VinziRast mittendrin – gaupenraub+/-

5. März 2014 Mehr

VinziRast

Die ‚VinziRast mittendrin‘ ist eine Architektur, in der das Soziale den Gedanken des Miteinander zum Prinzip erklärt hat. Es ist ein Projekt, das es eigentlich gar nicht geben dürfte, zumindest nicht in Wien, wenn man an das Kampierverbot im Stadtpark denkt. Aber wie so oft setzt sich die Zivilgesellschaft und die Courage Einzelner manchmal doch gegen borniertes, systemkonformes Denken durch.

Es beginnt schon bei der Tatsache, dass ein Industrieller und Philanthrop ein Biedermeierstadthaus an den Verein ‚VinziRast‘ schenkt. Das war der Grundstein zu einem bis jetzt einmaligen Versuch, Schwellen zwischen sozialen Schichten abzubauen und das Menschliche in den Vordergrund zu stellen.

Umgebaut und adaptiert wurde die Architektur von gaupenraub+/-, einem Büro, das sich sehr genau mit den Grenzen, Schwellen und Unmöglichkeiten sozial ausgegrenzter Menschen befasst hat. Wie soll man einem Obdachlosen, der an den Rand der Gemeinschaft geraten ist und das Wohnen sozusagen bereits verlernt hat, wieder zu einem Heim verhelfen? Was bedeuten für diese Menschen Barrierefreiheit und Standards, K-Werte? Braucht er 2,50 Meter Raumhöhe (Bauordnung), wenn ihm eine ‚Höhle‘ unter Brettern, mit Fetzen behängt, näher als alles andere ist?
Mit Architekt Alexander Hagner von gaupenraub unterhielt sich Peter Reischer über den Zugang zu ‚alt oder neu‘ anhand des Beispiels ‚VinziRast mittendrin‘.

VinziRast

Man kann alt oder neu als These und Antithese sehen – wie sehen Sie das bei diesem Gebäude?

Ich werde immer mehr ein Freund des Gedankens, mit dem ‚was da ist‘ zu arbeiten. Dinge, die da sind, machen durchaus Sinn, wenn sie alt aber nicht kaputt sind.

Ihr Entwurfsprinzip beinhaltet auch immer die ‚Spurensuche‘. Was haben Sie bei der Suche in diesem Objekt gefunden?

Ich bin – als Vereinsmitglied von VinziRast – von der Obfrau Cecily Corti angerufen worden, ob ich mir dieses Objekt anschauen könnte, und zwar hinsichtlich einer Adaptierung und Renovierung. Es waren eigentlich zwei Häuser, beide aus den Jahren um 1820, die aber ein Gebäude für eine ehemalige Kinderwagenmanufaktur darstellten. Die ist aber erst nach dem 2. Weltkrieg im Gebäude gewesen, denn wir haben alte Pläne gefunden, in denen das jetzige Lokal ‚Café Hochschule‘ hieß. Also es war schon einmal – zumindest in der Zwischenkriegszeit – ein Kaffeehaus und hat auch etwas mit Studenten zu tun.

Das heißt, den Restaurationsbetrieb könnte man schon als ‚Fundstück‘ bezeichnen?

Ganz genau, auf den Plänen waren auch die Küche und die WC-Gruppe an derselben Stelle wie heute eingezeichnet.

Könnte man die Tatsache, dass es jetzt gut funktioniert, auf die ursprüngliche, gewesene Situation zurückführen?

Das wäre mir zu gewagt. Es hat mehr mit dem, wie wir mit dem Objekt umgegangen sind zu tun, und auch mit den Menschen, die sich hier befinden und arbeiten. Es liegt zum Beispiel auch am Maître des Betriebes, er war früher im ‚Neni‘ im Stilwerk. Bei der damaligen Besichtigung des Objektes kam ich zur Ansicht, dass es für den Verein ‚VinziRast‘ geeignet wäre. Es hat jahrelang leergestanden, war Bauklasse 2 mit dem alten Biedermeierstraßenprofil und ist in der Schutzzone. Beim Abbruch und Neubau hätte man eine Arkade mit einem öffentlichen Durchgang herstellen müssen. Die 5 Straßenbahnlinien in der Währingerstraße hätten ein derartiges Vorhaben gewaltig erschwert. Wir haben uns dann auf den vorderen Teil des Objektes konzentriert, beide Teile – das wäre zu groß geworden. Ein Haus ist eben ein Haus, das stellt einen Wert dar, ist ein Kapital. Wenn man sich darauf einlässt und die Nutzungen es ermöglichen ist das ein großer Pluspunkt für den Start des Projektes.

VinziRast

Was war, außer den physischen Gegebenheiten, für Sie bei Ihrer Spurensuche noch wichtig?

Ich kannte das Gebäude sehr gut vom Vorbeigehen, das Kinderwagengeschäft kannte wahrscheinlich jeder in Wien. Es war ein Eckhaus und streckte die Nase in den Stadtraum hinein. Meiner Meinung nach war vor 100 bis 200 Jahren ein bisschen mehr ‚Consciousness‘ (Bewusstheit) für das Bauen vorhanden.

Sehen Sie in der derzeitigen Nutzung – abseits des herkömmlichen Wohnungsbau- und Renditegedankens – einen Bruch oder eine Weiterentwicklung in gesellschaftlicher Hinsicht?

Ich kenne Kollegen, die mit Investoren im Haus waren, genau zu diesem Zweck. Die haben es offenbar als zu klein oder zu aufwendig gefunden. Oder die Schutzzonenbestimmungen waren ihnen zu restriktiv. Deswegen ist es so lange leergestanden und Herr Haselsteiner konnte es günstig erwerben und dem Verein schenken. Den gesamten Aus- und Umbau haben wir ganz normal ausgeschrieben und finanziert. Allerdings haben wir sehr viel Material von der Bauindustrie und auch Leistung geschenkt bekommen.

Wie haben Sie es geschafft, trotz der Bauordnung ein (fast vollwertiges) Geschoss mehr bauen zu dürfen?

Es war uns sehr schnell klar, dass mit dem alten Dachstuhl nichts anzufangen ist. Die Traufenkante war ein Meter tiefer als Bauklasse 2 (10,5 Meter).
Wir haben herausgefunden, dass die alte Fassade einer Regel unterliegt: Wenn man die Höhe des Erdgeschosses mit 0,75 multipliziert, erhält man genau die Höhe des nächsten Geschosses und so weiter. Das hat man in der Biedermeierzeit gemacht, um durch die Perspektive das Haus höher erscheinen zu lassen.
Diese Regel hätte ein weiteres Geschoss mit einer 1 Meter höheren Traufenkante als erlaubt ergeben. Unser Argument bei der Behörde war, wenn es darum geht, einen schützenswerten Bestand zuhaben, dann muss man die Regeln dieses Bestandes auch für die Erneuerung akzeptieren. Da wir keine Dachflächenfenster wollten und Gaupen aufgrund unseres Namens nicht infrage kamen, haben wir das gesamte Volumen, das wir auch in die Lackierergasse hinein, konsumieren hätten dürfen, als Volumen am Eck mit der Währingerstraße verbraucht. Dadurch haben wir nicht nur ein komplettes neues (fast Voll-) Geschoss, sonder auch noch ein Dachatelier geschaffen. Dieses dient städtebaulich als volumenmäßiger Vermittler zwischen dem Bauklasse 4-Nachbarn und der Biedermeiersubstanz mit Bauklasse 2.
Wir hatten das Glück, dass alle im Bauausschuss das Projekt – hinsichtlich §69 – unterstützt haben, das war das erste Mal in der ganzen Zeit, in der wir für obdachlose Menschen arbeiten.

VinziRast

Bewahren wird oft mit einer konservativen Haltung in Verbindung gebracht. Was bedeutet ‚bewahren‘ für Sie bei diesem Projekt?

Zuerst sind wir durchgegangen und haben die sogenannten ‚Identitätsstifter‘ festgestellt, was macht das Haus aus? Biedermeierhaus ist ja nicht gleich Biedermeierhaus. Das hat natürlich subjektive Aspekte in sich. Da waren einmal die Steinfaschen bei den Fenstern im Hof, dann die vielen 200 Jahre alten Türen aus Holz, teilweise mit geätzten Gläsern. Im Hof gab es ein Magazingebäude, das fast den ganzen Hof besetzte. Da ein Lokal im EG entstehen sollte, und dieses einen Gastgarten für den Sommerbetrieb benötigte, fiel der Entschluss, das Magazingebäude abzureißen. Dabei entdeckten wir unter dem Pultdach des Objektes eine versteckte, tonnenförmige Stahl-Glaskonstruktion (wie bei der Postsparkasse). Diese haben wir gesäubert und erhalten – sie bildet jetzt eine Laubenkonstruktion, ein Rankgerüst für Weinpflanzen, die den Hof einmal überdecken werden. Außerdem haben wir den Raum für die Erschließung mittels Laubengängen gewonnen – die Fluchtwege und der Lift sind im Hof situiert, die Konstruktion für die Laubengänge ist von oben abgehängt, um den Hof stützenfrei zu erhalten.

Was konnten Sie noch alles ‚retten und bewahren‘ bei diesem Projekt?

Wir haben allein 100 Stunden bei dem Projekt diskutiert, über Dinge, die die Baufirma wegschaffen und entsorgen wollte, wir aber nicht. Wir wollten alles, was ‚brauchbar‘ war, sanieren, aber nicht restaurieren. Es eben mit den Spuren der Zeit weiterverwenden. Wir wollten nicht mit ‚Botox‘ etwas Altes auf jung trimmen. Wir haben gereinigt und repariert und auch nicht neu angemalt, das war das Konzept. Die alten Dachsparren haben wir gereinigt und daraus die Bar im EG konstruiert. Die Tischbeine für die Kaffeehaustische sind alt, so wie wir sie eben gefunden haben. Die Tischplatten, mit denen die Gäste in Berührung kommen, sind natürlich neu, aus feinporigem Ahornholz.

VinziRast

Wieso ist Ihnen die Sichtbarmachung des ‚Gewesenen‘, so wichtig?

Weil uns das ausmacht! Das ist unsere Geschichte und es macht Spaß, daran anzuknüpfen.
Speziell bei diesem Projekt war es mir wichtig, alles mit einer gewissen Würde zu behandeln. Weil die Menschen, die hier leben und leben werden, sind viele, die von der Gesellschaft schlimmer als ein ‚Wegwerfprodukt‘ behandelt worden sind. Kein Mensch verdient dieses Schicksal.

Die Obstkistenbretter, die als Deckenverkleidung im Restaurantbereich verwendet wurden, wie ist diese Idee zustande gekommen?

Auch da ging es nicht um Nachhaltigkeit, sondern um das Naheliegende. Obst und Gemüsekistchen dürfen für Lebensmittel nur einmal verwendet werden, dann werden sie entsorgt. Wir hatten hier bei diesem Projekt sehr viele Arbeitskräfte, das heißt Stunden zur Verfügung. Das ist heute der Großteil der Kosten. Wir konnten nun über viel Arbeitsleistung Wegwerfprodukte zu einem neuen Wert transformieren.

Das ist also nicht nur ein monetärer Aspekt, sondern eine neue Art der Nachhaltigkeit als Wertschöpfung, als Wertschaffung?

Studierende und Obdachlose haben eines gemeinsam – sie haben wenig Geld. Diese Kisten werden massenhaft weggeschmissen. Eine Einzelne ist nichts wert, aber in der Masse, in der Gemeinschaft ergeben sie einen Wert. Das ist für mich ein Synonym für dieses Projekt. Über 40 Menschen haben über Monate daran gearbeitet, diese Bretter vorzubereiten. Obdachlose, die erst am Abend wieder in ihre Schlafstelle konnten, haben tagsüber in einem leer stehenden Ladenlokal die Kisten zerlegt und eine sinnvolle Beschäftigung gefunden. So hat das Projekt schon stattgefunden, bevor es überhaupt fertig war.

VinziRast

Wie sind Sie bei der Behandlung der alten Mauern und der Substanz vorgegangen?

Wir wollten eigentlich viel mehr von der alten Optik erhalten, das hat aber die Baufirma nicht zugelassen. Schließlich sind alle Wände weiß gestrichen worden. Im Keller bei den WCs haben wir teilweise altes, sichtbares Ziegelmauerwerk und daneben Putzflächen. Die alten Dachbodenziegel haben wir ausgelöst und als Bodenbelag in den Werkstatträumen des EGs weiterverwendet. Die Baufirma wollte natürlich sämtliche Parkettböden herausreißen und wieder neu verlegen, um die ganzen Installationen im Boden unterzubringen. Aber ich kann nicht einen 200 Jahre alten Fischgrätparkettboden wegschmeißen. Für diese Haltung gibt es leider im Mainstream noch kein Verständnis. Beim Vintage-Design wird mit dem Akkubohrer das Wurmloch künstlich gebohrt – da lasse ich es doch lieber gleich alt.
Vielleicht hätten wir 3 Wochen schneller bauen können, aber in den nächsten 50 Jahren interessiert es niemanden, ob wir 11 oder 12 Monate gebraucht haben. Dann geht es nur mehr darum, ist es gut und um die Qualität, die entstanden ist. Wir leben in einer Welt, die aufgrund der zunehmenden Industrialisierung immer synthetischer wird. Im Vortragssaal im Keller – das Haus ist zur Hälfte unterkellert – gab es ‚Wiener Platzl‘ und darin eingesetzte Glasbausteine. Diese mussten wir entfernen, haben dann die Fehlstellen einfach ausbetoniert und in der Untersicht das so gelassen, als ‚Flickwerk‘.

Wie erklären Sie den optischen Materialbruch (alt und neu), der in dieser Architektur zu spüren und zu sehen ist?

In der Außenfassade ist das die Authentizität, das Bekenntnis zum verwendeten Material. Bei uns gibt es nichts, das aussieht wie Holz aber keines ist. Das hat mit einer Haltung zu tun. Ich will in einer Welt leben, in der Schein und Sein nicht weit voneinander entfernt sind.

 

Text: Peter Reischer, Fotos: Kuball, Schubert

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Kategorie: Projekte