Die Stadt als kollektive Zukunft

31. Januar 2019 Mehr

Chicago Riverwalk / Chicago / Sasaki, Ross Barney Architects, Jacobs/Ryan Associates

 

Dass in ca. 30 Jahren bereits mehr als 60% der Weltbevölkerung in Städten oder urbanen Ballungszentren leben werden, ist heute schon Allgemeinwissen. Somit wird die Stadt, so sehr manche das auch mit einer gewissen Hassliebe betrachten, auch eine kollektive Zukunft für unseren Planeten darstellen. Es hat nun wenig Sinn, Aussteigergelüste oder Protestwünsche zu haben, man muss vielmehr auf die Gegebenheiten reagieren und das Beste aus diesen Entwicklungen machen. Viele Vorbilder in dieser Hinsicht können wir ja aus Amerika gerade nicht beziehen, aber einige architektonische Lösungen und Projekte sind doch ganz interessant und speziell der Riverwalk Chicago, entwickelt von den Sasaki und Ross Barney Architects, könnte für Wien mit seiner vergammelten und großteils vernachlässigten Donau-Kanalgegend eine Anregung sein.

 

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Ein interessantes Beispiel für die Stadt von Morgen kommt aus Amerika: Der Chicago Riverwalk, vollendet 2016 von Büros Sasaki, Ross Barney Architects, Jacobs/Ryan Associates, bietet zwei Kilometer Flanieren entlang des Flusses, mit unterschiedlichsten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung – alles vor und unter der imposanten Kulisse von Skyscrapern.

 

Der Hauptstrang des sogenannten Chicago River hat eine lange Historie, die in vieler Hinsicht auch die Entwicklung der Stadt selbst widerspiegelt. Einst ein mäandernder, sumpfiger Strom, wurde er zuerst in ein künstliches, begradigtes Bett gezwungen, um die industrielle Transformation zu unterstützen. Dann folgte die berühmte Umkehrung des Flusses, bei der die Fließrichtung zwischen dem Haupt- und dem Südast umgekehrt wurde, um die sanitären Zustände zu verbessern. Architekt und Stadtplaner Daniel Burnham entwickelte daraus eine visionäre Vorstellung einer Flusspromenade und den Bau des Wacker Drive Viaduktes. Im letzten Jahrzehnt war die Rolle des Flusses stark mit dem Riverwalk-Projekt verknüpft – einer Initiative, die den Fluss als ökologischen, Erholung bietenden und ökonomischen Pluspunkt für die Bevölkerung beanspruchte.

 

In Anbetracht der starken Verschmutzung des Gewässers war vor einigen Jahren noch der Gedanke an einen Erholungsbereich am Fluss unvorstellbar. Dann wurde aus der Vision eine Realität: Die Wasserqualität verbesserte sich und eine steigende Nutzung der Uferbereiche durch die Bevölkerung fand statt. 2012 wurden Sasaki, Ross Barney Architects, Alfred Benesch Engineers, Jacobs/Ryan Associates und ein technisches Team von Beratern damit beauftragt, einen Gestaltungsvorschlag für einen sechs Blöcke umfassenden Bereich zwischen der State Street und der Lake Street zu entwerfen. Sie entwickelten eine fußläufige Verbindung entlang des Flusses zwischen dem Lake Michigan und dem Zusammenfluss der beiden Äste.

 

Die Aufgabe war einigermaßen fordernd. Das Designteam musste zum Beispiel, auf einer nur 7 Meter breiten Fläche trachten, alle Fußgängerprogramme unterzubringen und die Unterführungen unter den sechs verschiedenen Brücken zwischen den Blöcken bewältigen. Der Entwurf musste auch die jährlichen Hochwasser und Überflutungen des Flusses mit einkalkulieren, diese bedeuten im Schnitt ein Steigen des Wasserspiegels um mehr als zwei Meter. All diese Schwierigkeiten betrachteten die Architekten als Herausforderungen und dachten den Weg entlang des Flusses neu. Es wurde kein linearer Park mit 90 Winkeln, sondern die Wegverbindung ist ein eher unabhängiges System, das – durch Änderungen in seiner Form – eine Serie von neuen, programmatischen Verbindungen mit dem Wasser herstellt. Verbindungen, die das Leben und die Diversität am Fluss bereichern und jedem der sechs Blöcke eine spezifische Typologie zuweisen.

 

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Marina Plaza: Restaurants und Sitzmöglichkeiten in Freien bieten hier einen Ausblick über das Vorbeiziehen der Frachtkähne, Ausflugsschiffe und Wassertaxis.

Cove (Bucht): Hier landen Kajaks und Ruderboote und es bietet sich die Möglichkeit für den persönlichen und physischen Kontakt zum Wasser als Erholungs- und Ausgleichsfläche.

River Theater: Eine skulpturale Stiege verbindet hier den Wacker Drive mit dem Riverwalk und bietet den Fußgängern Sitzgelegenheiten, Bäume bieten Grün und Schatten.

Water Plaza: Kinder und Familien können hier am Flussufer mit Wasser spielen.

Jetty (Mole): Eine Serie von kleinen Piers und schwimmenden (an Stahlpiloten verankerten) Gärten bieten hier interaktives Lernen mit umweltbezogenen Themen an. Pflanzenkunde, die Ökologie des Flusses einschließlich der Möglichkeit, Fisch zu fangen.

Riverbank: Gehwege und ein neuer Hafen schaffen einen ununterbrochenen Zugang zur Lake Street und auch die Voraussetzungen für eine zukünftige Entwicklung an dieser kritischen Stelle des Zusammentreffens der beiden Zuflüsse.

 

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Als verbindendes Wegsystem bietet der Chicago Riverwalk sowohl Kontinuität wie auch Vielfalt für seine Benutzer. Spezielle Programme und Funktionen in den einzelnen Blöcken formieren Typologien für unterschiedliche Erfahrungen. Das reicht vom Essen, Trinken über Tanzen bis zu öffentlichen Veranstaltungen und der Möglichkeit Sport zu betreiben. Gleichzeitig verbinden Design, Material und sich wiederholende Elemente das gesamte Projekt in seinem Verlauf zu einer Entität. Viele Details, wie die Formen der kleinen Aussichtsplattformen zum Fischen, oder die Sitzgelegenheiten, bei denen man sich – dahinter stehend – anlehnen kann, sind bemerkenswert. Bei den Untersichten der Brücken spiegeln polierte Metallflächen den existierenden (neuen) Kontext – fein behauene Steinwände und Stufen folgen den eleganten Bögen des Wacker Viaduktes und Brückenarchitektur, während weiter unten rohe Betonflächen unter den exponierten Stahlbrücken liegen. In die Sitzstufen eingelassene Lichtlinien sind in der Nacht sowohl Beleuchtung als auch Dekor. Bei der Water Plaza hat man mit einem eleganten, lichten Stahlzaun eine Abgrenzung zur Sicherheit der hier spielenden Kinder vorgenommen, während die sonst die in Europa üblichen Geländer und Sicherheitsvorkehrungen fast gänzlich fehlen.

 

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Der zwei Kilometer lange Chicago Riverwalk entlang des Hauptastes des Chicago Rivers wurde 2016 unter der Amtsperiode von Bürgermeister Emanuel vollendet und verwandelt den Fluss in ein Erholungsgebiet für Touristen und Anwohner von der Mündung in den See bis zurück in das urbane Gewühl der Stadt. Seit seiner Eröffnung bietet er eine Unzahl von Events und Möglichkeiten des Lebens. Er wurde 2018 mit zwei Preisen des American Institute of Architects‘ Honor Awards ausgezeichnet und stellt eine lebende, nachhaltige Zukunftsvision einer Stadt mit all ihrer Mobilität dar. Er macht die Stadt lebenswerter!

 

Chicago Riverwalk / Chicago, Amerika

Bauherr: Chicago Department of Transportation

Planung: Sasaki, Ross Barney Architects, Jacobs/Ryan Associates

Statik: Alfred Benesch Engineers

Grundstücksfläche: 141.000 m2

Planungsbeginn: 2012

Bauzeit: 4 Jahre

Fertigstellung: 2016

Baukosten: 37 Mio. Euro

 

 

Text:©Peter Reischer

Fotos:©Christian Phillips

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Kategorie: Projekte