Razzle Dazzle in Ravenna – Powerbarn
Razzle Dazzle in Ravenna
Powerbarn / Ravenna, Italien / Giovanni Vaccarini Architetti / Razzle Dazzle
Den Planern von Giovanni Vaccarini Architetti ist mit ihrem Powerbarn in Ravenna ein beeindruckendes Beispiel für ein gelungenes Miteinander von Industrie, Landwirtschaft und Bevölkerung gelungen. Um die Biomasseanlage in die umgebende Naturlandschaft einzubetten, bediente man sich neben der gezielten landschaftlichen Gestaltung der alten Militärcamouflagetechnik des sogenannten Razzle Dazzle.
Die Camouflagetechnik des „Razzle Dazzle“ geht auf den britischen Marine-Künstler Norman Wilkinson zurück, der eine Methode entwickelte, mittels geometrischer Formen Objekte „verschwinden“ zu lassen. Konkret kam diese Tarnfunktion für Schiffe im Ersten und Zweiten Weltkrieg zum Einsatz. Das sogenannte dazzle painting zielte damals darauf ab, durch komplexe Muster und kontrastierende Farben große Objekte undefinierbar erscheinen zu lassen. Der italienische Architekt Giovanni Vaccarini griff für seinen Entwurf des Powerbarn in Ravenna auf genau dieses Prinzip zurück: „Ich habe das Razzle Dazzle sehr genau studiert, um eine unkonventionelle architektonische Lösung konzipieren zu können. Es geht nicht darum, sich zu verstecken, sondern dem Betrachter eine andere Realität vorzuschlagen: Eine komplexere und trügerische, die paradoxerweise seine Aufmerksamkeit erregt und ihn über das, was er sieht, wundern lässt.“
Abgesehen von der für einen Industriebau überraschend ästhetisch anmutenden Außenhülle ist dieses Projekt ein spannendes Beispiel für eine funktionierende Verzahnung von Industrie und Landwirtschaft. Das im Herzen der italienischen Region Romagna gelegene Kraftwerk für Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen befindet sich nämlich auf dem Gelände einer ehemaligen Zuckerfabrik. Die gesamte Gegend lebt nach wie vor vom Anbau von Zuckerrüben und Obstbäumen. An diesem speziellen Standort wurde die Kultivierung jedoch mittlerweile eingestellt, sodass sich heute auf dem riesigen Areal nur noch Lagerhallen befinden. Der Rest des Geländes, darunter drei große Feuchtgebiete, wurden restauriert und der Gemeinde zurückgegeben. Der verbleibende Teil von rund 167.000 m2 Fläche wird derzeit einer Wiederbelebungsphase unterzogen.
„Unsere Absicht war es, am Rande des Gebiets eine Art natürliche Bastion, fast eine Düne, zu errichten, die jetzt zum Leuchtturm für die Energieerzeugung wird – ein Element, das eng mit den ökologischen Funktionen der Umwelt verbunden ist. Keine Barriere, sondern ein funktionales Element, das unsere gestalterischen Absichten zum Ausdruck bringt: ein durchlässiges, zugängliches und lebendiges Element“, beschreibt Vaccarini die Intention seines Entwurfs.
Wobei wir wieder bei benanntem Razzle Dazzle wären. Denn um den massigen Bau der Bioenergie-Produktionsanlage elegant in die bestehende Naturlandschaft einzubetten, bedienten sich Giovanni Vaccarini Architetti eben dieser Technik. Anstelle von farbigen Mustern tarnt eine Art Holzhaut, zusammengesetzt aus Polygonen, die in unterschiedlichen Winkeln aneinanderstoßen, den Gebäudekomplex. Zusätzlich wechselt die Verlegerichtung der Holzlatten je nach Element. Als Folge wird der monolithische Baukörper optisch in mehrere unzusammenhängend wirkende Teile aufgelöst, dessen Wahrnehmung sich zusätzlich je nach Standort weiter verändert. Das Bauwerk wirkt auf diese Weise skulptural und anziehend, anstatt bedrohlich und einschüchternd. Der abgesetzte rund 50 m hohe Schornstein sorgt dabei beinahe für eine sakrale Anmutung – für einige Betrachter mitunter nicht einmal so weit hergeholt, schließlich ist dieser neue Pol der alternativen Stromerzeugung wegweisend für Italiens Energiewirtschaft zu betrachten.
Der hochtechnische Komplex erschließt sich dem Besucher erst bei genauerer Betrachtung. Aus der Ferne hingegen fügt sich das Kraftwerk ganz natürlich in die umgebende Naturlandschaft ein.
Besonderes Augenmerk legten die Gestalter auch auf die Ränder ihrer Planungsfläche. Die umgebende Naturlandschaft wurde aktiv in den Gestaltungsprozess mit einbezogen. So fungieren gebaute „Dünen“ (ein für die adriatische Landschaft typisches Element) wie ein Rahmen für den gesamten Entwurf. Die aus dem Aushub der Baugrube geformten Wälle ragen zwischen drei und zehn Metern rund um das Kraftwerk gen Himmel und bieten sowohl Fußgängern, als auch Radfahrern mit ihrer durchdachten Gestaltung aus Bepflanzung und Wegenetzen ein wertvolles Naherholungsgebiet. Der Damm dient nebenbei gleichermaßen als Schnittstelle wie Verbindungspunkt zwischen landwirtschaftlicher und industrieller Zone. Anstelle von Industriezäunen und Abschottung wählten die Architekten den Ansatz der Integration und Zugänglichkeit, realisiert durch ein Lowtech-Umweltsystem und geformt durch den Erdbau.
Die Biomasseanlage ist mit ihrer Leistung von 30 MW schließlich auch unmittelbarer Energielieferant für die Bevölkerung. Neben der, aus der Umgebung anfallenden, Biomasse wird das Kraftwerk mit etwa 100 m Länge und 30 m Höhe mit Hackschnitzeln befeuert, wobei alle Materialien aus einem Umkreis von 70 km stammen. Die jährliche Produktion des Vorzeigeprojekts wird auf 222 GWh geschätzt, mittels derer 84.000 Familien mit Energie versorgt werden können. Dies soll langfristig eine signifikante Einsparung der Emission von Treibhausgasen in die Atmosphäre garantieren.
Mit Powerbarn beweisen Giovanni Vaccarini Architetti eindrucksvoll, dass sich Industrie, Landwirtschaft und Kulturraum nicht ausschließen müssen, dass eine strikte Abgrenzung nicht immer nötig ist und dass am Ende ein respektvolles Miteinander den größten Mehrwert für ganze Regionen bieten kann. Wenn es dazu ein bisschen Razzle Dazzle bedarf, so sei diese ehemalige Militär-Taktik heute als pazifistisches Mittel zu einem stärkeren Miteinander wärmstens empfohlen.
Powerbarn
Ravenna, Italien
Bauherr: Powercrop Russi srl
Planung: Giovanni Vaccarini Architetti
Grundstücksfläche: 470.000 m2
Bebaute Fläche: 167.000 m2
Bauzeit: 2016 – 2019
Fertigstellung: 2019
Fotos:©Massimo Crivellari
Text:©Linda Pezzei
Kategorie: Projekte