Nachhaltiges Bauen im urbanen Kontext

22. September 2022 Mehr

Verkkosaari ist eines der bedeutendsten Wachstumsgebiete in Helsinki. Das ehemalige Hafen- und Industriegelände wird sukzessive revitalisiert und durch Geschäftsflächen, öffentliche Bauten und Wohnungen mit neuem Leben gefüllt. Mit dem Urban Environment House realisierten Lahdelma & Mahlamäki architects einen der Neubauten und machten diesen zum Vorbild für kompakte, nachhaltige Architektur in der finnischen Hauptstadt.

 

 

Das Projekt führt sämtliche Abteilungen des städtischen Bauamtes – welches für die Bereiche Stadtplanung, Bau und Umwelt in und um Helsinki zuständig ist – an einem Ort zusammen. Mit seinen fast 41.000 m2 nimmt der Komplex eine zentrale Rolle auf dem urbanen Areal ein und soll zugleich die hohen Baustandards der Stadt zeigen. Das Planerteam entwickelte dafür ein Gebäude mit L-förmigem Grundriss. Dieses fasst mit dem angrenzenden Bestand blockrandartig einen gemeinsamen Innenhof ein. Programmatisch und technisch besteht das Urban Environment House aus drei separaten Trakten, die von außen durch Einschnitte in der Kubatur und Dachterrassen klar erkennbar sind.

 

 

Die Gestaltung des Baukörpers ist von der Vergangenheit des Viertels inspiriert: Dunkelbraune Ziegel wechseln sich mit raumhohen Verglasungen ab und fügen sich zu markanten Lochfassaden zusammen. Die Fenster sitzen tief in den Ansichten und unterscheiden sich je nach Funktion im Inneren in ihrer Größe. Während sie in manchen Bereichen quadratisch ausgeführt sind, bleiben an anderen Stellen nur schmale Streifen übrig. Dazu kombinieren die Architekten glänzende Kupferbleche und Holzakzente sowie verschiedene Fugenarten und runden den industriellen Charakter des Baus so harmonisch ab. In der Sockelzone öffnet sich das Urban Environment House über Backsteinbögen zum Stadtraum. Diese erstrecken sich an den Außenecken über bis zu zwei Geschosse. Mit ihren vorgelagerten Arkaden leiten sie Passanten und Bürger für Behördengänge ins Innere und weisen auf die vorwiegend öffentliche Nutzung der unteren beiden Stockwerke hin. Man findet hier neben der repräsentativen Eingangshalle mit Platz für Ausstellungen und Auskünfte auch ein Auditorium, ein Café und ein Restaurant.

 

 

In den darüberliegenden Etagen sind die Arbeitsplätze von insgesamt 1.500 Mitarbeitern untergebracht. Dank der großen Fenster und mehr als 4 m Raumhöhe wirken die Bürogeschosse trotz tiefer Grundrisse hell und großzügig. Die raue Materialpalette setzt sich auch in den Innenräumen fort. Mit Ziegel, Beton, Holz und unverkleideten Installationen wollten die finnischen Planer ein sowohl modernes als auch archaisches Ambiente und damit ein ganz besonderes Arbeitsumfeld schaffen. Rund um eine zentrale Zone mit Treppenhauskernen und versorgenden Räumen ordnen sich im gesamten Komplex zunächst Erschließungsflächen und schließlich die nach außen orientierten Büros an. Um die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen zu erleichtern, bezog man die zukünftigen Nutzer in den Entwurfsprozess mit ein und rückte das gelebte Miteinander in den Mittelpunkt. Das Ergebnis ist ein bunter Mix aus Open-Space-Flächen und ruhigen Arbeitsbereichen. Dazu kommen Konferenzzimmer und diverse Räume für Besprechungen. Als Sitzstufen ausgeführte Holztreppen und Lufträume durchbrechen die Geschossplatten immer wieder und verbinden die einzelnen Niveaus. Pausenräume und Sportmöglichkeiten runden das Raumprogramm ab und bieten den Angestellten einen Ausgleich zum Arbeitsalltag. Zu einer Auszeit an der frischen Luft laden mehrere Dachterrassen ein. Sie sind mit kompakten Pavillons ausgestattet und warten mit verschiedenen Materialien, Formen und Bepflanzung auf.

 

 

In Sachen Nachhaltigkeit macht das Urban Environment House seinem Namen alle Ehre. Sämtliche Entscheidungen wurden unter der Prämisse der Langlebigkeit getroffen. Dabei konzentrierte man sich nicht nur auf einzelne Bauteile, sondern auf den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes. Nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft wählte man nach Möglichkeit Cradle to Cradle-zertifizierte Werkstoffe. Darüber hinaus soll maximale Flexibilität eine möglichst lange Nutzung garantieren. Bereits mit kleinen Änderungen kann künftig auf neue Anforderungen reagiert werden. Die Klimatisierung der Innenräume beruht auf einem System, welches die Temperatur des Meerwassers zur Kühlung nutzt. Intelligente Lüftungsanlagen passen sich automatisch der Auslastung der Bereiche an und optimieren so den Energiebedarf. Ein mobiler, textiler Sonnenschutz verschattet die Fenster an der Südfassade je nach Einstrahlung und verhindert, dass sich das Gebäude aufheizt. Als Niedrigstenergiehaus produziert das Gebäude einen Teil seiner benötigten Energie mittels Solarpaneelen auf dem Dach selbst. Neben der Photovoltaik-Anlage befinden sich ganz oben auf dem Komplex zusätzlich über 20.000 Pflanzen. Das 5.000 m2 große Gründach wird inmitten der Stadt mit Sträuchern, Kräutern, Insekten und mehr zu einer kleinen Oase der Biodiversität. Neben natürlichem Lebensraum für Fauna und Flora stellt der Dachgarten eine wertvolle Versickerungsfläche dar. Auch die Benützer sollen das Ihre zur Umweltbilanz des Baus beitragen: Im Gegensatz zu nur 75 Auto­stellplätzen motivieren 600 Fahrradparkplätze dazu, auf nachhaltigem Wege in die Arbeit zu kommen.

 

 

Helsinki will bis 2035 komplett CO2-neutral sein und scheint mit öffentlichen Gebäuden dieser Art auf dem besten Wege dorthin zu sein. Für sein ganzheitliches Konzept erhielt das Projekt eine herausragende BREAAM-­Zertifizierung. Zudem wurde der gesamte Planungs- und Ausführungsprozess mittels modernster BIM-Technologie abgewickelt und dafür auch mit dem finnisch-baltischen Tekla BIM Award 2020 ausgezeichnet. Damit wird das Urban Environment House zu einem wegweisenden Büroneubau, der positive Impulse für andere urbane Bauvorhaben auf der ganzen Welt gibt und dabei zeigt, wie der Stadtraum nachhaltiger werden kann. Doch auch auf den klimatischen Extremfall bereiteten Lahdelma & Mahlamäki architects den Bau vor: Das Fundament ist bis auf einen Anstieg des Meeresspiegels von drei Metern ausgelegt.

 

 

Urban Environment House
Helsinki, Finnland

Bauherr: Stadt Helsinki
Planung: Lahdelma & Mahlamäki architects
Team: Illmari Lahdelma (Entwurf), Teemu Seppälä (Projektarchitekt), Minja Hildén (Innenarchitektur)
Statik: Ramboll Finland
TGA: Rejlers
Landschaftsplanung: LOCI Landscape Architects
Akustik: Akukon
BIM-Koordination: Tietoa Finland
Innenraumdesign: Eskola Interio & Salla Kantokorpi

Bebaute Fläche: 6.000 m2
Nutzfläche: 40.900 m2
Planungsbeginn: 09/2016
Bauzeit: 12/2017 – 07/2020

www.lma.fi

 

 

Kategorie: Projekte