Regina Freimüller-Söllinger
Regina Freimüller-Söllinger studierte Architektur an der Technischen Universität Wien, ebenso an der University of Michigan, College for Architecture and Urban Planning, USA. Sie absolvierte ein Postgraduate Studium an der Architectural Association School of Architecture in London, UK. Mitarbeit in Architekturbüros im In- und Ausland. Seit 2003 führt sie Ihr eigenes Architekturbüro in Wien. Lehrtätigkeit an TU-Wien am Institut für Raumgestaltung, Gebäudelehre und Wohnbau.
Forschungsassistenz am ORL Institut, ETH Zürich. Dozentur für Architektur und Städtebau zum Thema: Die Netzstadtmethode. Sie arbeitet an sehr unterschiedlichen Projekten und Bauaufgaben: Möblierung, Rauminstallationen bis hin zu städtebaulichen Projekten, Flächenwidmung und Leitbilder. Ein Schwerpunkt ist die städtebauliche Ausrichtung.
architektur: Frau Architektin, sind Sie ein glücklicher Mensch?
Regina Freimüller-Söllinger: Ja!
Warum?
Ich genieße es sehr, mit meinem Mann und meinen Kindern zusammen zu sein. Das ist ein sehr starkes, emotional bedingtes Glücklichsein.
Wenn Sie nochmals 18 wären, wäre das Architekturstudium wieder Ihre Wahl?
Ich befürchte – Ja! Ich würde aber all jenen davon abraten, Architektur zu studieren, die dies nicht mit vollster Überzeugung tun wollen. Die Jobaussichten sind nicht so rosig und der Verdienst ebenso.
Bei den Diplomprüfungen an der ETH – ein Riesensaal voll mit Architekturstudenten, die alle gleichzeitig fertig werden – da habe ich mich immer gefragt: Was tun die dann alle?
Es gibt Architekten, die nach dem Diplom Taxi fahren, als Modellbauer arbeiten und sich irgendwie in architekturfernen Berufen über Wasser halten müssen. Wir als Architekten müssen lernen, uns beruflich breiter aufzustellen, d. h. das Betätigungsfeld erweitern (Lehre, Forschung, Journalismus, Großkonzerne, Immobilienwirtschaft, Banken etc.) und unsere Kompetenzen im Bauen wieder zurückerobern (Projektsteuerung, Ausführung, ÖBA etc.)
Sind die Bereiche, die Sie da aufzählen, für Sie mit Ihrem Bild des Architekten kompatibel?
Ja. Wenn ich mich mit Studenten unterhalte – die reden und denken immer nur an das Architekturbüro, die klassische Sicht des Architektenberufes eben. Die Architekturausbildung ist viel zu einseitig. Eine Verschränkung mit anderen Disziplinen wäre auch wünschenswert.
Ein bekannter Kollege (Greg Lynn) von Ihnen hat gesagt, dass Zeit, Raum und Bewegung immer auch philosophische Fragen sind.
Diese Begriffe sind überall anwendbar. Gerade in der Architektur, aber auch in der Kunst sind es wesentliche Themen.
Wenn Sie sich die Projekte auf Ihrer Homepage ansehen – wo würden Sie bei diesen Architekturen die metaphysischen Themen oder Schwerpunkte ansetzen?
Die Themen Licht, Erlebbarkeit, Zeitlichkeit beschäftigen mich. Ich sitze immer sozusagen auf zwei Stühlen: Einerseits die theoretische Arbeit, andererseits die Büro(Bau)arbeit. Die beiden zu verbinden ist schwierig. Bei städtebaulichen Projekten fällt mir eine Verbindung einfacher als bei Bauaufgaben.
Sehen Sie Ihre Architektur eher als erdverbundener oder als transzendent?
Das Resultat ist eher erdverbunden und der Weg eher transzendent.
Sie haben 2006 ein Projekt: „Or udud – Gedenkstätte für den deportierten Nachbarn“ gemacht. Was hat Sie dazu veranlasst?
Es ist mir ein großes Anliegen, mich mit den Themen des Vergessens, Gedenkens und dem öffentlichen Raum zu beschäftigen. Für dieses Projekt habe ich mir die Künstlerin Victoria Coeln als Partnerin genommen, da sie mit Licht und farbigen Schatten arbeitet. Und genau darum ging es mir bei diesem Projekt: Lichträume verbinden Zeichen und Orte des Gedenkens, sie verteilen sich im Park. „Or udud“ als Zentrum (Lichtwagon) und als Netz (Lichtpunkte, Erinnerungszeichen) bietet unterschiedliche Orte der Ruhe, zum Verweilen und Begegnen. Es ging mir darum, eine Gedenkstätte zu schaffen, die nicht aufdringlich ist, sondern die erlebbar und spürbar sein kann – aber nicht muss.
Zu diesen Ansätzen passt der Ausspruch des englischen Poeten und Malers William Blake sehr gut dazu: „Ein Gedanke füllt die Unendlichkeit.“
Ja, das ist ein sehr schöner Satz.
Welchen Stellenwert nimmt die Kunst in der Architektur ein?
Einen sehr hohen. Bei meinen Projekten arbeite ich gerne mit Künstlern zusammen, so wie bei „Or udud“ mit der Lichtkünstlerin Coeln oder bei Klangrauminstallationen mit dem Komponisten und Klangkünstler Karlheinz Essl. Alles was mit Notation, Aufzeichnung und Wiedergabe zu tun hat interessiert mich. Das verschmilzt mit der Architektur.
Ist Architektur Kunst?
Architektur und Kunst sind zwei Disziplinen, die miteinander verschmelzen können. Zum Beispiel mit dem (Filmemacher und Maler) Edgar Honetschläger habe ich ein „Kunst-imöffentlichen- Raum“-Projekt entwickelt. Wenn ich eine Verbindung zwischen Architektur und Kunst herstelle, gehört für mich die Wirtschaft auch dazu. In diesem Spannungsfeld bewege ich mich als Architektin andauernd.
Philip Johnson, der ja bekannt für seine ungeschminkte Ausdrucksweise, aber auch für seine Selbstreflexion war, hat einmal die Architekten als bloße Handlanger der Bauherren bezeichnet.
Für mich stimmt das nicht. Es ist ein Miteinander.
Wie gehen Sie mit dieser ständigen Einflussnahme, mit dem Druck der Bauherren um?
Das ist eine Herausforderung, die auch viel Energie kostet. Ich versuche den Auftraggebern immer in ihren eigenen Worten zu erklären, worum es mir eigentlich geht. Mit Künstlern gibt es diese Kommunikationshürden meistens nicht.
Mich interessiert diese kommunikative Ebene sehr. Ich stelle mich oft als eine Art Mediator zur Verfügung, als Mittler zwischen rein rechnerischen und ästhetischen Argumenten. Das funktioniert zwar nicht immer aber immer öfter.
Welche Architekten würden Sie als Ihre Vorbilder bezeichnen?
Während meines Studiums war das der Jean Nouvel. Damals war er noch nicht wirklich bekannt, und mir ist eben aufgefallen, dass jedes Bauwerk von ihm so anders war. Ich hatte das Gefühl, dass seine Bauten sehr präzise auf die jeweilige Situation, auf den Ort und die Aufgabe eingehen.
Während meines Studiums war ich viel in Amerika, da haben mich die Bauten von Johnson, Wright und Kahn fasziniert. Vor meinem Studium war ich in Brasilien, da hat mich das Monumentale, das Skulpturale von Niemayer begeistert. Ebenso das, was er aus Stahlbeton macht und wie er ihn formt. Wegen ihm habe ich Architektur zu studieren begonnen.
Wer sind heute Ihre Vorbilder?
Es gibt in Wien einige Architekten, die ich sehr schätze. Krischanitz zum Beispiel.
Trotz seiner unbequemen Stühle im Radio Kulturkaffee?
Das ist eine typische Wiener Diskussion. Aber das ist das, was eben die Menschen in Wien beschäftigt.
Wenn heute Architekten bauen, und zwar die sogenannten „Stararchitekten“ – dann hat man den Eindruck, es geht eigentlich nur noch um das Bild, das Abbild von etwas, das dargestellt werden soll, um eine möglichst große Medienwirksamkeit zu erreichen. Wir erleben eigentlich heute einen globalen Hype, eine Lawine des Exzentrizismus in der Gestaltung von Bauwerken. Bauten ohne Inhalt, ohne menschliche Bezugspunkte – reine Extravaganz. Kann sich ein „kleines“ Architektbüro wie das Ihre diesem Sog noch entziehen und trotzdem noch Qualität produzieren?
Ich laufe der Medienpräsenz nicht nach, wohl wissend, dass sie heute für das Architekturbüro sehr wichtig ist. Ich stelle lieber einen authentischen Bezug zu meiner Arbeit her, als einem Schein nachzurennen.
Wie sehen Sie die Stellung oder Aufgabe der Medien in diesem Prozess der Vermarktung, der Hochstilisierung von Abbildern?
Die Medien fördern diesen Prozess. „Leise“ Projekte haben es schwer, publiziert zu werden. Irgendwann hat mich die Bilderflut der Architekturmagazine so erdrückt, dass ich angefangen habe, nur noch reine Textbücher zu lesen. Ich habe mich sozusagen dem Bildkonsum verweigert, da diese Bilderflut ein eigenständiges Entwerfen erschwert.
Heute muss alles möglichst schräg, möglichst dekonstruktiv, möglichst viel Glas und Stahl benützen, möglichst auffallend sein.
Dafür bin ich nicht zu haben!
Glauben Sie, dass Architektur die Welt verändern kann?
Architektur verändert unsere Kulturlandschaft.
Wollen Sie mit Ihrer Architektur die Welt verändern?
Nein! Nicht die ganze Welt, aber einen kleinen Beitrag zur Kulturlandschaft kann ich vielleicht leisten.
Hat die Architektur eine soziale Aufgabe?
Ja, auf jeden Fall. Es geht immer um den Menschen, um das Zusammenleben. Es gilt, Räume und Freiräume zu schaffen, in denen sich die Menschen wohlfühlen.
Wenn Sie mit einer städtebaulichen Studie beauftragt werden oder an einem Wettbewerb oder Ausschreibung für ein städtebauliches Projekt teilnehmen, welches sind Ihre Beweggründe dafür?
Im Städtebau oder Stadtumbau sind sehr vielschichtige Themen zu behandeln, die vielfach in interdisziplinärer Zusammenarbeit bearbeitet werden. Die Fragestellungen, wie unsere Kulturlandschaft in den nächsten 50 Jahren aussehen kann, welche Qualitäten wir der übernächsten Generation zur Verfügung stellen, interessieren mich sehr. Diese haben immer mit Visionen, mit Zukunft zu tun.
Wie sehen Sie heute die Prinzipien der Charta von Athen: die Trennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr?
Ich finde, dass diese strikte Trennung heute nicht mehr funktioniert. Wenn unser Büro an städtebaulichen Projekten arbeitet, sprechen wir bei den Aktivitäten immer von „Wohnen plus“ oder „Arbeiten plus“.
Was bedeutet „Wohnen plus“?
„Wohnen plus“ bedeutet erweiterte Wohnprogramme. Mit dem Wohnen vermischen sich andere Aktivitäten, wie z. B.: arbeiten, ernähren, erholen, kommunizieren oder transportieren etc. Für die Analyse und Bewertung haben wir urbane Qualitätskriterien festgelegt, die lauten: Diversität, Identität, Ressourceneffizienz, Flexibilität und Versorgungsgrad. Z. B.: Eine Diversität von Aktivitäten, keine Mononutzungen; Identität ist wichtig, der Mensch muss wissen, wo er zu Hause ist und sich dort auch wohlfühlen.
Wie kritisch sind Sie? Bereuen Sie manche Ihrer Architekturen?
Im Nachhinein würde ich manches anders machen. Zum Beispiel beim Stadioncenter: Wir waren damals zu einem Fassadenwettbewerb eingeladen zur Verbesserung eines bereits geplanten Projektes. Mit der Situierung des Gebäudes war und bin ich nicht einverstanden. Heute würde ich mich dafür einsetzen, anstelle eines Fassadenwettbewerbes einen Wettbewerb für das gesamte Projekt machen zu können.
Und was ist Ihnen das Liebste an der Architektur?
Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen in verschiedenen Maßstäben, die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten. Zum Beispiel bei unserem „Superare“-Projekt – das ist ein Umbau eines Objektes der Ankerbrotfabrik – arbeiten wir mit dem Konzerthaus und der Caritas zusammen. Hier wird versucht, Kindern aus allen sozialen Schichten eine erstklassige Musikausbildung zu bieten, damit sie die Freude an der Musik erleben können. Die Performances geben Anerkennung, steigern das Selbstwertgefühl. Das ist Architektur auf einer ganz breiten Ebene, das ist toll.
Ist gute Architektur rational oder irrational?
Da ich viel Zeit im Ausland verbracht habe mit Studium, Lehrtätigkeit und Arbeit, kommen Sichtweisen zum Tragen, die sich in meiner Architekturauffassung ausdrücken. Für mich ist gute Architektur eher das Irrationale, wo der Bauch, das Gefühl angesprochen wird. Das ist also auch etwas Metaphysisches.
Wie sichern Sie die Qualität in Ihren Projekten? Nach welchen Kriterien?
Die Qualitätskriterien verändern sich mit jeder Aufgabenstellung. Das Emotionale ist immer wesentlich.
Was sagen Ihre Kinder zu Ihrer Architektur?
Die sind begeistert, wenn sie auf der Baustelle einmal im Bagger mitfahren dürfen.
Die Vortragsreihe „Sprechen über Architektur“ wird von der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs veranstaltet. Alle Vorträge findem im Bene Vortragssaal, 1010 Wien, Neutorgasse 4-8 statt.
Nächster Termin
Arno Ritter
8. März 2012, 19.00 Uhr
Kategorie: Architekten im Gespräch