Temporären Forschungspavillon aus Holz
Von oben betrachtet meint man, eine Seeanemone oder ein ähnlich fein strukturiertes Untersee-Lebewesen zu erblicken. Dieser Eindruck wird auch durch die geschwungene, amorphe Form des Pavillons verstärkt – beinahe glaubt man, das Wiegen und die Wellen des Meeres zu spüren. Doch der Eindruck täuscht: Die vielen feinen, bis zu 10 Meter langen und nur 6,5 mm starken Lamellen aus Sperrholz sind nach einem genau ausgeklügelten System zusammengefügt, und der so entstandene Pavillon besitzt neben seiner optischen Anmutung auch eine enorme Steifigkeit.
Experimentelle Architektur
Ende Juli 2010 realisierten das Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart einen temporären Forschungspavillon aus Holz. Wissenschafter der beiden Institute untersuchten in Zusammenarbeit mit den Studierenden, wie neuartige computerbasierte Entwurfsmethoden sowie die numerische Simulation des Tragwerks und Materialverhaltens zu neuen architektonischen und konstruktiven Möglichkeiten führen, die auf dem elastischen Biegeverhalten von Holz beruhen.
Die Konstruktion basiert auf elastisch gebogenen Sperrholzlamellen. Diese werden so gekoppelt, dass sich eine Aufteilung in zugund biegebeanspruchte Segmente ergibt, wobei jedes Zugsegment das benachbarte Biegesegment elastisch in Form hält. Die dabei eingebettete Eigenspannung erhöht die Steifigkeit des Gesamtsystems erheblich und ermöglicht es, den gesamten Pavillon aus nur 6,5 mm starken Birkensperrholz-Lamellen zu fertigen.
Dieses entscheidende Materialverhalten der elastischen Biegung bildet die Grundlage für das computerbasierte Informationsmodell. Dafür wurde das Biegeverhalten des verwendeten Materials anhand einer Vielzahl von Tests empirisch untersucht und durch FEM-(Finite-Element-Methode-)Simulationen abgeglichen.
Das Tragwerk
Die Geometrie und System-Steifigkeit dieses biegeaktiven Tragwerks entsteht durch das elastische Verformen seiner Tragelemente. Diese werden so untereinander verbunden, dass ein stabiles Gleichgewichtssystem entsteht. Durch das Biegen von 10 m langen aber mit einer Materialstärke von 6,5 mm sehr dünnen Birkensperrholz-Streifen wird die sich selbst stabilisierende Konstruktion unter Eigenspannungen gesetzt, die dem Tragwerk zusätzliche Steifigkeit verleihen. Die Geometrie des Pavillons ergibt sich dabei aus der Kopplung von 80 einzelnen Holzstreifen zueinander und bildet einen Torus mit 10 m Außendurchmesser und einer Spannweite von 3,50 m. Das statische Modell verifiziert dabei einerseits die geometrische Form unter Berücksichtigung der eingeprägten Biegespannungen und wurde andererseits zur Bemessung der Konstruktion unter Windlasten herangezogen.
Fertigung durch CNC-Technik
Die so entwickelte Struktur wurde auf der universitätseigenen robotischen Fertigungsanlage hergestellt. Die computergestützte Fabrikationsmethode ermöglicht die notwendige Differenzierung der Konstruktion, die aus mehr als 500 geometrisch unterschiedlichen Teilen besteht. Die aus dem Informationsmodell und der Simulation stammenden Daten und Ergebnisse werden dabei direkt in den Maschinen-Code übersetzt, sodass die Informationsketten aus Entwurf, statischer Planung und örtlichen Randbedingungen nahtlos ineinandergreifen und von Anfang an in den Fertigungsprozess integriert werden können.
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Fotos: Julian Lienhard, Simon Schleicher
Kategorie: Projekte