Gebäudehüllen der Zukunft? Advanced Building Skins
Anfang Oktober 2018 fand die „Conference on Advanced Building Skins“ in Bern statt. architektur war dort, berichtet vom Geschehen und macht sich einige Gedanken.
Sobald man den großen Vorbereich der Konferenz betrat, fand man eine Reihe von ca. 40 Firmen aufgefädelt: Alle präsentierten Neues, Innovatives, Energiesparendes und Effizientes. Man bekam den Eindruck, dass es für jedes Problem der Architektur, der Fassade und der Nutzung ohnehin schon eine Lösung gäbe. (Ein Schweizer Aussteller, der simple Holzprodukte feilbot, wirkte inmitten der Hightec-Präsenz fast wie ein Exote im eigenen Land.) Dieser Eindruck setzte sich in der Vielzahl von Vorträgen und Sessions fort. Überall pries man in höchsten Tönen die Vorzüge der einzelnen Systeme, vom Spezialglas bis zur bedruckten Fotovoltaikfolie und der lernfähigen Hülle. Warum, fragt man sich angesichts dieser – sicherlich außergewöhnlichen – Fülle von erwähnenswerten Ideen, schaut dann unsere Architektur immer noch so aus, wie vor 30 Jahren? Warum wird die Welt nicht gerettet und warum kann der Klimawandel nicht gestoppt werden? Vielleicht muss man die Architektur stoppen?
Adaptive Beschattung eines Bürogebäudes in Athen / Foto:©Maria Matheou
Dann aber als Auftakt die Keynote, gehalten von Andreas Hempel, ehemaliger Präsident des BDA. Sie ließ aufhorchen, denn er sprach angesichts dieser Innovationsflut und vor einem vollen Saal von Wissenschaftlern, Technikern, Technokraten und Forschern von einer Architektur, die wieder Komfort und Gemütlichkeit für den Menschen bringen solle, die emotional und poetisch sein möge. Eigentlich war es eine Art Brandrede gegen die Konferenz mit ihrer eindeutigen Ausrichtung auf Technik und Technoides. Ob vielleicht doch ein Gesinnungswandel, ein neues Denken statt einer immer neueren Architektur sich durchsetzen kann?
Energiegewinnung durch windbewegte Lamellen an einem Bürohochhaus. / Foto:©Jin Young Song
Die zwei Konferenztage waren gefüllt mit Ideen von und mit Menschen verschiedenster Nationalitäten. Die hier vorgestellten Anregungen und Beiträge können nur einen Ausschnitt der Vielfalt und das in sehr gekürzter Form wiedergeben.
Eine junge zypriotische Architektin präsentierte ein interessantes, adaptives Verschattungssystem für mehrgeschossige Bürobauten in Athen. Die Entwurfsparameter waren Orientierung und Tiefe der Verschattung, Drehung, Abstand und Größe der verwendeten Elemente. Für die parametrische Analyse verwendete Maria Matheou von der University of Cyprus das Archsim Energy Modeling und ein DIVA plugin im Rhino/Grasshopper in Verbindung mit der EnergyPlus Simulation Engine. Diese Aufzählung zeigt schon, wie sehr wir bei der Entwicklung neuer Systeme von Technik abhängig sind. Das eher kompliziert und filigran wirkende System bedeutet jedoch eine wesentliche Verbesserung der Qualitäten im Innenraum. Nachhaltigkeit war auch eines der Hauptkriterien für den Entwurf, so wurde die bestehende, tragende Stahlbetonkonstruktion belassen und demgemäß verbessert. Auch die Gebäudehülle erfuhr ein entsprechendes Update. Das externe System in Verbindung mit einer neuen Vegetation reguliert nun den Sonneneintrag auf den verglasten Flächen. Trotzdem gelangt genug Tageslicht in die Büroräume. Die Verschattungselemente dämpfen auch den Verkehrslärm und vermindern die Einsichtigkeit von der Straße her. Gesteuert wird das System elektrisch und mechanisch über Sensoren und eine clevere Weiterentwicklung für die Zukunft wäre, wenn die Büroangestellten dazu angelernt würden, die Verschattung manuell und individuell selbst vorzunehmen, um so eine Unabhängigkeit von externen Energiequellen zu erreichen.
Widerstandsfähige Schulhofbeschattung in Sedze-Maubecq, Frankreich mit 300 m2 leichtgewichtiger, energieeffizienter Beschattung durch ein OPV/Polykarbonatlaminat. / Foto:©Opvius
Jin Young Song, ein junger Assistant Professor der University at Buffalo, USA, berichtete über eine Studie zur Erzeugung von elektrischer Energie mittels vom Wind bewegter Verschattungselemente in einem mehrgeschossigen Bürohochbau. Für die Gewinnung umweltfreundlicher und effizienter Energie haben sich mechanische Vibrationsquellen als attraktiv erwiesen. In Verbindung mit piezoelektrischen Materialien können sie mechanische Energie in elektrische umwandeln. Diese muss dann nur zur weiteren Verwendung gespeichert, oder direkt in das Stromnetz eingeleitet werden. Solche Fassaden mit kinetischen Elementen würden nicht nur Strom generieren, sondern könnten auch durch ihre Gestaltung eine Belebung der Stadtlandschaft erzielen.
Im Bereich der Building Integrated Photo Voltaics (BIPV) berichtete Dr. Hannah Bürckstümmer von der Merck KGaA über gedruckte Organic Photo Voltaics (OPV). Das sind gedruckte Fotovoltaikfilme, die extrem dünn sein und in einer Länge bis zu 15 Meter in einem Stück hergestellt werden können. Sie benötigen wenig Ressourcen und Energie in der Herstellung, können in jede Form geschnitten und konfektioniert werden und sind für allfällige Design- und Gestaltungswünsche ideal geeignet. Sie können mit anderen Materialien (Isolierung) und aufgrund ihrer Transparenz auch mit Glas kombiniert werden.
Die Nutzung von vertikalen Flächen für „urban gardening“ zur Kühlung und Befeuchtung der städtischen Luft. / Foto:©AIR
Architecture Initiates Regeneration (AIR), in Kooperation mit dem LKI, Labor für Bauphysik der TU Graz und dem Statiker Hartmuth Petschnigg entwickeln und forschen an Architekturkomponenten, die einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung von Wohnbauten insbesondere in Verdichtungsgebieten bilden sollen. Die in Bern vorgestellte Idee betrifft ein 3D-gedrucktes modulares Element aus Beton, das in Kombination mit spezifischen Pflanzenkomponenten die Möglichkeit eröffnen soll, zum einen die Anforderungen an absturzsichernde Elemente an Laubengängen, Loggien und Balkonen in einer interessanten Architektursprache zu erfüllen, darüber hinaus aber auch durch die Begrünung und die Art der Ausführung Aspekte der visuellen Abschirmung, der Beschattung, der Akustik, und der architektonischen Fassadengliederung bis hin zur Leistung eines Beitrags als Kühl- und Beleuchtungselement zu integrieren. Die modulare Gestaltung soll es ermöglichen, die herkömmlichen Systeme durch ein kostengünstiges, standardisiertes Modul zu ersetzen, das seine Individualität durch die Struktur und die Bepflanzung erhält und gleichzeitig aber auch einfach zu montieren und zu wechseln ist. Insbesondere für Wohnbauten im großen Maßstab sollen diese neu entwickelten Fassadenelemente einen Beitrag zur naturnahen Fassadengestaltung im Sinne der Gesundheit und des Umweltschutzes bei gleichzeitig reduziertem Wartungs- und Herstellungsaufwand beitragen.
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