lichtblau.wagner architekten – Das Selbstbild des Architekten
architektur besuchte die Architekten lichtblau.wagner in ihrem Atelier und sprach mit ihnen über das Berufsbild der Architekten heute sowie über die Ausbildung und Chancen der kommenden Architektengeneration.
Frau Architekt Wagner, man findet im Netz kaum Informationen über Sie. Sind Sie der stille Teil der Partnerschaft? Oder ist diese Zurückhaltung rollenspezifisch?
Susanna Wagner (SW): Professur habe ich keine, das strebe ich auch nicht unbedingt an. Es ist ja nicht schlecht in einer Partnerschaft, wenn einer der Außenminister ist.
Nach dem Prinzip „Hermes und Hestia“ der griechischen Mythologie? Sie ist für Bewahren und Verwalten zuständig, und er geht jagen?
Andreas Lichtblau (AL): Ja. Ich gehe die Firmen auf der Baustelle jagen. Sie jagt das Geld vom Büro aus.
Haben Architekten Ticks und Macken? Wenn ja, welche haben Sie?
AL: Wir beschäftigen uns seit Langem mit den flüchtigen, ephemeren Qualitäten. Es geht nicht primär um das Formale, sondern zum Beispiel um die Luftqualität in den Innenräumen. Die Akustik spielt auch eine große Rolle, der Sonnenschutz durch Bäume als selbstregulierender jahreszeitlicher Sonnenschutz statt mechanischer Beschattung.
SW: Das zieht sich durch alle unserer Projekte.
Welches ist Ihr Selbstbild in der Gesellschaft? Wie schildern Sie sich?
AL: Wir sind die Architekten, die bei einem Wettbewerb Fragen stellen, wir überlegen, ob das, was gefordert ist, ob die Parameter sinnvoll sind, oder ob man es anders machen könnte. Wir versuchen andere Lösungen als erwartet anzubieten, sei es städtebaulich oder innenräumlich.
Und wie beschreiben Sie überhaupt das Bild des Architekten in der Gesellschaft? Was ist der Architekt in der Gesellschaft?
AL: Lächerlich!
SW: Ein Dienstleister, der einfach Kubatur schaffen soll!
AL: Die Frage ist, wo werden die Grundlagen und Entscheidungen getroffen. Es war immer ein bisschen eine Anmaßung der Architekten, diese soziologisch relevanten Entscheidungen treffen zu wollen. In den 1970er- und 1980er-Jahren war das teilweise möglich, beim partizipativen Wohnbau oder bei Schulbaukonzepten, aber heute ist das anders: Die Wettbewerbe werden heute ganz genau und nur nach dem Raumprogramm abgefragt, das machen Projektmanager als Bauherrenvertreter. Das sind ja nicht immer die berührend guten Architekten, sondern Büros, die viele Leistungsbilder anbieten, aber wenig Knowhow in die Tiefe haben.
Wenn Sie sagen, dass der Architekt ein lächerliches Bild abgibt – ist das nicht auch die Schuld der Architekten selbst?
AL: Ja, im Kollektiv durchaus. Es gibt keine andere Berufsgruppe, die so absurd zerstritten und neidig aufeinander ist wie die Architekten. Solidarität gibt es bei uns gar nicht. Wir sind auch prozesshaft relativ viel unterwegs.
SW: Prozesshaft heißt: vor Gericht.
AL: Wir haben (als Berufsgruppe) in den letzten Jahren sehr viel an Terrain gegen die Projektmanagementbüros, die sozusagen den Überarchitekten spielen, verloren. Wir mussten die Position der Vertretung der Bauherren eigentlich aus der Hand geben.
SW: Wir haben sie uns aus der Hand nehmen lassen!
Was hat die bedingungslose Kleinschreibung statt grammatikalisch richtig – groß und klein – zu bedeuten? Auch Sie praktizieren das. Ist das ein bewusstes Abgrenzen von den ANDEREN? Den NICHT-Architekten?
AL: Ja, das macht auch immer bei der Eingliederung in Publikationen Schwierigkeiten. Das Grimmsche Wörterbuch (der erste Band erschien 1854) hat eine konsequente Kleinschreibung gehabt, Loos hat das – aus dem angelsächsischen Raum übernommen – auch praktiziert. Für uns ist das eine Positionierung der „Moderne“, wir zeigen damit das Aufklärerische, das Investigative unserer Haltung.
Warum tragen Architekten schwarz?
AL: Wir tragen nicht schwarz. Wir tragen dunkelgrau. Es ist eine eher neutrale Kleidung, durch die die Person wichtiger wird als das Äußere.
SW: Ich hab heute ein rosa Leibchen an (unter einem schwarzen Kleid).
Für mich zeigt das schon das Selbstbild des Architekten: Ich bin anders!
SW: Für mich ist das eine Art Basis, auf die man dann etwas Schrilleres aufsetzen kann.
Herr Architekt Lichtblau, Sie sind seit Oktober 2011 Leiter des Institutes für Wohnbau an der UNI Graz. Warum haben Sie die Professur angenommen?
AL: Ich habe ja in Graz studiert, und die Uni dort war einfach sehr spannend. Jetzt ist das eine Art Fortsetzung mit anderen Mitteln.
Frau Architekt Wagner, Sie haben zuerst bei der letzten Frage gelacht. Warum?
SW: Weil wir diese Frage schon ziemlich lange diskutiert haben.
AL: Was ich jetzt in Graz im Studium thematisiere, ist eigentlich das, was wir seit 20 Jahren im relativ kleinen Maßstab hier im Büro machen und umsetzen.
Wie vermitteln Sie Architektur, speziell Wohnbau an Studenten?
AL: Das bereite ich gerade für die Studenten vor. Ich sage allen am Anfang, sie sollen etwas Gescheites und nicht Architektur studieren. Die Studenten gehen mit einem völlig falschen Rollenverständnis an das Studium heran. Wir brauchen Lobbyisten bei den Magistraten, bei den Bauträgern. Ich versuche den Studierenden zu vermitteln, dass die streng reglementierten Grundrisse, die wir im Wohnbau gegenwärtig kennen, die aus den Bauordnungen, den Normen und der Wohnbauförderung kommen, ganz grundlegend zu hinterfragen sind. Ich versuche durch Beispiele historischer, disponibler, offener Grundrisse die Sichtweise auf den Wohnbau umzudrehen.
In Ihrem „Mission Statement“ bzw. in einer APA-Aussendung schreiben Sie, dass ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit die Forschungen zur Leistbarkeit von Wohnraum sein wird. Sie meinen auch, dass der Wohnbau für Teile der Gesellschaft in Zukunft nicht mehr leistbar sein wird. Wenn man jetzt weiß – und Sie wissen das sicherlich – dass wir in der Zukunft jeden Quadratmeter Boden für den Anbau von Nahrungsmittel brauchen werden, müsste man da nicht den Architekten das NEUBAUEN überhaupt verbieten?
AL: Man müsste zunächst einmal den Bürgermeistern die Kompetenzen entziehen, Baubehörde erster Instanz zu sein.
Warum verweigern Sie sich dem Einfamilienhausbau?
AL: Weil das raumplanerisch eine katastrophale Situation ist. Raumplanerisch heißt natürlich in einem größeren Maßstab betrachtet. Wir wollen auch keine Einfamilienhäuser bauen. Wir haben bisher nur zwei Haus-Umbauten gemacht.
Was schlagen Sie als (Alternativ-)Nutzung der unzähligen schon ge- und verbauten Kubikmeter unserer Umwelt vor?
AL: So wie ich den Bürgermeistern die Kompetenz entziehen würde, sage ich den Studenten: „Gründet Abbruchunternehmen. Befasst euch mit Rückbau!“
Im Sinne von Recycling, Urban Mining?
AL: Ja, ich versuche, eine einfache Rechnung aufzustellen: Wenn man alle Kosten, Bau, Aufschließungskosten, Transport, Herstellung der Materialien, Reisekosten etc. über die Jahre zusammenrechnet, dann wird man daraufkommen, dass der Quadratmeterpreis in einer innerstädtischen Lage nicht teurer als der Quadratmeter in einer ländlichen Lage am Ortsrand ist. Das ist das einzige Argument, das zählt. Der direkte Preisvergleich und die Leistbarkeit.
Wäre es nicht eine interessante Herausforderung für junge Studenten eine neue Nutzung oder neuen Sinn oder Inhalt für schon gebaute, leer stehende Kubaturen zu finden?
SW: Professor Wurzer hat in einer seiner letzten Vorlesungen gesagt: „Ihr werdet euch noch wundern, ihr werdet nichts mehr bauen sondern nur noch umbauen.“
Sie schreiben auch: „Nutzungsneutrale Raumproportionen und Raumgrößen, eine Abkehr von rein funktionalistisch determinierten Grundrissen sind Fragestellungen. Die Implementierung wesentlicher kommunikativer Raumqualitäten in Allgemeinflächen und im Umfeld der Gebäude sowie die Vermeidung monofunktionaler Strukturen erweitern diese Thematik in das direkte Wohnumfeld.“ Dieses Zitat können Sie fast überall finden, wo Architekten über sich selbst schreiben. Dabei ist Ihr Ansatz, Vergleiche mit historischen Räumen zur Neuinterpretation von Wohnmodellen heranzuziehen, ja faszinierend. Warum schränken Sie dann in der Verbalisierung Ihre Radikalität dermaßen ein?
AL: Diesen Stehsatz haben wir 1992 aufgeschrieben. Wir haben gesehen, dass spätestens nach der ersten Besprechung mit Bauträgern diese „Forderungen“ abgeschwächt, überarbeitet, wenn nicht sogar gestrichen werden. Diesen „Gemeinplatz“ umzusetzen ist in der Realität fast nicht möglich. Wir scheitern ja schon an diesem „Gemeinplatz“. Aber natürlich ist das kein PR-Text, sondern ein Arbeitspapier.
Die Vorstellung des Architekturstudenten, nach Abschluss des Studiums im Atelier zu sitzen und selbstständig zu entwerfen – das kann doch heute nicht mehr das reale Bild einer Studienrichtung sein? Die meisten Absolventen müssen sich als Bauzeichner, Taxifahrer oder sonst wie durch die nächsten Jahre über Wasser halten.
AL: Das sagen wir den Studenten ohnehin schon zu Beginn.
SW: Ich sage es unseren Praktikanten im Büro jeden Tag.
AL: Aber einen Vorteil haben die Studienabbrecher aus der Architektur auch: Durch sie entstehen jede Menge guter In-Lokale, die von „Ehemaligen“ geführt werden.
Warum wird den Architekturstudenten nicht eine breitere Sicht des Architektenberufes vermittelt? Zum Beispiel durch verpflichtende Praxis WÄHREND des Studiums, aber nicht in einem Architekturbüro? Vielleicht einer Bank oder Versicherung oder …?
SW: Bologna hat uns eine derartige Verschulung gebracht, dass das nicht mehr möglich ist.
AL: Ich werde mich dafür einsetzen, dass es ein verpflichtendes Berufspraktikum gibt.
SW: Wer gut lernt, wird schnell durch das System durchgeschleust. Dann sitzt er mit seinem Abschluss im Büro, und wenn sie ihm eine komplexere Aufgabe stellen, wo er denken muss – dann steigt er aus. Das ist die Verschulung, die zurzeit stattfindet.
AL: Das Wort „Schule“ kommt eigentlich etymologisch gesehen von „Muße“‚ nicht tätig sein (zu müssen), sich der Muße zu widmen.
Welche Methodik steckt hinter Ihrer Entwurfspraxis? Wie kommen Sie zur Idee?
AL + SW: Durch das Reden.
AL: Im Kopf nähern wir uns an die Themen an. Es gibt auch gewisse Sachen, die man mit einer Zeichnung besser klären kann. Der Entwurf entsteht jedenfalls zunächst nicht über das Zeichnen.
Kann Architektur etwas verändern?
AL: Bauherren können mit Architektur bankrott gehen.
Was wollen Sie ändern?
SW: Dass die Menschen anders mit dem was sie sehen, umgehen. Dass sie ihre Räume wahrnehmen, dass sie spüren, wo und wer sie sind, dass sie sich wohlfühlen. Menschen können sich durch Räume verändern.
Kategorie: Architekten im Gespräch