Bibliophiler Kirchenbau

15. Juli 2015 Mehr

 

Bibliothek / Kanada / Dan Hanganu + Côté Leahy Cardas Architects

Wie ein am Boden festgezurrtes, halb aufgeblähtes Segel aus Stahl, Beton, Holz und Glas, das gerade in den Himmel aufsteigen will, wirkt der ehemalige Kirchenbau in Quebec, Kanada. Er ist eine durchaus bemerkenswerte Arbeit des kanadischen Architekten Jean-Marie Roy aus dem Jahre 1964. Damals wehte gerade der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und die architektonischen Neuerungen samt Öffnung der Kirche zum Volk hin, waren in der Architektur schon deutlich sichtbar. Überall entstanden neue Kirchen, die sich in ihrer Formensprache von der bislang herrschenden Tradition entfernten. Die Saint-Denys-du-Plateau-Kirche entsprach genau diesem Geist: Offen und lichtdurchflutet, statt dunkel und geschlossen.

 

 

Der traditionsreiche Bau wurde nun nach 50 Jahren Bestand in eine Bibliothek umgewandelt. Das war ein durchaus heikles und sensibles Unternehmen, mit dem Dan Hanganu + Côté Leahy Cardas Architects aus Quebec, beauftragt wurden. Die neue Architektur – nach der Umwandlung und Erweiterung der ehemaligen Kirche – trägt den Namen Monique-Corriveau Bibliothek. Sie ist eine Würdigung an die aus Quebec stammende Schriftstellerin Corriveau und ihrer Karriere zu Ehren, trägt sie diesen Namen. Die Mutter von zehn Kindern – jedem Einzelnen hatte sie ein Buch gewidmet – war die Autorin unzähliger Kinderbücher und Gewinnerin zahlreicher Literaturpreise.

 
Eine Kirche zu profanisieren ist immer eine schwierige Aufgabe. Wir haben in architektur schon einige Male über gelungene Beispiele berichtet. Es geht dabei um das Finden der richtigen Nachnutzung. Das ist sicherlich nicht nur die Aufgabe des Architekten, sondern eher ein dementsprechend langer Verhandlungs- und Mediationsprozess zwischen den Gläubigen und der Öffentlichkeit. Der Architekt hat dann die Aufgabe, sensible Veränderungen und Eingriffe in den Bestand und eben – wenn nötig – Erweiterungen vorzunehmen. Dan Hanganu ist das im vorliegenden Beispiel sicherlich gelungen.

 
Das ehemalige Kirchenschiff beherbergt nach der Profanisierung die öffentlichen Funktionen der Bibliothek: Bücherregale, Arbeits- und Lesebereiche. Im Zubau befinden sich die Verwaltung und ein Veranstaltungssaal für die Öffentlichkeit. Diese Trennung der Funktionen bedeutet, dass der Saal auch außerhalb der Öffnungszeiten der Bibliothek genutzt werden kann. Das spektakuläre und monumentale Volumen des Kirchenschiffes blieb erhalten, da das architektonische Konzept es vorsah, den benötigten Raum zwar aus dem Inneren des Schiffes heraus zu entwickeln, aber völlig neu zu definieren. Um das Fluidum des hohen Raumes zu betonen, wurden die massiven Fensterstürze entfernt und durch Glasscheiben ersetzt. Jetzt kann der Blick des Betrachters ohne Unterbrechung in den Außenraum bis zu den stählernen Verankerungen des Kirchendaches gleiten und somit in die Kontinuität der tragenden Konstruktionen visuell nachvollziehen.

 
Auf dem ‚footprint‘ des ehemaligen Presbyteriums (Räume für die Priester – jetzt die Verwaltung) und des Versammlungssaals wurden in einer lichten, transparenten Konstruktion, umhüllt mit siebbedruckten Glasplatten die neuen Räume errichtet. Die benutzen Flächen und Quadratmeter sind dieselben wie vorher. Eine Einschnürung, quasi ein architektonisches Gelenk, markiert die Trennung zwischen alt und neu. Am Ende des Kirchendaches noch unter dem Überhang positionierten die Architekten die vertikale Erschließung: Leicht, transparent und immer den Blick auf das ursprüngliche Raumgefüge freigebend. In den oberen Ebenen befindet sich noch eine Wendeltreppe, mit der man eine Zwischenebene erreicht. Die Untersicht der Stiege ist mit einem mutigen Gelbton – der eine Referenz zur Farbe des Erdgeschossbodens darstellt – gestaltet.

 
Ganz am Ende des Neubaus befindet sich noch eine gesetzlich vorgeschriebene Fluchtstiege – ihr Körper dominiert den neu geschaffenen, der Öffentlichkeit gewidmeten Kirchenvorplatz und Eingangsbereich. Dieser ist mit Stadtmöblierung, Bäumen und Bepflanzungen gestaltet.

 

 

Fotos: Stéphane Groleau

 

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Kategorie: Projekte