Signatur im Hinterhof
Das Projekt „Fondation-s“ der Lobjoy-Bouvier-Boisseau Architecture aus Frankreich, in einem Hinterhof an der Rue des Archives gelegen, verzichtet auf große Gesten, ist sehr unaufgeregt und trotzdem sehenswert. Wobei das Adjektiv „sehenswert“ gar nicht so zutreffend ist. Es ist zwar sehenswert aber nicht so einfach zu sehen und zu finden. Denn die Attraktion dieser Architektur befindet sich im hinteren Teil eines tiefen Grundstückes im Herzen von Marais. Es ist eines von vielen Beispielen, die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen, wie die Fassade als Haut oder Zeichen einer Architektur benutzt werden kann.
Hier, im zweiten Hof eines gründerzeitlichen, zweigeschossigen Hauses, haben die Architekten für zwei ganz unterschiedliche Auftraggeber, für die Fondation Henri Cartier-Bresson (siehe Kasten) und die Fondation François Sommer ein neues Zentrum geschaffen. Sie haben das Gebäude mit seinen gemischten Funktionen (Wohnen, Werkstatt, Geschäfte) komplett neu organisiert und einen Platz für Ausstellungen, Arbeitsräume, Öffentlichkeit und auch Zurückgezogenheit und Schutz geschaffen. Möglich wurde dieser Schritt durch den teilweisen Abbruch einer ehemaligen Garagenhalle am hinteren Ende des Grundstückes.
Straßenseitig hat sich an der Fassade fast nichts geändert. Links von der breiten Einfahrt signalisiert ein Schaufenster mit einem kleinen Geschäftslokal bereits die Fondation Henri Cartier-Bresson. Der Strom von Laufkundschaften wird so geregelt und nur Wissende gehen bis in den hinteren Teil zu den Veranstaltungs- und Schauräumen. So bleiben die Büros der beiden Stiftungen eher geschützt und der historische Charakter des Viertels wird in keiner Weise gestört.
Die teilweise Entfernung der erwähnten Garage – die ursprünglich in einem Gemüsegarten errichtet worden war – ermöglichte die Schaffung eines zweiten Hofes. Gleichzeitig reorganisierten die Planer einige Bereiche in den bestehen gebliebenen Teilen zur Straße hin und schufen so Sichtverbindungen und Achsen, die von ganz vorne bis in die Tiefe des Komplexes reichen. Glaswände auf der Erdgeschossebene bieten dem Passanten bereits Einblicke in die, ganz hinten liegenden Schauräume der Fondation Henri Cartier-Bresson. Diese Eingangsebene ist wie ein Bühnenbild gestaltet, ständig wechselnde Stimmungen und Eindrücke begleiten den Besucher nach hinten bis in die intimeren Bereiche. Nach dem Durchschreiten einer überdeckten Passage öffnet sich der zweite Hof wie der Kreuzgang eines Klosters.
Und hier tritt auch der Überraschungseffekt ein: Der fünfgeschossige Bau – mit der archetypischen Silhouette eines Hauses mit Giebeldach – ist ab dem ersten Stock komplett hinter einer filigran anmutenden Vorhangfassade aus anodisierten Aluminiumteilen verborgen. Diese Idee ist sowohl den Wünschen nach gegenseitigem Schutz der beiden Auftraggeber, wie auch der visuellen Attraktion des Projektes geschuldet. Hofseitig bieten schmale „Pawlatschen“ Raum für die Mitarbeiter, um ein bisschen Luft zu schnappen oder doch die längst verpönte Zigarette zu rauchen und die raumhohen Glasscheiben der Büros geben (vor allem an der hinteren Seite) ziemlich beeindruckende Aussichten auf Paris ab. Die Gitterfassade bietet einen Blickschutz auch für die Mieter des zur Straße gelegenen Hausteiles. Vor allem aber ist sie die Signatur des Projektes, welches trotz seines unaufgeregten Designs durch sie eine Wichtigkeit erhält. Die nach oben hin immer luftiger werdende Struktur der Fassade entmaterialisiert sozusagen den Körper, verbirgt die profane Wirkung des eher beliebigen Bürobaus und ist doch gleichzeitig ein Eyecatcher und somit die Signatur des Projektes.
Im Erdgeschoss befindet sich die permanente Ausstellung von Fotoarbeiten, im ersten Stock die Archive und darüber Büroräumlichkeiten. Ein zusätzlicher, im zweiten Stock beginnender, grüner Hof belichtet den hinteren Teil des Hauses. Eine skulpturale Wendeltreppe – mit einer doppelten Drehung beginnend – erschließt im Inneren des Körpers (an der Feuermauer zum Nachbargrundstück gelegen) die vier oberen Geschosse.
Gerade wegen ihrer zurückhaltenden und bescheidenen Ausführung haben die Architekten im letzten Jahr für dieses Projekt eine Auszeichnung beim Architizer Award 2019 in der Kategorie „Details – Plus-Architecture + Facades“ erhalten.
Fondation-s
Paris, Frankreich
Bauherr: Fondation Henri Cartier-Bresson, Fondation François Sommer
Planung: Lobjoy Bouvier Boisseau
Statik: Somete
Bebaute Fläche: 1.969 m2
Fertigstellung: 10/2018
Baukosten: 10 Mio. Euro
Text: Peter Reischer
Fotos: Baptiste Lobjoy, Jean-Philippe Caulliez
Kategorie: Projekte