Wo einmal der Südbahnhof stand – Belvedere

5. November 2019 Mehr

Parkapartments and Parkhotel am Belvedere / Wien – Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit NMPB Architekten (Wien)

Die wunderschöne Gründerzeitarchitektur des Südbahnhofes wich nach dem Zweiten Weltkrieg einem nüchternen Funktionalismusbau. Der Bahnhof versandelte von Jahr zu Jahr mehr und parallel zu diesem Prozess fand auch eine Verslumung der Geschäfte im Bahnhof und in der Umgebung statt. Vom berühmten Stehbuffet mit Hendl, Gulasch und Bier zum „Eurosnack“ Cheeseburger mit Cola im Plastikbecher und den Pizza&Döner-Take-aways. Der Südbahnhof und die ganze Gegend wurden zum Unort.

 

Belvedere RPBW_VIENNE_

In unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Hauptbahnhof, neben Belvedere, Schweizergarten, Erste Campus und der angrenzenden Stadt hat das Büro Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit NMPB Architekten ZT aus Wien einen Komplex aus Hotel und Appartements errichtet. Markant auf Stützen stehend, schwebt die Anlage über der Erde.

 

Sein Abbruch und mit ihm gleich auch der des Ostbahnhofes ermöglichten städtebaulich interessante Perspektiven: Ein neues Viertel entstand und die Konstruktion des neuen Wiener Hauptbahnhofes schuf ein städtisches Zentrum mit höchst widersprüchlichen Bedingungen. Auf der einen Seite das Schloss Belvedere, der Park des Schweizergartens, das renovierte 21er-Haus und das Arsenal. Auf der anderen Seite der neue Hauptbahnhof mit seinen Gleismassen, die Shoppingmall und eine dichte Urbanität (die hoffentlich noch mehr wird). Es ist ein Varieté von architektonischen Stilen und Nutzungen. Da gibt es die szenischen Blicke auf das Weltkulturerbe Wiens, das Belvedere und den Stephansdom und auch auf den Wienerwald und den Schneeberg. Es gibt aber auch die Bedürfnisse und die Realität des modernen, städtischen Lebens. Und genau da setzt das Projekt von Renzo Piano Building Workshop (RPBW) an – 2008 wurden sie beauftragt, ein Hotel samt Wohnkomplex zu entwerfen.

Was nun auf den ersten Blick wie ein kompaktes Gebäude aussieht, ist jedoch in fünf individuelle, vertikale Strukturen gegliedert – Baukörper, die alle einen individuellen, polygonalen Grundriss haben. Die vertikal aufstrebende Konstruktion mit der Keramikfassade wurde auf markante, neun Meter hohen Stützen gesetzt. Das – in zwei der fünf Baukörper situierte – Hotel Andaz ist durch verschachtelte Brücken und eine großzügige, durchlässig gestaltete Lobby miteinander verbunden. Durch die raumhohe Verglasung auf allen 16 Ebenen öffnet sich der Blick über fast ganz Wien. Die anderen drei Bauteile beinhalten die Appartements. Das Andaz Vienna am Belvedere und der gesamte Komplex sind Teil der Hyatt-Gruppe, mit Signa als Bauherrn.

 

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Das Konzept dieses urbanen Entwurfes versucht Sichtlinien und Kontakte zu ermöglichen, genauso wie einen Übergang für den Ortswechsel von den Gleisanlagen zum Schweizergarten. Die Eigenheit des Designs ist der Anschein, dass die Architektur – von der Straßenebene aus betrachtet – erst in der Höhe zwischen dem vierten und sechsten Stock über der Straßenebene beginnt. Der darunter frei werdende Bereich dehnt visuell den Schweizergarten in Richtung Bahnhof aus, der Raum fließt hindurch. Die Hotelzimmer befinden sich erst in einer Höhe, in der allen Gästen ein ausführlicher Weitblick garantiert ist. Gleichzeitig wird so eine zusätzliche physische Distanz vom Lärm, der von den Bahnhofsanlagen und dem Stadtverkehr ausgeht, geschaffen. Die ersten Fenster befinden sich über den Baumwipfeln und über den Wänden, welche die Geleise flankieren.

Die 303 Gästezimmer, darunter 44 Suiten und eine Penthouse-Suite im 15. Stock überzeugen nicht nur mit aufwendiger Ausstattung und anderen Annehmlichkeiten, sondern setzen auch lokale, zeitgenössische Kunst in Szene. Alle Bereiche des Andaz am Belvedere sind beeinflusst von der Leidenschaft für außergewöhnliche Dinge und einer Liebe zu handwerklichen Details: von raffiniert geschliffenem Glas in der Spiegeltür, der aufwendigen Wandverkleidung und dem Fischgrätparkett bis zum Einsatz zeitgenössischer Lampen für eine abwechslungsreiche Lichtstimmung.

Die Architektur ist von offenen, ineinander übergehenden Räumen charakterisiert. Sie umfassen unter anderem einen 2.200 m2 großen Konferenzbereich, einen 700 m2 großen Ballsaal, Fitness- und Spabereich, sowie insgesamt drei Restaurants, darunter die goldene Schatulle des „Eugen 21“ und den legeren „Cyclist“. Räume und Gemeinschaftsräume sind mit hellen Eichenböden ausgestattet, ergänzt wird die Möblierung mit geschliffenem Glas und geätzten Spiegeln sowie Holzstühlen, die an klassische Wiener Kaffeehäuser erinnern. Die in warmen Farben gehaltene Lounge Bar mit dunklen Ledersofas und Hartholzschränken bildet das Herzstück der sich der Nachbarschaft öffnenden Lobby und präsentiert die Arbeit von lokalen zeitgenössischen Künstlern.

Die Baukörper besitzen einen Gebäudeabschluss auf einem einheitlichen Höhenniveau, um die formale Einheit des gesamten Komplexes zu stärken. Kontrastierend zu der ruhigen Dachkante stuft sich das Bauvolumen im unteren Bereich vielfältig ab. Es entsteht das spannungsreich, lebendige Spiel von unterschiedlichen Freiräumen und Blickwinkeln. Fast auf dem gesamten Grundstück befinden sich getrennte Gartenelemente, die eine visuelle Verbindung und Weiterführung zum Schweizergarten symbolisieren. Wesentlich zu der formalen Einheit des Entwurfs trägt auch die einheitliche Fassadengestaltung der fünf Körper bei. Im Raster leicht variierend, zieht sich die Keramikfassade in gleicher Ausbildung über die Hotel- und Wohngebäude. Sie materialisiert neben der Eigenständigkeit des Projekts den hochwertigen Anspruch der Hotel- und Wohnanlage. Gleichzeitig vermittelt sie zwischen der historischen Fassade des Arsenals und den Glasfassaden des daneben liegenden Erste Campus.

Die Erschließung der Parkgarage sowie die Anlieferung der Hotels erfolgen auf Straßenniveau über die der Bahn zugewandte Südseite des Projektes. Das Hotel öffnet sich im Erdgeschoss sowohl zur Arsenalstraße als auch dem öffentlichen Platz auf dem Nachbargrundstück, der sich auf das 21er-Haus bezieht und damit dieses Museum in unmittelbare Nachbarschaft rückt. Des Weiteren stärkt der Platz die fußläufige Anbindung des Hotels an den Bahnhof. Eine großzügige Glasfassade empfängt die Besucher, die sowohl vom Bahnhof als auch vom Belvedere über den Schweizergarten in das Hotel kommen können. Im Sockelgeschoss der Wohngebäude sind nur die Eingangslobbys als minimal geforderte Funktionen vorhanden.

 

Parkapartments & Parkhotel am Belvedere
Wien, Österreich

Bauherr: Hotel am Belvedere GmbH & Co OG (JV SIGNA / HYATT 50/50)
Planung: Renzo Piano Building Workshop
Architekt vor Ort: NMPB Architekten ZT GmbH
Statik: Bollinger + Grohmann

Grundstücksfläche: 56.000 m2
Bebaute Fläche: 10.951 m2
Planungsbeginn: 2008
Bauzeit: 2015 – 2019
Fertigstellung: 04/2019

Fassade: Moeding Keramikfassaden GmbH
Fliesenverlegearbeiten: HB Fliesen mit Produkten von Murexin

 

Fotos:©Michel Denancé

Text:©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte