Lernen und Forschen im Kubus – Aachen
CT² Center for Teaching and Training / Aachen / sop
Der platonische Körper
Ein Würfel, als einer der fünf platonischen Körper, zum Torbogen von sop architekten geformt, bildet den Eingang zum neuen RWTH Campus in Aachen. Verschiedenste Maßnahmen tragen hier zu einer nachhaltigen und zukunftsweisenden Architektur bei.
Dieser Kubus wird nicht umsonst das „Tor zur Welt der Biomedizin“ genannt. Das CT², entworfen von slapa oberholz pszczulny | sop architekten für die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH), stellt städtebaulich den Auftakt für den dahinter liegenden Campus Melaten dar. Er ist der erste einer Reihe von insgesamt 16 Forschungsclustern mit Büroflächen, Hallen und Laboreinrichtungen für mehr als 10.000 Mitarbeiter, die in den kommenden Jahren auf einer Fläche von rund 800.000 m² entstehen werden. Und der architektonischen Leitidee folgend, verkörpert das Gebäude mit seinen geschlossenen Seiten und den transparenten, einladenden Glasfronten auch genau das: ein Tor, eine Durchgangsgeste zum dahinter liegenden Campus. Die Architektur bietet durch die Verzahnung von Theorie und klinischer Praxis hochmoderne Ausbildungsmöglichkeiten für Studierende der Fachrichtungen Medizin, Zahnmedizin sowie Biomedical Engineering.
Die Architekten haben für den Entwurf die Form eines Würfels gewählt: Ein Körper, der nach den Regeln der fünf platonischen Körper, nicht weiter reduziert werden kann. Er steht frei auf einer Ebene und präsentiert sich. Bewusst haben sie auch den Kontrast der harten Form mit dem organischen Grün des Umraumes gesucht, eine Architektur, die fast ein wenig skulptural erscheint. Um die Proportionen des Würfels und die Gleichheit aller beteiligten Kanten (lt. Platon) einzuhalten, musste die Gebäudehöhe vergrößert und die Fassaden nach oben hin verlängert werden. Dadurch ließ sich die auf dem Dach vorgesehene Haustechnik ins Innere des Gebäudes integrieren. So erbrachte die Verbesserung der Gebäudeproportion gleichzeitig die Vermeidung sichtbarer Dachzentralen und unschöner Aufbauten.
Der Eindruck der Durchgangssituation wird vor allem optisch durch die vordere und die hintere Glasfront erzielt. Die Rahmen dieser gläsernen Fassaden – aus grauen hochqualitativen Betonfertigteilen bestehend – werden an den seitlichen Flanken des Kubus mit einem feinen Edelstahlgewebe zu einer fugenlosen Fläche ergänzt. Die Haut der Flanken mit ihrer begrenzten Transparenz verleiht dem Baukörper einen geheimnisvollen Charakter – sie erinnert an die Hightech Materialien der Medizin und Biomedizin und macht den Innovations- und Forschungsgeist nach außen hin sichtbar.
Optisch nahtlose Haut
Bei dem, mit einem Investitionsvolumen von rund 20 Millionen Euro errichteten Bau, werden die von Fensterbändern durchzogenen seitlichen Fassaden – wie schon erwähnt – von einer schimmernden Metallhaut überspannt, welche eine optisch nahtlose Flächigkeit erzeugt. Gleichzeitig bleiben durch die Gewebetransparenz die dahinterliegenden Räume erkennbar und die Räume erhalten genug Tageslicht. Gestaltet wird diese Hülle aus zwölf Paneelen eines Edelstahlgewebes – jede von ihnen 29,5 Meter lang und 5,4 Meter breit. Für die Wahl der gewebten Membran sprachen gleich mehrere Gründe: Die metallische Haut unterstreicht den Hightech-Anspruch des Gebäudes und gibt der Biomedizintechnik ein ebenso zeit- wie bedeutungsgemäßes Gesicht und im Zusammenspiel mit den Glasfassaden lässt sie Innen- und Außenraum miteinander kommunizieren.
Die Art der Befestigung entspricht einem gestalterischen Purismus. Das Stahlgewebe wird an Ober- und Unterkante nach einem patentierten System zwischen zwei Flachprofilen in einen Spezialkleber gebettet und damit verbunden. Spanngabeln sorgen dafür, dass das Gewebe perfekt ausgerichtet werden kann und mit der statisch erforderlichen Vorspannung den zu erwartenden Wind- und Anpralllasten widersteht. Die Paneele sind unten sichtbar an einem durchlaufenden Stahlprofil befestigt. An der Oberkante des Gebäudes wird das Gewebe dagegen nach hinten umgelenkt, sodass dort nur eine feine Gewebekante in Erscheinung tritt. Um bei einer Fassadenhöhe von 29,5 Metern die Horizontalbewegung und die Auflagerkräfte zu reduzieren, verlaufen horizontal hinter dem Gewebe sieben Edelstahlrohre als Zwischenbefestigungsebenen, an denen das Gewebe von außen unsichtbar mit Drahtbügeln fixiert ist. Die Edelstahlhülle dient auch als Sonnenschutz, der die Oberflächentemperatur der Fassade reduziert. Zugleich gewährleistet die offene Gewebestruktur ungehinderten Tageslichteinfall und freie Aussicht. So trägt sie nicht nur zur Verbesserung der Energiebilanz des Gebäudes bei, sondern steigert auch den Aufenthaltskomfort. Da Edelstahl am Ende der Nutzung vollständig recycelt werden kann, unterstützt die Membran zudem das anspruchsvolle Nachhaltigkeitskonzept des Neubaus.
Das Innenleben
Die bereits von außen sichtbare Offenheit und Interaktion wird durch das ausgeschnittene, lichtdurchflutete Atrium im Inneren des Gebäudes konsequent fortgeführt. Es befindet sich innerhalb des rund 30 Meter langen Kubus und lässt durch zahlreiche Brücken, breite Galerien und großflächige Lernbereiche eine offene und kommunikative Welt der Lehre und Forschung entstehen. In dieser Welt entstehen vielfältige Blickbeziehungen mit und zwischen allen Geschossen. Das Leitmotiv der Kommunikation und interdisziplinären Zusammenarbeit wird so im ganzen Gebäude erlebbar. Weitere Highlights sind ein 400 Personen fassender Multifunktionssaal sowie ein, mit modernster Technologie ausgestatteter, Demonstrations-Operationssaal. Bei Bedarf können beide Funktionsräume mit dem Foyer im Untergeschoss zu einem durchgängigen Veranstaltungsbereich verbunden und beispielsweise für Symposien genutzt werden.
Bei voller Betriebsauslastung fasst das Gebäude bis zu 1.200 Personen. Das im Inneren geplante Farb- und Möblierungskonzept aus Sitzgruppen, elektrifizierten Raumtrennern oder multifunktionalen Empfangstresen und Garderoben, bricht bewusst die rigide Geometrie des Gebäudes und erzeugt so eine „Wohlfühl“-Atmosphäre für konzentriertes Arbeiten und den Wissensaustausch unter den Studierenden. Sitzgruppen mit speziellen Akustikstoffen, mobile Hocker und die Raumtrenner stehen in den Lernbereichen für Meetings oder konzentriertes Arbeiten zur Verfügung.
Energie und Konstruktion
Im Projekt tragen verschiedene Anlagen und Einbauten zu einer deutlichen Energieeinsparung bei. Die durchgängige LED-Beleuchtung, die Nutzung von Solarthermie sowie der Einbau eines Eisspeichers steigerten zwar die Investitionskosten, senken nun jedoch erheblich den Energieverbrauch. Besonders hervorzuheben sind die Luftbrunnen zur natürlichen Belüftung des zentralen Atriums. Dabei wird die Außenluft über Erdkanäle geführt, die auch unterhalb des Gebäudes verlaufen. Dort erzielt die Luft einen Kältegewinn im Sommer und einen Wärmegewinn im Winter von jeweils ca. 6 Grad. Dadurch reduziert sich die übliche Erwärmung bzw. Kühlung der Zuluft um diese Beträge vollkommen kostenfrei.
Die Freiflächen wurden so gestaltet, dass in den kommenden Jahren weitere mögliche Baukörper errichtet werden können. Die Grünflächen, Parkplätze und befestigte Wege wurden daher kostengünstig, aber doch optisch hochwertig umgesetzt.
CT² Center for Teaching and Training
Aachen, Deutschland
Bauherr: Unternehmensgruppe Frauenrath
Planung: sop architekten
Mitarbeiter: Wolfgang Marcour
Statik: Kempen Krause Aachen
Grundstücksfläche: 8.550 m2
Bebaute Fläche: 2.460 m2
Nutzfläche: 3.610 m2
Planungsbeginn: 01/2015
Bauzeit: 06/2016 – 07/2018
Fertigstellung: 10/2018
Text:©Peter Reischer
Fotos:©B + E Fotografie, GKD
Kategorie: Projekte