HOLODECK architects
Dekonstruierend (im Sinne von Jaques Derrida) aber nicht dem Dekonstruktivismus verpflichtet, planen die HOLODECK architects in ihrem Atelier am Karlsplatz ihre Architekturprojekte. Peter Reischer besuchte sie und ließ sich von ihnen den konzeptuellen Kontextualismus, der der Architekturphilosophie der beiden Architekten zu Grunde liegt, erklären.
Frau Architekt Breuss, warum sind Sie Architektin geworden? Sie haben zuerst Musik studiert. Wieso der Umstieg in die Architektur?
Ich wollte Pianistin werden, habe aber relativ schnell bemerkt, dass das durch das viele Üben ein sehr einsamer Beruf ist. Architektur findet doch sehr stark im Gemeinsamen statt.
Warum sind Sie dann von der Musik weggegangen?
Es war mir sehr schnell klar, dass ich in der Musik keine weltweit reisende Pianistin sein werde, sondern eher im Bereich der Barpianistin und Klavierlehrerin angesiedelt bin. Und das konnte ich mir irgendwie nicht vorstellen für mich.
Sie sehen also die Architektur als eine kommunikative Aufgabe oder Arbeit?
Sehr!
Und Sie bereuen es nicht?
Nein, überhaupt nicht.
Und Sie Herr Architekt Ogertschnig?
O: Am Anfang konnte ich mir den Beruf nicht so recht vorstellen, weil die Aufgabenbereiche doch sehr breit gefächert sind. Die Hauptgründe weshalb ich die Architektur gewählt habe, lagen sicherlich in einer möglichen Verknüpfung von Raum, Funktion, Prozess und Kreativität in der täglichen Arbeit.
B: Meine Eltern haben mir später erzählt, dass ich mit vier oder fünf Jahren in einem geschenkten Puppenwagen bereits Kies und Wasser gemischt habe. Anscheinend liegt das Architektsein bei mir in den Genen.
Als was sehen Sie jetzt Ihre Aufgabe in der Architektur?
B: Als Verräumlicher von Visionen. Das ist mein Interesse. Wir experimentieren immer noch, obwohl es schwieriger geworden ist.
O: Mittlerweile hat sich auf Grund der Erfahrungen und der Reglementierungen die freie Sichtweise ein bisschen geändert. Es ist aber umso spannender, weil man bewusst über diese Grenzen hinausgeht. Wir versuchen im Kräftespiel die Grenzen auszuloten.
Sehen Sie das so wie in einem Wettkampf, dass man versucht zu dehnen, mehr zu erreichen?
B: Als Wettkampf mit den Grenzen.
O: Nicht aber im Sinne einer Trotzhaltung in der man gegen etwas anrennt. Die Methoden sind unterschiedlich, sie sind über das Thema definiert, über die Parameter, gehen aber auch in die Baugesetze hinein und in die Materialität. Hierfür benötigt man immer mehr spezialisiertes Wissen bzw. Partner. Es gilt jedoch die Kernkompetenz, die Federführung definitiv zu behalten, sonst zerfällt das Ganze.
In welchem Stil würden Sie sich mit Ihren Arbeiten einordnen?
B: Im analytischen Stil und im konzeptuellen Bauen. Wir lassen uns immer von dem was vor Ort ist, beeinflussen. Es wird jedes Mal neu entwickelt.
Und im Formalen?
B: Die Herangehensweise ist ganz klar analytisch. Was uns philosophisch interessiert hat, ist die Dekonstruktion. Nicht der Stil, der sich architektonisch daraus entwickelt hat, sondern die philosophische Idee des ‚Zerlegens‘. Das Analysieren der einzelnen Elemente, und aus diesen dann wieder neue Teile zusammenzufügen. Diese Teile, basierend auf der Umgebung, in ein neues Gefüge zu bringen. Dabei versuchen wir auch einen neuen Gesichtspunkt einzunehmen, sozusagen ‚ums Eck’ zu denken.
O: ..und neue Parameter einzubringen, um dieses Puzzle neu zusammenzufügen.
Wenn Sie jetzt einen Auftraggeber haben und der liest auf Ihrer Homepage: Konzeptueller Kontextualismus. Was soll der sich dann denken? Wie erklären Sie ihm das?
O: Für uns ist der wichtigste Faktor der Mensch. Er ist ja derjenige, der die Architektur benutzen soll, der sich darin entsprechend der Funktion, Bauaufgabe ‚fühlen‘ soll. Ich kenne ein Gebäude – ich habe ein Gefühl.
Kommen Sie da zu dem berühmten Satz des Protagoras: Der Mensch ist das Maß aller Dinge?
O: Nicht der Mensch mit seinen physischen Maßen, mit seinen – vielleicht gewohnten – Vorstellungen, sondern der Mensch in der Reflexion des ‚Benutzens‘, des ‚Empfindens‘ im Raum. Und der Ort hat für uns genauso Wichtigkeit. Wie interpretieren wir den Ort, was ist für uns dort wichtig. Wie abstrahieren wir den Ort. Das ‚ums Eck denken‘ hat mit der Abstraktion zu tun. Ich kann ja aus einem Ort in vielen verschiedenen Arten lesen: materialmäßig, geometrisch, gefühlsmäßig, …
Ist das eine Art des dekonstruktiven Denkes, die Sie da anwenden?
B: Genau, eine persönliche Art des dekonstruktiven Denkens. Deshalb ist auch das Wort ‚Dekonstruktivismus‘ bei uns nicht passend, deshalb passt der ‚konzeptuelle Kontextualismus‘ bei uns sehr gut, weil wir immer ein abstraktes Konzept haben, dieses Konzept aber eben aus der Analyse entwickeln. Das Analysieren, das Dekonstruieren, das Abstrahieren ist unsere Herangehensweise.
O: Wichtig ist nicht das Ergebnis an und für sich, sondern dass das Ganze mit einer Identität, mit einer Atmosphäre entwickelt wird.
Das heißt, die Architektur ist am Anfang schon etwas Umfassendes, etwas Holistisches, Sie nehmen dann eine der momentanen Situation, dem Objekt angepasste dekonstruierende Sichtweise ein und versuchen etwas herauszuholen?
Absolut.
Warum schreiben Sie auf Ihrer Homepage alles klein? Das ist doch eine Masche!
B: Eher eine ‚Marotte´.
O: Das hat eher grafische Gründe, das ist Gewohnheit.
B: Ich glaube, ‚kleingeschriebenes‘ ist angenehmer zu Lesen. Es hat auch mit dem Schreibfluss zu tun.
Warum verwenden Architekten oft eine sehr konstruierte Verbalisierung?
B: Das habe ich auch schon gehört.
Die Architektur soll doch eigentlich ein Vermittlungsmedium sein?
B: Wenn sie gebaut ist!
Ja, aber auch in der Bildvorstellung.
B: Kann man Architektur so vereinfachen, dass sie für jeden verständlich ist?
Gegenfrage: Soll die Architektur zum Menschen kommen, oder soll der Mensch zur Architektur kommen?
B: Der Mensch, der sie benutzt muss sie spüren, der Mensch der sie erzeugt muss sie denken.
Das ist aber keine Antwort auf meine Frage!
O + B: Die Architektur muss zum Menschen kommen.
Das würde dann aber auch eine Zugänglichkeit, eine vermittelnde Position bedeuten? Finden Sie, dass die heute gebaute, nationale und internationale Architektur diese Vermittlungsfähigkeit hat?
B: Oft nicht mehr, sie hat sich verselbstständigt, sie ist sehr formal geworden.
O: Es ist das Generieren von Marken, von Namen. Der Bauherr bestellt einen formal zuordenbaren Entwurf, dann kann im Marketing nichts mehr schief gehen.
B: Das fängt teilweise schon mit der Ausbildung an. Das Problem ist, dass man nicht mehr in Dinge hineinschaut, sondern einfach oberflächlich nimmt, was cool und neu ist.
Sie sind beide auch in der Lehre tätig. Was wollen Sie, was können Sie den jungen Studenten vermitteln?
B: Das kritische Hinterfragen steht für mich an erster Stelle.
Wie bekommen Sie die Menschen, die bereits von der Mittelschule ‚verbildet‘ sind, zum Denken?
B: Indem ich sie zwei handgeschriebene A4 Seiten schreiben lasse, samt den zugehörigen Quellenangaben. Da kommen dann meistens nur http und www – Quellenangaben. Dann frage ich sie: Stimmt das oder stimmt das nicht? Und das wissen sie dann nicht. Genau das ist das Problem – der tiefere Einblick findet nicht statt. Sie begreifen dann, dass sie vom Internet abhängig sind. Dann fangen sie an zu Denken und zu Hinterfragen.
Ein interessantes Konzept!
O: Die Studenten haben nicht gelernt zu differenzieren. Die Qualität der Quellen ist das große Problem. Sie können nicht erkennen, was aus erster Hand ist und was aus zweiter Hand. Sie haben das Original nicht selbst gelesen, sie sind nur an der Oberfläche.
Das heißt, das geschrieben Wort hat eine große Bedeutung für die Bildung und Erziehung?
O: Sollte es haben! Die Menschen haben nur noch eine kleine Zeitspanne, auf Grund der ganzen Bilder mit denen sie überflutet werden, zum Lesen zur Verfügung. Dieses Problem wird immer größer werden.
B: Vieles, was im Internet ist, ist schon wiedergekäut. Die Person, die dahinter steht, ist schon weit weg. Ich spüre den Grundgedanken des Schreibers nicht mehr.
Können Sie mit gutem Gewissen jemandem heute noch empfehlen Architektur zu studieren?
Ja, natürlich!
Warum?
Weil man durch Architektur den Menschen verändern kann. Man kann ihnen ein völlig anderes Raumgefühl geben. Wir versuchen ja Räume zu bauen, die offen sind, die Neugierde erwecken, die eine neue Position zum Leben ermöglichen.
Was ist die ‚Raumschleife‘ die Otto Kapfinger im Zusammenhang mit Ihrer Architektur erwähnt?
B: Er hat sich unsere Sachen angeschaut und sich gefragt, was ist die Eigenständigkeit unserer Arbeit.
Ich interpretiere jetzt: Er hat verstanden, dass wir nicht nur formale Elemente des dynamischen Raumes suchen, sondern dass wir das Thema selbst dekonstruieren. Darauf basierend setzen wir neue Programme zusammen. Diese lassen sich nicht als Moderne oder Postmoderne definieren, sondern bilden eine räumliche und inhaltliche Entwicklung, eben diese Raumschleife, die in sich dynamisch, schlüssig, etwas Neues ergeben soll.
Wir sind keine formalen Architekten, wie viele unserer jungen Generation, sondern wir versuchen jedes Projekt neu zu sehen. Schrägen sind bei uns nicht da weil sie ‚in‘ sind, sondern weil sie im gesamten Raum einen neue Komposition ergeben. Und die hat eben mit dem Nutzer und dem Ort zu tun.
Würden Sie das als die geistige Dimension in der Architektur bezeichnen?
O: Auf jeden Fall. Es kann aber ohne weiteres auch ein Parameter sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es eine neue Zusammensetzung ist. Die Programmierung des Raumes ist mit der Wahl unseres Namens bereits hinterlegt: Holodeck.
B: Es ist auch ein Programmieren von Visionen. Wir haben für unsere Kunden Piktogramme entwickelt, um ihnen zu helfen, von im Gehirn
und Denken eingebrannten Bildern wegzukommen. Damit Vorstellungen von Räumen, den innersten Wünschen entsprechend, formuliert werden können.
Also ist Holodeck das dreidimensionale und die Piktogramme im Sinne von Otto Neurath sind das zweidimensionale?
B: Genau, wir sind das Holodeck und der Kunde artikuliert sich über diese Piktogramme.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Notwendigkeit?
B: Ich glaube schon.
O: Man braucht anscheinend immer wieder neue Wörter, die auch neue Experten erzeugen.
B: Diese Worte und Begriffe werden sofort vom Markt okkupiert, und der Markt ist hauptsächlich industriegelenkt. Und was kann die Industrie
produzieren? Schaumstoff, Dämmungen! Und das wird über alle möglichen Medien transportiert. Aber dass auch der Raum nachhaltig sein kann – wie will man das transportieren? Das ist das, was wir Architekten machen.
Nachhaltigkeit ist ja kein Ergebnis von Bauphysik!
B: Derzeit leider schon!
Kann man Nachhaltigkeit verordnen?
B: Ich glaube eher, dass man dem Menschen beibringen muss, für die kommenden Generationen zu denken.
Warum haben Sie bei Ihren Einfamilienhäusern auf den Archetyp des Daches verzichtet? Haben Sie etwas gegen Dächer?
B: Für uns ist das Dach eine fünfte Fassade.
O: Es gibt ja von der Funktion her dafür keine verbindliche Notwendigkeit. Für uns ist der Bau räumlich entwickelt, warum sollte er mit einer archetypischen Form abgeschlossen sein?
Warum melden sich die Architekten nicht bei brennenden Themen – wie zum Beispiel die Stadtverdichtung oder überhaupt das Thema WOHNBAU – zu Wort? Warum überlassen sie ihre eigene Kompetenz der Frau Vassilakou und dem Herrn Häupl?
B: Wir haben ein Wohnbauinstitut in Wien, es ist neben Graz das einzige in Österreich. Seit 20 Jahren hört man nichts Kritisches zur Wohnbaupolitik von diesen Instituten. Ich war sechs Jahre Assistentin am Wiener Institut, ich habe das bedauert.
Von dort Beschäftigten würde ich erwarten, dass sie zur Wohnbaupolitik in Wien öffentlich Stellung nehmen. – Es kommt leider zu wenig. Sie bilden die schweigende Mehrheit, indem sie sich nicht äußern!
Kategorie: Architekten im Gespräch