Allmächtiges Grün! – STAR strategies + architecture
In Holland/Rotterdam gibt es ein Kollektiv von Architekten und Kreativen, die sich aufmerksam und auch kritisch mit den Phänomenen, die sich rund um den Nachhaltigkeitsbegriff entwickeln, auseinandersetzen. Das Büro heißt „STAR strategies + architecture“ und ihre letzte Arbeit – „O’Mighty green“ – knüpft gedanklich an die Arbeiten des berühmten SUPERSTUDIOS* aus Italien an: Strukturen die alles überziehen und bedecken.
STAR beschäftigt sich mit Architektur und allen Themen und (Rand-)Problemen, die direkt oder indirekt mit ihr zusammenhängen. Das Büro wurde 2006 von Beatriz Ramo in Rotterdam gegründet. Sie arbeiten an Projekten, die sich in allen möglichen Maßstäben mit Architektur, Städtebau und Landschaftsplanung befassen. STAR ist ständig in den Bereichen der Forschung und Vermittlung aktiv und hat auch mehrere Lehraufträge an holländischen Bildungseinrichtungen.
Prinzipiell legen sie mit Projekt „O’Mighty green“ aber den Finger in eine Wunde: Der Missbrauch des Grün-Begriffes. Grün ist zu einem Repräsentanten der Nachhaltigkeit geworden. Man mache etwas grün – und schon ist die Architektur weniger scheußlich, weniger die Gemüter der Menschen erregend. Grün ist zu einer Art GOTT der Architekturszene geworden. Aber genau wie Gott hat es für den Anwender keine Form und keine Farbe. Grün ist zu einem Symbol geworden, das Einzige, das mit der heutigen Geschwindigkeit des Werteverlustes und gleichzeitig mit dem Hunger der Menschen nach Bildern Schritt halten kann. Es bewährt sich als die schnellste und einfachste Sichtbarmachung der Nachhaltigkeit. Und somit kann es quadratmeterweise für Architektur gekauft werden, daraufgemalt oder angeklebt werden. Es ist eine Art Lady Gaga-Nachhaltigkeit: Sensationell, effektiv, aber immer liefert es nur ein Bild, einen (An-)Schein für die Welt.
Grün ist der einzige Begriff, bei dem die Benutzer, die Architekten, die Politiker, die Entwickler übereinstimmen: Wenn eine Architektur grün ist, dann MUSS sie gut sein. Grün vermittelt Vertrauen. Oft wird dann das kritische Sehen und Wahrnehmen ausgeblendet. Wenn eine Architektur „grün“ ist, rechtfertigt das bereits das Attribut der Nachhaltigkeit?
Früher sagte man von den Architekten, dass sie alle immer schwarz gekleidet herumlaufen. Wahrscheinlich werden sie bald die Farbe ihrer Sakkos und Hemden auf grün umstellen.
Aber man soll ja nicht gleich die gesamte Berufssparte in Bausch und Bogen verdammen, doch dieses kleine Beispiel zeigt die Entleerung der Architektur von wahren Inhalten und die „Scheinbarkeit“ der Bauten auf. Man kann – genauso wenig wie man Krebs mit Aspirin heilen kann – die Probleme der Nachhaltigkeit mit Grün lösen und die Mängel einer Architektur mit Grün zudecken. ´
Grün als Begriff für Nachhaltigkeit ist das Synonym einer gemeinsamen, internationalen Sprache geworden. Nach dem Modernismus, dem Postmodernismus und dem Dekonstruktivismus können wir heute von einem Nachhaltigkeits-ismus (sustainabilism) sprechen? Wie in einem der Filme von David Lynch erscheint alles sanft, ruhig, harmonisch, grün eben. Aber unter Oberfläche spürt man das Böse, das Verwerfliche, das perfekte Verbrechen. Genauso verhält es sich mit dem Grün. Es ist die perfekte Lüge, mit der wir es uns ermöglichen, die wahren Probleme der Architektur zu übersehen und uns selbst über den Zustand unseres Systems zu täuschen. So gesehen hat sich „grün“ zu einer Karrikatur seiner Selbst entwickelt.
Aber es verkauft sich gut und noch ist ja genug Grün für alle vorhanden.
* Superstudio war eine Gruppe von sechs Architekten (Peter Frassinelli, Alessandro Magris, Roberto Magris, Adolfo Natalini, Alessandro Poli, Christiano Toraldo di Francia), die im Jahre 1966 in Florenz gemeinsam Entwürfe im Bereich Architektur und Industriedesign ausgearbeitet haben. Ihre Entwürfe der „Zwölf Idealstädte“ wurden in Ausstellungen in Pistoria und Modena gezeigt. 1972 wurden ihre Arbeiten im Museum of Modern Art in New York City im Rahmen der Ausstellung: „Italy, the New Domestic Landscape“ ausgestellt.
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