Entfunktionalisierte Architektur
Non Program Pavilion / Salobreña / Jesús Torres García Architectes
„Wie baut man in der natürlichen Landschaft?“
Diese Frage bezieht sich auf einen Ausspruch des Architekten Oscar Niemeyer, den er in seinen letzten Lebensjahren getätigt hat. Er hängt auch gleichzeitig mit der Frage nach dem „Gewicht“ einer architektonischen Realisation in einer natürlichen Umgebung zusammen. Diese beiden Punkte bestimmen das gesamte Konzept des „Non Program Pavilion“ in der außergewöhnlichen Mittelmeerlandschaft Südspaniens, erbaut von dem in Spanien ausgebildeten und in Paris beheimateten Architekten Jesús Torres Garcia.
Das Projekt ist das Resultat dieser zwei wichtigen Faktoren: die Beziehung zwischen Form und Landschaft und die Verbindung der gebauten Struktur mit dem Boden, dem Untergrund. Die sanft gerundete Grundrissform des Bauwerkes entsteht – ähnlich einem Fußabdruck – als Antwort auf die natürlichen Landschaftsformen. Der gesamte Körper ist nur durch ein Amboss ähnliches Fundament an einem einzigen Punkt mit dem Untergrund verbunden – so wird der Eingriff in die Natur minimiert. Sämtliche raumbildenden Elemente und die Konstruktion sind als eine Ausdehnung, als eine Erweiterung des natürlichen Umraumes konzipiert. Quasi als eine Art Intervention wickelt sich die Glasfassade um den Körper und reflektiert die umgebende Landschaft als Spiegelung der Realität. Eine schon aus der Ferne wahrgenommene Transparenz, die in der Nacht durch die Beleuchtung des Innenraumes noch verstärkt wird.
Der Pavillon selbst hat kein vorbestimmtes Programm oder Funktion – die Entwurfsanforderung war, einen Raum für jede Größe und Aktivität von Gruppen zu gestalten. Ausgestattet mit einem kleinen Büro, kann der amorphe Hauptraum sehr leicht für Schulexkursionen, Veranstaltungen, Konzerte, Ausstellungen oder Ähnliches verwendet und adaptiert werden. Die ausdrückliche „Nichtdefinition der Funktion“ lässt eine Vielzahl von Nutzungen zu. Die Architektur selbst existiert als ein erzieherisches Werkzeug, das die Integration nachhaltiger Kriterien in das moderne Design verdeutlicht.
Der Raum des Pavillons ist als ein fließendes Kontinuum aufgebaut. Wenn man die Architektur als Körper definiert, dann fließt dieser Körper. Das bezieht sich auch auf die Art der Lastabtragung in den Untergrund. Normalerweise werden Lasten über ein System von verschiedenen Auflagerpunkten in den Boden übertragen. Dabei wird aber kaum über die Zerstörung der Natur nachgedacht, die dieser Weg beinhalten kann. Die erste Entwurfsskizze (und so wurde der Bau auch realisiert) – ein Schnitt – zeigt, dass der Körper eigentlich vom Grund abheben will, er schwebt über dem Boden. Er ist eine Herausforderung an die Schwerkraft. Das wird auch im Inneren deutlich. Die Absicht war, Leichtigkeit trotz der Verwendung von Stahlbeton auszudrücken und eine nicht so die Umwelt schädigende Fundamentierung zu erzielen.
Das Resultat ist unsichtbar aber es wirkt: Der Auflagerpunkt besteht aus einem einzigen, großen Stahlbetonblock. Dieser Klotz ist kompakt und damit so klein wie möglich und gleichzeitig – nach unten hin – porös. Strukturell arbeitet dieser Block wie eine 90 cm dicke Isolierschicht und auch als Luftpolster. Im Inneren des Pavillons konzentriert sich dadurch eine etwaige Feuchtigkeit im Zentrum des Gebäudes. Der Abtransport der nach außen diffundierenden Raumfeuchtigkeit erfolgt durch eine hinterlüftete Fassade aus thermal behandeltem Holz. Holz als Material arbeitet naturgemäß nach dem Prinzip der Absorption und Absonderung, und die Verwendung von Holz in der Nord- und Westfassade folgt diesem Prinzip. Dieses Verhalten ähnelt der Funktionsweise von Bäumen und Pflanzen.
Ein Phänomen, ähnlich wie bei einem mit Spiegeln gefüllten Raum, findet man im Inneren des Pavillons: Die gerundeten Glasflächen – die akustische und sensorische Eigenschaften haben – spiegeln sowohl den Schall als auch optische Wahrnehmungen. Man könnte auch von tanzenden Wänden sprechen. Das Prinzip lässt sich im Grundriss anhand von – den Raum um- und beschreibenden – Polylinien erklären. Es ist ein bisschen wie die Arbeit eines Geigenbauers: Der Raum, den das Glas schafft, wirkt in zweierlei Richtungen: thermisch und akustisch. Die gekurvten Wände schaffen eine reiche Klangvielfalt und -atmosphäre. Der Klangkörper der Gitarre oder Geige wird im Norden und Westen durch Stahlbetonwände begrenzt, im Süden und Westen durch „intelligente“ Glaswände. Die Reflexionen werden durch den schweren Teppich am Boden kontrolliert. Das Glas reflektiert die hohen Frequenzen und der Stahlbeton die mittleren und niedrigen. Die Raumform schafft in den Ausbuchtungen eine Art von Chorbereichen, ähnlich wie bei einem Gitarrenbauch – hier werden auch die Schwingungen „konzentriert“. Verstärkt wird der Effekt noch durch den schnellen Luftaustausch im Inneren, der durch die natürliche Nord-Süd-Ausrichtung der Architektur entsteht.
Durch die Stahlbetonwände und das System des Daches kann über die Bauteilaktivierung eine sehr effektive Gebäudeklimatisierung erzielt werden, die in dieser heißen Gegend von Nöten ist. Andererseits helfen die reflektierenden Glasscheiben den solaren Eintrag während des Tages zu reduzieren. Von vorne bekommt der Pavillon den direkten Sonneneintrag. Hier wurde ein Reflectasol TM Glas verbaut, es filtert das Infrarotlicht und lässt gleichzeitig die thermische Energie entweichen. Die Fassade ist nach dem Prinzip des „Mies van der Rohe Pavillons“ gestaltet – mit 2,45 Meter Höhe verhindert sie energetische Verluste und reduziert die Menge des Lichtes im Inneren.
Non Program Pavilion
Town Hall of Salobreña, Spanien
Bauherr: Plan E / Town Hall of Salobreña
Planung: Jesús Torres García · Architect
Statik: Jesús Hernández Martí
Grundstücksfläche: 280 m2
Bebaute Fläche: 263 m2
Planungsbeginn: 2010
Fertigstellung: 11 / 2012
Baukosten 283.000 Euro
Der „Non Program Pavilion“ vermittelt den Eindruck, in der Landschaft zu verschwinden. Er hebt den Konflikt zwischen dem künstlichen Eingriff und der Natur selbst auf. Ohne eine bestimmte funktionale Vorgabe ermöglicht er vielfältige Nutzungen von Ausstellungen über Konzerte bis zu seiner Eigenschaft als nachhaltiges, didaktisches Architekturbeispiel.
Text: Peter Reischer
Fotos: Jesús Torres García
Kategorie: Projekte