Zen, Fassade und Architektur – Chongqing
Chongqing Sunac One Central Mansion Sales Pavillion / Chongqing / AOE
Wenn man dieses Projekt beschreiben will, muss man zuerst einen kleinen Exkurs in die Geschichte, Grundlagen und Entwicklung der chinesischen Architekturphilosophie machen. Im Gegensatz zur westlichen Architektur, die sich hauptsächlich mit geometrischen Formen und gemauerten oder Steinstrukturen beschäftigt, folgt die chinesische Architekturlogik den Gesetzen und Regeln der Natur. Die „alte“ chinesische Architektur benutzte keine Geometrie als Grundlage ihrer architektonischen Ausdrucksweise. Sie beruht in den traditionellen Holzkonstruktionen eher auf dem Ausdruck von Naturgesetzen. Tragende Elemente wie Säulen, Träger, Balken, Konsolen, Dachsparren und Pfetten sind immer sichtbar und fügen sich den Gesetzen der natürlichen Mechanik. Sie täuschen nie etwas vor, besonders nicht beim Dach oder dem Bogen. Der Überhang der Traufe, zum Beispiel, formiert einen Graubereich, in dem sich die Natur und das Bauwerk vermengen, um einen symbiotischen Zustand von Mensch und Natur zu erreichen.
China unterliegt einer Zeit der rapiden, ökonomischen Entwicklung und damit steigt auch – nachdem die Basis der spirituellen Bedürfnisse abgedeckt ist – der Anspruch der Menschen auf einen gewissen Lebensstandard, er wird höher und höher. Dieser Wunsch spiegelt sich auch in dem Verlangen nach Wohnqualität wider. Denn Wohnen okkupiert bekanntlich ein Drittel des menschlichen Lebens. Deshalb werden auch die Verkaufsbüros der chinesischen Immobilienentwickler und ihre Ideen mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit betrachtet. Die Developer investieren eine Menge Geld, um in den Büros Qualität, Geschmack, Stil und Umweltbezogenheit und auch Schutz und Nachhaltigkeit zu vermitteln.
Ein Verkaufsbüro für luxuriöse Immobilienprojekte, das später zu einem Kindergarten umfunktioniert werden kann, entwarfen die AOE architects aus Peking. Die Fassade ist nachhaltig, energiesparend und honoriert gleichzeitig die schon vergessene chinesische Architekturphilosophie einer Verbindung von Mensch und Natur im Raum.
In den letzten Jahrzehnten haben nun die Verwerfungen der chinesischen Kultur eine Zerstörung und Missachtung der Werte und Traditionen durch die ganze Gesellschaft verursacht. Wie an einer Klippe ist die Kultur „weggebrochen“. Dieser Widerspruch zwischen dem zunehmenden Leben im Überfluss und dem Fehlen der Kultur hat zu einer Menge blinder Verehrung und Akzeptanz der Werte einer Überseekultur und ihrer Güter geführt. Dies macht sich auch im vermehrten Auftreten der parametrischen Showarchitektur in chinesischen Großprojekten bemerkbar. Dieser Mangel verschaffte auch der europäischen, klassischen Architektur eine extreme Popularität, wegen ihres tollen Bildes und als Symbol für Reichtum und guten Geschmack. Man könnte dieses Phänomen einer neuen kulturellen Kolonisation auch als historische Tragödie bezeichnen.
Dass eine Fassade auch etwas anderes als pure Materie sein kann, beweist diese ätherisch wirkende „Vorhangfassade“ im wahrsten Sinn des Wortes.
SUNAC, als einer der größten Entwickler in China, wollte nun in Chongqing an der Huxie Road ein neues, luxuriöses Appartementprojekt starten. Er beauftragte AOE architects aus Beijing mit dem Entwurf des Verkaufsbüros. Zwei Bedingungen waren wichtig: Erstens, dass das Büro nach Ende der Verkaufstätigkeit in einen Kindergarten umgewandelt werden kann. Eine interessante Herausforderung für das Büro, denn die zwei komplett verschiedenen Nutzungsvarianten bedeuteten auch unterschiedlichste Anforderungen an Raum, Ausdruck und Erscheinung. Dieses Kriterium wurde durch ein Rastersystem mit demontierbaren Wänden gelöst.
Und zweitens: „Finden Sie einen Weg, neue Technologien, Materialien und Ideen, um die Essenz der chinesischen Architekturkultur wiederzubeleben, auszugraben und eine neue Form der Architektur zu kreieren, die an die Entwicklung der modernen Zeit anpassbar ist und zu den kulturellen Werten zurückführt!“
Das Konzept der Architekten war nun, eine zweite, bewegliche (auch wieder entfernbare) Haut über die Architektur zu legen. Ein Metallgewebe, das außen für Nachhaltigkeit und auch für das Erscheinungsbild, für das Image zu sorgen hat. Diese Ebene der Hülle sorgt für den einzigartigen Eindruck der Architektur, deren Kerngedanke von einer künstlerischen Konzeption des Ausdruckes geprägt ist. Der Gebrauch des Metallgewebes als zweite Haut schafft einen nachhaltigen Vorhang, der das Gebäude vor direkter Sonneneinstrahlung schützt und Energie spart. Sonnenenergie trifft auf das Gewebe und wird teilweise reflektiert, je nach Sonnenstand kann der Gewebevorhang mechanisch angehoben und so das Metall näher an die Fassade herangeführt werden, um einen Kamineffekt zu unterstützen. Die kühle Luft, die sich über dem vorgelagerten Teich befindet, wird durch die Ventilation mitgenommen und strömt in das Gebäude hinein, die warme Luft wird an den Fensterklappen vorbei, nach oben abgeleitet.
Ebenso wird der Innen- mit dem Außenraum visuell und räumlich in einer eleganten Transition verbunden. Die transluzente Schicht erzeugt durch ihren optischen Unschärfeeffekt ein weites Feld der Tiefe im Raum. Gleichzeitig würdigt der zarte Bogen des Metallgewebes – hervorgerufen durch die Logik der Schwerkraft – die chinesische Architektur, die sich ja auf Gesetze der Natur bezieht. Die moderne Stahlstruktur bleibt unverkleidet und ihre Durchsichtigkeit formiert zusammen mit der gestalteten Landschaft einen poetischen Zen-Raum. Obwohl Form und Material modern sind, ruhen sie in der chinesischen Architekturphilosophie: Das Tao (Weg) der Natur ist die ultimative Vollkommenheit.
Chongqing Sunac One Central Mansion Sales Pavillion
Chongqing, China
Bauherr: Chongqing Sunac One Central Mansion Sales Pavillion
Planung: AOE, Larry Wen
Mitarbeiter: Yibo Wang, Chao Xie, Yusong Zhang
Bebaute Fläche: 2.000 m2
Nutzfläche: 1.600 m2
Planungsbeginn: 05/2017
Baubeginn: 07/2017
Fertigstellung: 11/2017
Fotos:©Ligang Huang
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Projekte