Architektur im Zeitalter des iPhones

19. Dezember 2018 Mehr

Unsere Städte befinden sich noch in der Zeit des Walkmans, meint Architekt Ben van Berkel vom UNStudio. Vor allem wenn man bedenkt, dass zum Beispiel der neue Tesla einige Hundert Sensoren in sich hat, ein heutiges Gebäude circa drei Stück. Gebäude könnten bereits wesentlich mehr. Sie könnten gesünder sein, smarter, vernetzter – einfach moderner und zeitgemäßer. Denn die digitale Revolution umfasst bereits fast jeden Bereich unseres Lebens, unserer Welt, nur (scheinbar) nicht die Architektur.

 

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Foto:©UNStudio

 

Deshalb hat van Berkel das Startup UNsense gegründet, mit dem Anspruch, Technologien für smartere und gesündere Städte zu entwickeln, praktisch die Architektur in das Zeitalter des iPhones zu ziehen. Die Firma soll neue Wege erforschen, wie man der Architektur und der Bauindustrie helfen kann, den Anschluss an die „State of the Art“-Technik zu finden. Das Startup arbeitet in einem eigenen Gebäude am Freedom Lab Campus, einem Innovations-Hub in Amsterdam. Es werden Datenspezialisten und Programmierer beschäftigt, sie arbeiten mit Professionisten, Neurowissenschaftlern, Soziologen und Managern zusammen, um zu forschen, wie Technologie Räume, Gebäude und Städte verbessern kann. Diese entwickelten Technologien werden (nicht ganz uneigennützig) auch in den Projekten des Architekturbüros wie dem „Future Farm“-Konzept angewandt. (Hier geht es um neue Anbaumethoden für unsere Nahrungsmittel und wie diese die Landschaft, Architektur und Städte verändern werden/können.)

Van Berkel outet sich als wahrer Gesundheitsapostel. Er schimpft richtig über die schlechte Luft (wie wahr!) in unseren Aufenthaltsräumen, mit dem Hinweis, dass wir uns 80 % unserer Lebenszeit im Inneren von Architekturen befinden. Besonders hat es ihm die schlechte Luft in Schulen angetan. Hier meint er, dass sogar die Fehlzeiten der Kinder drastisch reduziert werden könnten, würde man auf eine bessere Luftqualität achten. Die Sensoren in den Gebäuden sollten dazu dienen, den Luftfluss zu regulieren, Bakterien und Pollen effektiver zu entfernen. Im Gegensatz zur Autoindustrie – hier ist in jeder Klimaanlage heute ein Pollenfilter verbaut – hätten die Architekten die Lust verloren, gesunde Architektur zu machen. Die Vertreter der sogenannten Modernisten der Architektur, Alvar Aalto, Le Corbusier, Herman Hertzberger und Alison und Peter Smithson wollten gesund bauen, aber sie hatten keinerlei Daten. Heute haben wir sie, aber wir bauen deshalb trotzdem nicht gesund.

 

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Foto:©UNStudio

 

Städte sind die Orte, an denen alles zusammenkommt. Gesundheit, lebenswerte Umwelt und Mobilität sind Themen einer sehr komplexen Herausforderung. Gleichzeitig werden unsere Städte ständig smarter im Sinne von vernetzter. Die neuen Technologien ermöglichen es den Regierenden und den Firmen, Daten über die Luftqualität, den Energieverbrauch, Licht, Verkehr und Güter zu sammeln, fast alles ist bereits messbar. Nicht immer zum Wohle der Bewohner. Die Daten werden meist nur gesammelt, weil es eben bereits möglich ist und weil man mit ihnen Marktanalysen für bessere Verkaufsstrategien erstellen kann. Sie sollten aber auch genutzt werden, um positive Einflüsse auf das Leben der Menschen zu haben, nicht nur um die Effizienz zu steigern.

Die Sensortechnologie bietet uns die Möglichkeit, ein komplettes Verständnis der Art und Weise, wie Menschen in der Stadt leben, sich erholen, arbeiten und sich bewegen, zu bekommen. Sie kann als Grundlage genutzt werden, eine Stadt stetig nach den Nöten und Wünschen der Bewohner zu verbessern und auszustatten. Nur so kann sie sauberer, gesünder, lebenswerter, sicherer und auch nachhaltig werden. Dasselbe gilt für Innenräume. Die Qualität der Luft im Innenraum trägt ein Wesentliches dazu bei, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutzer zu erhalten.

Alles richtig, nur wer kontrolliert wen und was? Stadt ist für mich kein Agglomerat von gebautem und nicht gebautem Raum, von Negativ- und Positivräumen, sondern in erster Linie ein Ort der Menschen. Begriffe wie Stadtbaukunst, Raumqualität, Planungskultur sind allesamt in ihrem Wortsinn mit dem Menschen verbunden: Kunst und Kultur werden von Menschen gemacht. Raum kann nur mit und durch ihn entstehen. Doch – entgegen der etymologischen Bedeutung – spielte der Mensch bei den meisten Ausführungen nur als messbarer, katalogisierbarer und rationell fassbarer Faktor für Planung, Wirtschaft und Politik eine Rolle. Es stellt sich die Frage, ob eine Stadt im Sinn einer optimierten Smart City noch menschenkonform sein wird?

 

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Foto:©2getthere

 

Stadtraum ist mehr als das Ergebnis gegenständlicher Erkenntnis und funktionalen Handelns. Er wird und muss auch wahrgenommen werden. Raumwahrnehmung kann man nach unterschiedlichen Modellen betrachten: Erstens, als hodologischen Raum (Otto Friedrich Bollnow), der sich auf faktisch-topologischen, physischen, sozialen, emotionalen und psychologischen Bedingungen aufbaut und auf dem Weg von A nach B erlebt wird. Das zweite Modell ist der mathematische Raum, als ein rationeller, mit Zahlen fassbarer und berechenbarer Raum. Als drittes Modell drängt sich nun die digitale Stadt ins Blickfeld: Begegnungen, Kommunikation finden hier nicht mehr real an Orten und öffentlichen Plätzen, sondern – dank der Medien und Technik – überall und gleichzeitig statt. Damit wird der dystopischen Entwicklung einer Ortlosigkeit Vorschub geleistet und wir unterliegen einem Optimierungsdiskurs – ungeachtet der anderen Möglichkeiten, die sich durch die Technologie des Virtuellen bieten könnten.

Also, ich wünsche mir im Sinn einer inzidenten Architektur (wie sie auch Günter Feuerstein vertreten hat) keine optimierte, enhanced City der smarten Technologien mit Smart Citizens, sondern eine Stadt mit Menschen, mit allen Fehlern und Schwächen, die eine Stadt eben ausmachen. Denn das macht sie lebens- und liebenswert!

 

Text:©Peter Reischer

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