Der Sonne entgegen – Solar Cave
Der Sonne entgegen – Solar Cave / New York / Studio Gang
Solar Cave – Es gibt viele Wege zu einer Architektur, die positive Einwirkungen auf die Umwelt und die Zukunft haben kann. Einen hat das Architekturbüro Studio Gang in New York gewählt: Sie schnitten aus einem 12-geschossigen Hochhaus Teile aus der Fassade heraus, um so die Energie und das Licht der Sonne bis auf die High Line und die nebenliegenden Straßen gelangen zu lassen.
Mit dem Zuzug von immer mehr Menschen in die urbanen Bereiche unserer Welt machen sich auch Designer, Planer und Architekten häufiger Gedanken, wie diesen zünftigen Stadtbewohnern ein Mindestmaß an Sonne und Tageslicht zu bieten ist. Wenn man sich um 4 Uhr nachmittags an einem Frühlingstag auf der High Line in New York befindet, kann und sollte man streckenweise die Wärme der Sonne spürbar und angenehm empfinden. Denn die High Line ist, als ein erhöht liegender Parkstreifen, den Elementen (Licht, Sonne, Regen, Luft) ausgesetzt, mitten in New York. Jedoch Sonne ist hier nicht unbedingt garantiert, denn die High Line schneidet sich durch einen der dichtest bebauten Teile der Stadt, den Meatpacking District. Nicht nur Renzo Piano´s Whitney Museum of Art, auch die Türme von Hudson Yards und andere Hochhäuser blockieren das Licht und die Sonne für die Fußgänger. Speziell zwischen der 13th und 14th Street ist neben und auch über dem Park eine dichte Wand von Glas- und Betontürmen, die diesen Teil des öffentlichen Raumes im Schatten versinken lassen.
Für Architekten ist die Sonne ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bringt sie als Energiequelle kostenlos Wärme und Licht, andererseits auch nachbarschaftlichen Schatten. Je höher ein Bau ist, desto unvermeidbarer sein Schatten und dieses Problem ist besonders gravierend, wenn der Nachbar die High Line in New York ist. Da die Städte ständig dichter werden, sind findige Ideen gesucht, um Sonnen- und Tageslicht in die unteren Ebenen gelangen zu lassen.
Ein 12-geschossiger Büroturm, mit der Bezeichnung Solar Carve tut nun sein Bestes, um keinen Schatten zu werfen. Das kommerzielle Bauwerk auf der 10th Avenue, entworfen vom Architekturbüro Studio Gang, versucht dunkle Stellen auf der High Line zu vermeiden, indem es einfach zur Seite tritt. Seine facettierte, gläserne Vorhangfassade weicht zurück und zerbricht in sehenswerten Einzelflächen wie bei einem geschliffenen Kristall, und zwar auf seiner Nord- und Südseite – so ermöglicht es die Architektur, dass die Sonnenstrahlen ihren Weg auf den Park der High Line und auch in die daneben liegenden Straßen finden.
Die Architekten von Studio Gang, einer in Chicago ansässigen Firma geleitet von Jeanne Gang, entwarfen das 13.500 Quadratmeter (Nutzfläche) große Gebäude mit einem Konzept, welches sie „solar carving“ nannten. Nach einer genauen Analyse des Verlaufs der Sonne während des Tages, bestimmten sie einige Teile des fast fertigen 12-geschossigen Gebäudes, schnitten diese einfach heraus und verschlossen diese Fehlstellen mit schrägen, polygonen Glasflächen. Aus dieser Oberflächengestaltung, die an eine Gemme erinnert, entstehen vielerlei Vorteile sowohl für innen wie auch für den Außenraum. In Verbindung mit einem niedrig reflektierenden Hochleistungsglas verringert diese optimierte Gebäudegeometrie den Hitzeeintrag und vermeidet Blendungen für die Autofahrer auf dem West Side Highway, der entlang des Turmes verläuft. Auch die Kollisionsgefahr für Zugvögel – da diese den Baukörper leichter identifizieren können – wird so größtenteils vermieden. Die Glasscheiben haben einen „Solar Heat Gain Coefficient“ (SHGC)*) von 0,22, der Reflexionsgrad im Sockel (Geschäfte) beträgt 12% und in den oberen Ebenen 8%. Die Scheiben sind aus Sicherheitsgründen vorgespannt – man kann sie sogar betreten.
Die Flächen dieser ausgeschnittenen Turmteile sind geometrisch optimiert und in ein Muster aus dreidimensionalen Facetten, welche die fehlenden Teile des Turmes artikulieren, geteilt. Als Vorhangfassade ausgebildet, kippen die diamantförmigen Paneele abwärts, umrahmt werden sie jeweils von 4 dreieckigen Stücken, die sie mit der senkrechten Tragstruktur verbinden.
Im Inneren der Architektur bilden die Facetten einen Rahmen für tolle Ausblicke auf den Hudson River und schaffen interessante Ausbuchtungen in den Büros oder Aufenthaltsbereichen. Das Gebäude, welches im April eröffnet wurde, ist mit Geschosshöhen von mindestens 4,80 Meter erbaut und hat auf jeder (außer einer) Ebene einen Außenbereich zugeordnet. Eine 750 Quadratmeter große Terrasse im zweiten Stock liegt neben der High Line und 930 Quadratmeter Fläche stehen der Öffentlichkeit am Dach zur Verfügung. Die Kosten für den Bau werden mit über 180 Millionen Euro kolportiert. Noch sind genügend Flächen frei, nur ein Autohändler und ein Restaurant sind bereits im Erdgeschoss eingezogen. Die Betreiber hoffen, Technologie-, Finanz- und Medienbetriebe so in den Meatpacking District zu ziehen.
Man könnte die Architektur des Solar Carve als eine Mischung aus der maximal erlaubten Hüllform, beschnitten durch Sonnenstrahlen und der Berücksichtigung von ortsspezifischen Kriterien zur Erzielung eines positiven Effektes auf das Leben der Menschen und der Umwelt, bezeichnen. Die Entwickler streben für den Solar Carve eine LEED Gold Zertifizierung an und die Architektur wird sicherlich eine weitere Ikone der New Yorker Silhouette werden.
Solar Carve
New York, USA
Bauherr: 40-56 Tenth Ave Joint Ventures, LLC
Planung: Studio Gang
Statik: ARUP
Fassadenglas: Interpane Glas Industrie AG
Fassadenplatten (concrete skin): Rieder Sales GmbH
Bebaute Fläche: 1.870 m2
Nutzfläche: 13.500 m2
Fertigstellung: 04/2019
Fotos:©Tom Harris
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Projekte