Wie eine fremde Welt
Delugan Meissl Associated Architects haben im chinesischen Taiyuan ein ehemaliges Kohleabbaugebiet in einen ambitionierten Landschaftspark umgestaltet, der neben dem zentralen Eingangsgebäude mit Naturmuseum und Verwaltung auch drei Gewächshäuser, ein Restaurant, ein Bonsaimuseum sowie ein Forschungszentrum samt Bibliothek und Personalwohnräumen umfasst. Der Wunsch des Bauherren des Botanical Garden Taiyuan: die Erschließung und Vermittlung naturnaher Ökosysteme für die breite Gesellschaft zugänglich zu machen.
Taiyuan, 5,3-Millionenmetropole und Hauptstadt der Provinz Shanxi, befindet sich im Hinterland Nordchinas rund 500 Kilometer von Peking entfernt. Der wichtige Industriestandort verfügte 2020 nicht nur über die größte Pro-Kopf-Anzahl an Überwachungskameras, sondern hat auch eine florierende Wirtschaft im Kohlebergbau, der Eisenverhüttung sowie Erzeugung von Aluminium und Edelstahl vorzuweisen. Außerdem befindet sich vor Ort ein kleinerer Weltraumbahnhof für Satellitenstarts.
Um sich zu fühlen, als sei man auf einem fremden Planeten gelandet, muss man in Taiyuan allerdings keinen allzu langen Weg auf sich nehmen: Ein Besuch des Botanischen Gartens inmitten des Zentrums tut es auch. Ein ehemaliges Kohleabbaugebiet mit Seenlandschaft in der Mitte bot ein stimmungsvolles Setting für die Neugestaltung eines 182 Hektar großen Landschaftsparks durch das Wiener Architekturbüro Delugan Meissl Associated Architects. Die hoch aufragenden Kuppeln auf dem Gelände sind nicht nur aus optischer Sicht ein Highlight, sie repräsentieren auch den modernen Massivholzbau in China.
Dieser treibt im Land der aufgehenden Sonne erst einige zarte Knospen. Während die Holzbautradition und -techniken im Westen seit Jahrhunderten untrennbar mit dem Kultur- und Landschaftsbild verwoben sind, setzte man in China – ungeachtet der eigenen Baugeschichte – hinsichtlich der Baumaterialien bis dato vor allem auf Stahl und Beton. Auch, weil eine große Angst vor der Brennbarkeit besteht und der dortige technische Kenntnisstand in Bezug auf moderne Holzbauverfahren nahezu gegen Null geht. Noch, denn das soll sich nun nach und nach ändern.
Erste Benchmark und eindrucksvolle Werkschau internationaler Ingenieurskunst ist das Gewächshaus-Ensemble aus drei spannungsgeladen zueinander positionierten Baukörpern, die als weitspannende Holzgitterschalen in nicht-paraboloidförmiger Kuppelform realisiert wurden und das Herzstück des Areals darstellen. Die Domes setzen sich aus doppelt gekrümmten Brettschichtholzträgern zusammen, in die doppelt gekrümmte Glasscheiben und sogar öffenbare Elemente eingefügt wurden. Das muschelartige Muster mit ungleichmäßigen Abständen zwischen den Segmenten und auch die erdbebensichere Ausführung erforderten eine aufwendige Konstruktion, bei der kein Stück dem anderen gleicht.
Die Kuppeln mit einem Durchmesser von 43 bis 88 Metern beherbergen die Sammlung seltener Pflanzen des Botanischen Gartens. Dabei ist die größte der drei Kuppeln gleichzeitig eine der größten Holz-Gitterschalen der Welt. Dank der filigranen Konstruktion scheinen Innen- und Außenwelt ineinander überzugehen, unter dem Dach der Kuppel wähnt man sich wie unter einem Himmelszelt. Die Ablesbarkeit der Konstruktion lässt die Kuppeln besonders natürlich, leicht und luftig erscheinen. Die durchgängige Verwendung des Baustoffs Holz basiert auf dem hohen Grad an Vorfabrikation und einer damit einhergehenden besseren Ausführungsqualität sowie dem ästhetischen Anspruch an die Gestaltung der einzelnen Pavillons.
Dieser besondere Fokus auf das Material und die Liebe zum Detail treten auch bei der Gestaltung des Restaurants und Teehauses zutage – einem exemplarischen Beispiel für die Anwendung der Prinzipien der gestapelten und verschachtelten Trägerschichten sowie dem Stufen und Skalieren durch Hinzufügen oder Entfernen von Ebenen. Auf diese Weise gelingt nicht nur die Neuinterpretation traditionell chinesischer Holzdachkonstruktionen, es entsteht auch ein ganz eigener, fast skulptural anmutender Raumeindruck, der sich ganz auf das Dach und das „oben“ bezieht. Gleich einem startenden Raumschiff scheint die Dachebene dynamisch über den verglasten Unterbau und in Richtung Wasser abheben zu wollen.
Den Gegenpol bilden die in konzentrischen Kreisen angelegten Terrassen des Bonsaimuseums. Unter freiem Himmel wird hier die alte fernöstliche Gartenkunst in Szene gesetzt. Dezent, leise und mit Blick auf den Betrachter, der sich die domestizierte Naturlandschaft gemütlich durch den Park wandelnd erschließen möchte. Gleich einem gemächlichen Strudel saugt das Bauwerk den Besucher regelrecht hinab in die Tiefe, wo ein kleiner, introvertierter Park zum Entspannen und In-sich-Gehen wartet. Zurück in das große Ganze führt umgekehrt eine Himmelsspirale, die den Blick und die Gedanken der Besucher gen Himmel lenkt.
Zu dem Areal, das sich neben der in China traditionell wichtigen landschaftlichen Gestaltung auch in architektonischer Sicht zu beweisen vermag, gehört auch ein Empfangsgebäude, das über einen großen Vorplatz erschlossen wird. Angegliedert befindet sich ein Naturmuseum mit Verwaltungstrakt, denn das gesamte Konzept dient der Erschließung und Vermittlung naturnaher Ökosysteme für die breite Gesellschaft. Natur zum Anfassen und Verstehen, anstelle trister Industriebrachen. Bevor es so richtig grün wird, markiert der in Stein gegossene Vorplatz mit seiner imposanten Architektursprache noch einmal den Übergang vom urbanen zum semi-urbanen Raum.
Über eine eindrucksvoll inszenierte Rolltreppe gelangen die Gäste vom Vorplatz durch eine kreisrunde Deckenöffnung mit Blick in den Himmel auf eine großzügige Dachterrasse. Von hier eröffnet sich ein erster Ausblick über das gesamte Gelände mit den einzelnen, gezielt verorteten Solitären, die gerahmt werden von der dahinterliegende Bergkulisse. Im Sinne des Gesamtkonzepts gehen auch an dieser Stelle Natur und Bauwerk fließend ineinander über und laden dazu ein, stets noch einen Schritt weiterzugehen und das gesamte Gelände zu erkunden. Über eine freitragende und über der zentralen Wasserfläche schwebende Aussichtsplattform gelangen die Besucher als erstes zu den drei im botanischen Garten liegenden Gewächshäusern unter den Kuppeln.
Der Landschaftspark umfasst außerdem ein Forschungszentrum mit Labors, Studios, einem Bürogebäude, Werkstätten, Sitzungsräumen, Vorlesungsräumen und einer eigenen Bibliothek. Über einen gemeinsamen Verbindungstrakt im Erdgeschoss können mehrere unterschiedlich große Pavillons erschlossen werden. Delugan Meissl Associated Architects ist es in Kooperation mit internationalen Partnern verschiedenster Disziplinen gelungen, eine raue und verlassene „Mondlandschaft“ in eine faszinierende und florierende, scheinbar fremde Welt zu verwandeln. Ein Blick in die Zukunft?
Taiyuan Botanical Garden China
Jinyuan District, Taiyuan City, China
Bauherr: Botanical Garden Taiyuan
Planung: Delugan Meissl Associated Architects
Architecture Executive planning: Institute of Shanghai Architectural Design & Research (Co.,Ltd.)
Mitarbeiter: Sebastian Brunke, Diogo Teixeira, Maria Dirnberger, Volker Gessendorfer, Bernd Heger, Tom Hindelang, Klara Jörg, Rangel Karaivanov, Leonard Kern, Kinga Kwasny, Toni Nachev, Martin Schneider
Statik: Bollinger + Grohmann Ingenieure, StructureCraft
Landschaftsplaner: Beijing BLDJ Landscape Architecture Insitute Co.,Ltd. & Valentien+Valentien Landschaftsarchitekten und Stadtplaner SRL
Holzkonstruktionen: StructureCraft
Grundstücksfläche: 183 ha
Nutzfläche: 54.600 m2
Planungsbeginn: 2015
Bauzeit: 2017 – 2021
Fertigstellung: 02/2021
Text: Linda Pezzei
Fotos: CreatAR
Kategorie: Projekte