Städte, die atmen und gesunde Luft produzieren

19. Dezember 2018 Mehr

Architekt Professor Klaus Loenhart

 

Architekt Klaus Loenhart

Klaus K. Loenhart ist eine disziplinübergreifende Persönlichkeit. Seit 2007 leitet er das Institut für Architektur und Landschaft an der TU Graz. In Lehre und Praxis versucht er unsere Denkweise und Realitätsbezug zur lebendigen Umwelt neu zu definieren. Fragestellungen um die Verbindung von Sein, der physischen, lebendigen Welt und Architektur sind ihm ein großes Anliegen.

 

Herr Professor Loenhart, was ist Architektur für Sie?

Architektur ist mein bevorzugtes Medium, um unser soziales Miteinander zu initiieren, zu gestalten und zu ermöglichen. Doch Architektur kann in diesem Miteinander nicht von unserer lebendigen Welt, von der Umwelt separiert werden, sondern soll uns das Gestalten von Orten und Prozessen im systemischen Bezug zu unserer Umwelt ermöglichen.
Mit dem Miteinander definiere ich ein ökologisches Bezugssystem, das über die Zentriertheit auf den Menschen hinausreicht. Ich meine, dass das Verbindende im Denken und Handeln, das in unserer Welt so selten zu finden ist, neu initiiert werden muss.

Wo drückt sich das bei Ihren Arbeiten mehr aus, im Pädagogischen und Didaktischen oder in der Realisierung?

Ich habe das Glück, beides praktizieren zu können und zu dürfen – denn genau darin liegt die besondere Energie des Verbindenden. In der Lehre setze ich mich damit auseinander, das Wertvolle am Zusammendenken zu kommunizieren und zu vermitteln, aber eben auch anwendbar zu machen. Anwendbar in dem Sinn, dass meine Überlegungen auch in eine gesellschaftliche Praxis überführt werden können. Ich denke, dass wir Menschen über unsere Sensibilität zur lebendigen Umwelt neue Praktiken entwickeln können, die den Metabolismus unseres Planeten in seiner Gesamtheit reflektieren. Die Verbindung zwischen dem Akademischen, dem Didaktischen und der Praxis ist für mich dabei ganz eng – keine getrennten Welten. Wobei das Bauen dabei die logische Konsequenz des „In-die-Welt-bringens“ der Überlegungen ist, die man im Raum des Unterrichtens, über das Mitteilen entwickeln kann.

 

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Der Österreichische Pavillon bei der EXPO in Mailand 2016. Foto:© Daniele Madia 

 

Ist Architektur für Sie ein Transportmedium?

Die akademische Form von Architektur auf jeden Fall. Die Architektur ist in weiterer Folge dann das Medium, um all diese Aspekte erlebbar und berührbar zu machen.

Können Sie einen Unterschied zwischen „guter“ und „schlechter“ Architektur festmachen?

Aber ja! Natürlich können wir unserer jeweiligen Baukultur einen Wert zuordnen. Doch erst in der Begegnung mit dem Gebauten, im alltäglichen Umgang realisiert sich dieser Wert. Denn erst dann manifestiert Architektur auch gesellschaftliche Werte und hält diese über die Benutzung lebendig. Nachdem Kultur keine statische Sache ist, sondern lebendige Praxis, ist auch die Baukultur an ihrer Lebendigkeit zu messen.
Auf den letzten Architekturbiennalen in Venedig konnten wir sehen, dass Baukultur jedoch auch ganz anders interpretiert werden kann: als soziale Handlung oder als gesellschaftlicher Organismus. Die Möglichkeit der sozialen Entfaltung ist dabei genauso wichtig wie die typologische und ästhetische Handlungsmacht, mit der auch soziale Handlungsmuster des Miteinanders initiiert werden können. Heute muss diese Dialektik zwischen dem Sozialen und dem Gestalterischen noch dringend um das Ökologische erweitert werden.

Was sind Werte einer künftigen Architektur?

Aktuell, mehr den je, liegt ein zentraler Wert im unmittelbaren Bezug zur lebendigen Umwelt. Wenn man einzelne Gebäude zur Stadt zusammendenkt und diese als Stadt-Landschaft erkennt, versteht man sehr wohl, dass wir unsere Umwelt nicht mehr separat von unserer Baukultur denken und Architektur nicht mehr als isolierte Praxis unterrichten und ausüben können. Wir gestalten gebaute Umwelt und ein wichtiger ökologischer Wert ist hierbei, Architektur in ihrer Ökologie und Materialität, in ihrer Verwendbarkeit und Offenheit so zu entwickeln, dass sich beispielsweise Nutzungen verändern können. Eine polyvalente Architektur (nach Hermann Hertzberger), die über Jahrzehnte ihre Funktion ändern kann, ohne dabei wertlos zu werden – wäre ein tragbares Grundprinzip. Doch mit der Ökologie ist ein weiterer Player auf die Bühne, die noch weitreichender Innovation bedarf, getreten.

 

Neubau Grüne Erde

Neubau der „Grüne Erde-Welt“ bei Scharnstein, OÖ: Die Grüne Erde-Welt vereint einen großen Store sowie Produktionsstätten auf 9.000 m2 unter einem Dach. Das Gebäude wird aus ökologischen Baumaterialien errichtet und erreicht Null-Energie-Standard. Die Eröffnung ist für Herbst 2018 geplant. Foto:© Studio.terrain

 

Ist Ökologie und Architektur dann für Sie ein Widerspruch?

Überhaupt nicht. Wir als globale Gesellschaft sind gerade dabei, eine über Jahrhunderte geprägte Dialektik zwischen Natur und Kultur zu hinterfragen. In der gesellschaftlichen Diskussion drehen sich Debatten aber oft noch um die scheinbare notwendige Entscheidung zwischen gesellschaftlichem Wohlstand ODER Ökologie. Meine These ist, dass hierin kein Widerspruch liegt, sondern vielmehr eine große Inspirations- und Innovationskraft im Zusammendenken dieser beiden Felder. Die Ökologie ist für mich in diesem Zusammenhang eine großartige Einladung, die Welt in ihrer Gesamtheit zu denken!

Wohin entwickelt sich die Architektur?

Ich bin der Meinung, dass sich die Architektur zum Systemischen hin entwickeln wird, um weitere Handlungsfelder in unserer lebendigen Umwelt stärker zu berühren. Ich stelle mir beispielsweise Städte und Gebäude, die atmen und dabei gesunde Luft produzieren, vor. Oder Stadtlandschaften, die ihr Stadtklima auf natürliche Weise selbst regulieren und dabei lebenswerte Nachbarschaften erzeugen.

Was sagen Sie dazu, dass heuer auf der Biennale das Digitale kaum noch eine Rolle gespielt hat?

Damit komme ich ganz gut zurecht, weil ich einen kuratierten Fokus auf die Architektur goutieren kann, aber weiß, dass meine persönliche Architekturvorstellung viele weitere Realitätsebenen einschließt.

Was lernen wir von der heurigen Biennale in Venedig?

Wir lernen, dass Architektur mehr als nur gute Form ist. Doch scheinbar ist das Format der diesjährigen Architektur-Biennale nicht imstande diese Komplexität, die mir vorschwebt, darzustellen. Soziale Prozesse, ökologisches, systemisches Zusammenfinden von Architektur und Ökologie überfordern das gewählte Ausstellungsformat. Auch wenn das postmoderne Lesen einer Biennale – also der Möglichkeit des vielfachen Interpretierens einer Sache – verschiedene Ebenen der Wahrnehmung schafft, die gleichzeitig und parallel existieren. Aus diesem Blickwinkel erschienen alle deutschsprachigen Beiträge als willkürlich und unmotiviert, um tatsächlich neue Lösungsansätze zur Diskussion zu stellen.

Was ist Architektur nicht?

Architektur ist nicht statisch. Sie ist nicht kontextlos, wobei Kontext in räumlicher, ökologischer, klimatischer, politischer, geschichtlicher, zeitlicher Hinsicht zu verstehen ist. Architektur ist für mich nicht der Endpunkt des momentanen Verständnisses von gesellschaftlicher Handlungsmacht, sondern Anfang und Freiraum künftiger Möglichkeiten, um die Welt ein bisschen gerechter und ökologischer zu denken.

 

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Foto:©Studio.terrain

 

Teil 10 PEOPLE Kolumne

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Kategorie: Kolumnen