediglich durch Pflanztröge von den öffentlichen Bereichen abgegrenzt werden. In den dazwischenliegenden Stockwerken komplettieren Appartements mit ein bis vier Zimmern das Angebot. Die Architekten betonen, dass in sämtlichen Wohnungen sowohl die Nähe nach draußen als auch die Intimität der eigenen vier Wände im Mittelpunkt stehen.
Rund um die Binnenhöfe ordneten PPAG architects zahlreiche Gemeinschaftsbereiche an. Sie ergänzen die private Infrastruktur der Bewohner und können von allen genutzt werden. Neben einem Waschsalon und Fitnessraum mit Boulderwänden gibt es z.B. eine Paketstation, Co-Working und Indoor-Spielmöglichkeiten für Kinder bzw. Jugendliche.
Nachhaltigkeit & attraktive Dichte
Das Rückgrat des energetischen Systems bildet den Architekten zufolge eine effiziente Bauweise. Diese wird durch Fernwärme und Wärmepumpen sowie eine Photovoltaikanlage ergänzt. Begrünte Dachflächen und Regenwassernutzung runden das Konzept ab und tragen gemeinsam mit 585 Fahrradabstellplätzen ihr übriges zur Nachhaltigkeit von Rivus Vivere bei.
Besonderen Fokus legte man auch auf die Klimatauglichkeit des Stadtteils und machte sich dabei die Kombination aus dichter Bebauung und Außenanlagen zunutze. Mit seiner kleinteiligen Struktur bietet das Wohnquartier ein abwechslungsreiches Spiel aus Licht und Schatten, welches man in der Planungsphase intensiv anhand von Modellen und Sonnenstudien simulierte und optimierte. Während in offenen Höfen an kühlen Wintertagen Sonne getankt werden kann, warten andernorts witterungsgeschützte Spielplätze, die sowohl bei Hitze als auch bei Regen ganzjährig nutzbar sind. Von überbauten Durchgängen und verwinkelten Höfen bis hin zur charmanten Piazza oder dem großen Dorfplatz stehen den Bewohnern innen wie außen den ganzen Tag über Aufenthaltsbereiche mit verschiedensten Qualitäten zur Verfügung. Es gibt nicht nur zentrale Sitzgelegenheiten, die zum Verweilen und Austauschen einladen, sondern auch privatere Freiräume. Trotz der Größe des Projekts entsteht ein intimer, individueller und teils fast dörflicher Charakter. So wird das fußläufig vielfach durchquerbare Viertel an der Breitenfurter Straße mit seinen gestaffelten Ebenen zum neuen Stadtbaustein, in dem es sich gut mit- und nebeneinander wohnen, leben und arbeiten lässt.
Rivus Vivere
Liesing, Wien
Bauherr: BUWOG Demophon Immobilienvermietungs GmbH
Planung: PPAG architects
Tragwerksplanung: Dorr und Schober
Bauphysik, Brandschutz & Energiekonzept: Dipl.-Ing. Erich Röhrer
Gebäudetechnik: TB Ing. Heiling
Freiraumplanung: Land in Sicht
Generalunternehmer: Handler Bau
Grundstücksfläche: 13.404 m²
Bebaute Fläche: 8.532 m²
Bruttogeschossfläche: 32.671 m² oberirdisch, 9.596 m² unterirdisch
Wohnnutzfläche: 20.000 m²
Planungsbeginn: März 2016
Baubeginn: Feb. 2021
Fertigstellung: Feb. 2023
Text: Edina Obermoser
Fotos: Hertha Hurnaus
Kategorie: Projekte