Sliding House – dRMM Rijke Marsh Morgan Architects

18. Mai 2011 Mehr

Sliding House - dRMM Rijke Marsh Morgan Architects

Ein Glashaus in der englischen Landschaft – wunderschön, denkt man sich, dreht sich um und bewundert die Umgebung, dreht sich wieder um ist das Glashaus weg, einfach verschwunden. Statt dessen steht ein ganz gewöhnlicher Holzschuppen da: Das ist kein Zauberkunststück von irgendeinem Magier, sondern eine Realität in Suffolk, England. Ermöglicht wird diese Zauberei durch dRMM Rijke Marsh Morgan Architects, einem Londoner Büro, das schon mehrere ungewöhnliche und innovative Holzbauten realisiert hat.

Die Geschichte

Der Kunde des Architekten, ein unternehmungslustiger Mathematiker und begeisterter Motorradfahrer, gab den Auftrag, ein Haus als Rückzugsbereich aus dem hektischen Londoner Stadtleben zu entwerfen. Das Grundstück war schnell gefunden, eine ländliche Gegend in Suffolk, im Osten von England, doch die Bebauungsbedingungen und Behördenvorschriften erforderten eine Denksportaufgabe.
Der Bau musste den länglichen, traditionellen, mit Holz verkleideten Schuppen der Gegend nachempfunden werden. Bei der Lösung der Aufgabe half die Begeisterung der beiden (Architekten und Auftraggeber) für die volkstümliche, ländliche Architektur. Nachdem einige Alternativen überlegt worden waren, beschloss man, die Eigenschaften der lokalen, mit Holzfassaden versehenen Schuppen einfach etwas zu manipulieren.

Ein ganz normaler Bau?

Herausgekommen ist ein 28 Meter langes „normales“ lineares Gebäude, das genau nord-süd gerichtet und an der Nordostgrenze des Grundstückes situiert ist. Ein 16 Meter langes Wohnhaus, 5 Meter Garage und ein 7 Meter langer Zubau. Die Garage ist aus der Achse hinausgesetzt, wodurch sich eine Hofsituation bildet.
Bei allen drei Körpern wurden die baurechtlich erlaubten Maximalmaße von 5,8 Meter Breite und 7 Meter Höhe genau eingehalten. Diese fest stehenden Körper sind mit eindeutigen Oberflächen versehen: roter Kunststoff und Glas beziehungsweise rot und schwarz gestrichenem Lärchenholz bei Garage und Zubau. Von der Straße – die hinter dem Gesamtkomplex verläuft – aus gesehen, ist die Choreografie der Funktionen eine logische Konsequenz: zuerst der Zubau, dann die Garage, dann das Wohnhaus. Der Zubau – der als Gästehaus ausgelegt ist – und die Garage sind in einer modularen Holztafelbauweise errichtet. Das Wohnhaus wiederum ist geteilt, die eine Hälfte beinhaltet die Technik- und Schlafräume und ist auch in modularer Holzbauweise errichtet. Die zweite Hälfte ist der Wohnbereich und ist als Glashaus mit Stahlstützen und Isolierverglasung ausgebildet.

Spektakel!

Und nun passiert das Ungewöhnliche: Der vierte Teil des Hauses, ein 20 Tonnen schweres mobiles Dach samt Außenwänden, fährt über dem Gästehaus und dem Wohnhaus hin und her. Nur die Garage steht abseits. Diese fahrende Hülle ist eine völlig autonome Struktur: Stahl, Holz, Wärmedämmung, unbehandeltes Lärchenholz, verborgene Spannvorrichtungen und auf Eisenbahnschienen rollend. Das mobile Dach mit den Wänden ergibt eine wärmedämmende, isolierende Hülle, die sich vom Zubau über das Wohnhaus und das Glashaus schieben lässt. So kann eine Kombination aus geschlossenen, halboffenen und Open-Air-Räumen erzielt werden, je nach Bedarf und Witterungslage. Drei konventionelle Baukörper die durch einen vierten in ein total unkonventionelles Ambiente verwandelt werden.

Lowtech – Hightech

Jedes Element der Gesamtkomposition ist sorgfältig überlegt und proportioniert in Bezug auf Rahmen, Fenster und Wandstärken. Alle Teile wurden vorgefertigt und auf der Baustelle zusammengesetzt. Nur Fundamentarbeiten und Maßarbeiten bei der Innenausstattung fanden vor Ort statt.
Der Transport der Hülle wird durch vier verborgene Elektromotoren auf kleinen Fahrwerken bewerkstelligt. Sie sind im Aufbau der Außenwand integriert. Jeder der vier Motoren hat eine eigene Lkw-Batterie, die durch in Fotovoltaik-Paneelen erzeugten Strom gespeist wird. Die Eisenbahnschienen sind in der Fundamentplatte eingelassen. Auf dieser Platte ruht die gesamte Konstruktion des Hauses. Die sechs Meter lange Eisenbahntrasse ist mit Steinplatten verkleidet, hat einen verdeckten Wasserabfluss, bildet so eine völlig eben ausgeglichene Fläche und leitet den Besucher am Haus vorbei weiter hinunter in den Garten. Auch wurde die Möglichkeit berücksichtigt, die Schienen später einmal zu verlängern, falls sich der Besitzer entschließt, einen Swimmingpool im Garten zu errichten und diesen auch zu überdachen.

Wohnen im Freien

Viele Menschen würden gerne in einem Glashaus wohnen: Die ungehinderte Sicht, Natur, das Licht der Sonne, die Sterne in der Nacht usw., aber eigentlich ist es nicht sehr praktisch. Ein Glashaus ist entweder zu kalt oder zu warm, bietet keine Privatsphäre. Man kann das Raumklima nicht effektiv steuern, außer man benutzt eine Klimaanlage und nimmt Umweltschäden hin.
Der gläserne Wohnbereich des „Sliding House“ hingegen bringt einen thermalen Wohnkomfort bei fast keinen Kosten. Kontrolliert lässt sich die Sonneneinstrahlung nutzen, um die Räume je nach Bedarf zu erwärmen. Unterstützend wurde eine Erdwärmeheizung errichtet. Diese ist aber nur als Zusatzheizung im Winter notwendig. Der Strom für die Wärmepumpe wird durch Windenergie gewonnen. Umgekehrt lässt sich die Anlage natürlich auch zur Kühlung im Sommer verwenden.

Sliding House

Suffolk, England

Bauherr: Privat
Planung: Alex de Rijke, dRMM Architects
Mitarbeiter: Joana Pestana Gonçalves Lages, Michael Spooner
Statik: Michael Hadi Associates
Grundstücksfläche: 12.453 m²
Nutzfläche: 200 m²
Planungsbeginn: Mai 2005
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: Jänner 2009
Baukosten: 340.000 Pfund

Das „Sliding House“ bietet radikal ändernde Räume und Wohnmöglichkeiten. Vom abgeschlossenen Zimmer bis zur Badewanne unter dem freien Himmel ist es nur ein Knopfdruck. Die sich bewegende Außenhülle ist nicht nur ein Spektakel, sondern gewährt auch einen absoluten Lowcost-Betrieb puncto Energieeffizienz. Ergonomisch und ökologisch gut durchdacht, ist es trotzdem auch eine – vielleicht etwas ironische – Annäherung an die ländlichen Bauten in Ostengland.

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Kategorie: Projekte