Froetscher Lichtenwagner Architekten – Nach der Abgabe
Seit 1996 existiert das gemeinsame Büro von Willi Froetscher und Christian Lichtenwagner. Willi Froetscher (* 1962), 1986 Diplom an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien, (Mag. Arch.) 1987–89 UCLA, Los Angeles, (M. arch.) 1994–98 Universitätsassistent TU Wien; Christian Lichtenwagner (* 1959), 1986 Diplom an der TU Wien, 1988 Architectural Association London, ab 1991 Projektleitung Museumsquartier bei Ortner & Ortner, Lehraufträge an der TU Wien und an der Univ. für angewandte Kunst. architektur besuchte die Architekten Froetscher Lichtenwagner in ihrem Atelier und führte folgendes Gespräch.
architektur: Sie haben eine anstrengende Woche hinter sich, am Freitag war der Abgabetermin für den Wettbewerb, den Sie in letzter Zeit gemacht haben. Was ist das für ein Gefühl, wenn man gerade einen Wettbewerb abgegeben hat? Wie fühlen Sie sich heute, Montag, nachdem Sie am Freitag abgegeben haben?
Es ist immer ein komisches Loch, in das man stürzt. Wir haben ja schon viele Wettbewerbe gemacht, so an die 50 Stück. Das ist immer eine wahnsinnig intensive Zeit, gegen Ende verdichtet es sich dann noch. Wenn es vorbei ist, dann macht sich eine gewisse Leere breit.
Wenn man dann abgibt und sieht, dass dort über 100 Planrollen stehen! Das weiß man natürlich, aber wenn man es dann so 1:1 sieht, stellt sich schon die Frage der Zumutbarkeit solcher selbstausbeuterischer Verfahren.
Beim ersten Durchgang wird von diesen 100 Projekten einmal die Hälfte oder mehr ausgeschieden, ohne dass irgendwer den Inhalt genauer anschaut. Das ist halt das Prinzip der offenen Wettbewerbe. Es ist Selbstausbeutung, aber ein besseres Prinzip – gerechter und ressourcenschonender – ist uns auch noch nicht eingefallen.
Welche Erwartungen haben Sie an den Wettbewerb?
Das ist immer verschieden: Manchmal hat man das Gefühl – jetzt ist alles aufgegangen, die Idee, das Konzept, die Dinge greifen ineinander, das ist eine adäquate Lösung für eine komplexe Aufgabenstellung. Dann steigt die Erwartungshaltung natürlich, man denkt sich: „Da kann doch gar kein Juror daran vorbeigehen. Das muss doch bemerkt werden.“
Was haben Sie für Hoffnungen, oder sind Sie zu bescheiden dazu?
Hoffnung hat man immer, die ist ja auch begründet – immerhin haben wir ja auch schon einige gewonnen!
Was hatten Sie für Erwartungen, Hoffnungen, als Sie sich selbstständig gemacht haben?
Wir haben schon ab 1996 zusammengearbeitet, aber erst ab 2001 ein gemeinsames Büro begründet und geführt. Es hat mit dem Projekt centrum.odorf begonnen. Das ist ein Stadtteilzentrum im olympischen Dorf in Innsbruck. Es war ein Europan Wettbewerb, den wir 1996 gewonnen haben. 2001 haben wir den Auftrag zur Realisierung bekommen. Es war ein Projekt, bei dem man sich mit der Frage auseinandersetzen musste, wie mit dem ‚Erbe der Moderne’ bzw. deren Auswüchsen im Bereich Stadterweiterung umzugehen ist. Ein Paradebeispiel für eine monofunktionale Stadterweiterung aus den 1960er- und 1970er-Jahren.
Es war klar, dass man mit einem Stück ‚besserer Architektur‘ als die umgebenden Gebäude hier wenig bewirken hätte können. Die Demokratisierung des Wohnens hat eben Abstände zwischen den Körpern eingeführt, die sich nicht nach stadträumlichen Kriterien
richteten, sondern daran, dass alle die gleiche Himmelsrichtung hatten, die gleichen Abstände und Ausrichtung der Wohnungen etc. Es entstanden Restflächen, die einfach kein Alltagsleben zulassen, auch wenn sie mittlerweile gut eingegrünt sind.
Was ist eine ‚bessere Architektur‘, eine gute Architektur?
Eine gute Architektur versucht, auf die Fragestellung des Ortes die richtigen und angemessenen Antworten zu finden. Wobei der Begriff ,bessere‘ hier unter Anführungszeichen zu lesen ist.
Das ist sehr allgemein.
In dem konkreten Fall ging es darum, mit den Mitteln des Vorhandenen zu operieren. Das Prinzip ‚Grober Klotz auf groben Keil‘ war am Anfang natürlich nicht unumstritten. Wir wollten ein Gebäude errichten, das seinen eigenen Platz mitbringt. Ein Gebäude als Generator für einen öffentlichen Platz und einen Platz als Generator für öffentliches Leben im Quartier – nicht einfach nur ein besseres Gebäude.
Bedeutet das ‚bessere‘ auch eine gewisse Vielschichtigkeit?
Ja, formal vielleicht zurückgenommen, vielschichtig in den funktionalen und stadträumlichen Zusammenhängen. Eine Neuinterpretation des Quartiers war der Anspruch.
Was sagen Sie zu den Kriterien der Stadtplanung, die bei uns angewandt werden (Verkehr, Wohnen, Arbeiten und Freizeit – Charta von Athen)? Ist das noch zeitgemäß? Ist es nicht bedenklich, dass wir uns eigentlich überhaupt nicht weiterbewegt haben?
Die Erkenntnisse der Moderne haben uns in eine Sackgasse geführt. Es gibt schon lange eine Diskussion, die jetzt in der ZV von Reinhard Seiss wieder angestoßen wurde. Leute wir er oder auch Georg Franck und Lampugnani liefern pointierte Beiträge zu dieser Diskussion und fundierte Kritik am derzeitigen Zustandsbild unserer Städte. Wir teilen diese Kritik, haben aber an den Schlüssen daraus unsere Zweifel.
Als Ergebnis dieser Analyse wird nämlich die Gründerzeitstadt gesehen, nur mit weniger Dichte. Diese Lösung spiegelt nicht unsere gesellschaftliche Realität wider.
Kann man überhaupt für 1.000 oder mehr Menschen etwas planen? Vom demokratischen Gesichtspunkt aus?
Wenn wir uns das nicht zutrauen würden, müssten wir ja unseren Beruf an den Nagel hängen. Selbstverständlich können wir das planen und müssen es auch. Es braucht immer erst eine Vorstellung, eine Vision von dem Ganzen. Dann setzt ohnehin der demokratische Prozess ein.
In China werden bei der Stadtplanung auch Kriterien wie Identität, Erfüllung und Glück der Bewohner mit einbezogen. Begriffe die in den hiesigen Konzepten nicht auftauchen, über die nicht diskutiert wird. Haben wir in Europa da etwas verschlafen?
Meines Wissen spielt der Begriff ,Glück‘ in der chinesischen Kultur eine besondere Rolle und ist mit unterschiedlichen Bedeutungen besetzt. Glück als Kategorie im Städte- oder Wohnbau klingt bei uns eher als blumiges Versprechen von Bauträgern, die diesen Begriff nicht nur in ihren Prospekten anführen, sondern sogar in ihren Namen.
Da widerspreche ich Ihnen. Hierzulande will ein Bauträger die maximale Rendite, den maximalen Profit. Das sagt er vielleicht nicht aber er denkt so.
Das ist das Prinzip Marktwirtschaft, oder klassenkämpferisch gesprochen: Kapitalismus. Darüber herrscht seit mehr als 20 Jahren ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens. Und die Turbo-Marktwirtschaft in China wird erst beweisen müssen, wie dieser hohe Anspruch dann am Ende eingelöst wird.
Wäre es nicht vielleicht Zeit einmal umzudenken?
Ja, die Frage hat sich nicht zuletzt durch die seit 2008 anhaltende Krise längst gestellt. Die Bereitschaft das einmal politisch völlig anders zu sehen ist aber begrenzt. Städtebau ist immer auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wollens. Der Einfluss, den wir als Architekten hier nehmen können, ist begrenzt.
Wo ist jetzt Ihre Position, Ihre Vision einer städtebaulichen Entwicklung?
Wir beschäftigen uns mit dem ‚Erbe der Moderne’ und versuchen in unseren städtebaulichen Projekten die jeweils angemessene Dichte zu definieren. Dichte ist kein absoluter Wert. Typologisch haben wir eine Art Synthese des Wiener Blocks der Gründerzeit mit der Zeilenbauweise der Moderne entwickelt. Wir nennen es ‚der aufgelöste Block‘. Ein Prinzip, welches wir beim Wettbewerb Waterfront Erdberger Lände erfolgreich anwenden konnten. Das von uns in der Folge erstellte Leitbild wurde bereits vom Fachbeirat genehmigt, und im Herbst soll es eine entsprechende Flächenwidmung für dieses Areal geben.
Was verstehen Sie unter dem sogenannten ‚Erbe der Moderne‘?
Die Gedanken oder Ideen und Konzepte der Moderne sind der offene, fließende Raum. Dieses Prinzip ist aber auch leicht zu missbrauchen. Unsere Stadterweiterungsgebiete leiden heute unter der Monofunktionalität und unter den vorhin beschriebenen Abstandsflächen. Wir müssen uns den öffentlichen Raum für die Stadt zurückerobern. Der Hochgeschwindigkeits-Individualverkehr dominiert die Flächen der Stadt.
Haben wir in Wien einen öffentlichen Raum? Der öffentliche Raum ist doch weitgehend vom Verkehr besetzt.
Ich sehe den öffentlichen Raum auch an einer anderen Stelle gefährdet oder bedroht: dort wo er aus Kostengründen an die Wohnbauträger und Hausgemeinschaften abgetreten wird. Er wird beschnitten und eingezäunt und geht damit der Öffentlichkeit verloren. In der Innenstadt findet eine andere Art der Besetzung statt: Hier wandern die Geschäfte hinaus auf die Straße, die Restaurants besetzen mit ihren Schanigärten die Straße, und ich kann den öffentlichen Raum nur mehr benutzen, indem ich 6 Euro für eine Melange bezahle.
Wenn Sie heute noch mal ein Studium wählen könnten, wäre das wieder die Architektur?
Ja, aber aus völlig anderen Erwägungen wie damals. Ich bin total naiv an das Studium, an diese Zukunftsperspektive herangegangen. Ich habe mir nicht gedacht, dass das ein derart harter Job ist, mit so viel Einsatz, so viel Zeit. Aber auf der anderen Seite ist es toll, wenn man Dinge bauen kann, komplexe Zusammenhänge zu einem Ergebnis führen kann. Wenn auch öffentlich sichtbare Werke entstehen.
Gibt es unter Ihren Arbeiten eine oder etwas, dass Sie heute anders lösen würden?
Mit zeitlichem Abstand würde man wohl oft manches anders machen – im Detail vor allem. Aber die Grundhaltung ändert sich nicht so schnell.
Was sagen Sie zur sozialen Verantwortung des Architekten?
Natürlich hat der Architekt eine soziale Verantwortung – so wie jeder Mensch.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Arbeiten etwas verändern können?
Gesamtgesellschaftlich gesehen wird der Effekt wahrscheinlich minimal sein, aber konkret auf eine Situation bezogen, auf einen städtebaulichen Kontext bezogen – sehr wohl!
- Michael Wallraff – Vertikale öffentliche Räume
- Regina Freimüller-Söllinger
- Reinhard Seiß – Kritik an der Stadtplanung
Kategorie: Architekten im Gespräch