Architekt Werner Neuwirth

22. Januar 2013 Mehr

Architekt Werner Neuwirth 

Der Architekt Werner Neuwirth, der ein ausgesprochen gekonntes Understatement betreibt – sein Türschild ist fast nur mit der Lupe lesbar – liefert mit seinen Denkansätzen wichtige Impulse für die ‚bauende‘ Szene. Peter Reischer besuchte den Architekten in seinem Atelier und unterhielt sich mit ihm über Sprache, Selbstdarstellung und den Weg von der Idee zur Realisation.

Architekt Werner Neuwirth

  

Wenn die Vortragsreihe „Sprechen über Architektur“ heißt, warum sprechen dann die meisten Architekten nicht über Architektur, sondern nur über eigene Werke?

Das ist der Grund, warum ich nur in Teilen einen Werkvortrag machen will. Es wird ja auch erwartet, dass man zeigt was man baut, sozusagen als Erscheinungsform. Soll man über Architektur sprechen, kommt man nicht umhin über die Sprache etwas zu sagen.
Architektur ist grundsätzlich ohne Sprache denkbar. Sie ist für mich in der Architektur nicht wichtig. Ich verwende sie um bestimmte Vorstellungen notizenhaft an Begriffen festzumachen, nur sehr lose und vage, mehr assoziativ, wie eine Parallelaktion sozusagen. Ich misstraue der Sprache, verwende sie spielerisch oft auch unkorrekt. Die Architektur selbst bleibt aber sprachlos.
Für mich ist grundlegend ein Unterschied zwischen dem ‚Tun‘ und dem ‚Denken‘, unabhängig ob sprachlich oder architektonisch. Sprache und Architektur haben jede eine eigene Grammatik. In der Sprache können Sie eine Aussage machen, im Tun müssen Sie entscheiden, damit sind alle anderen Möglichkeiten dann ausgeschlossen.

Diese beiden Sprachen sind also Ihrer Meinung nach nicht kongruent?

Eigentlich nicht, sie sind zwei sehr verschiedene Sphären. Die Sprache ist ein lineares Konstrukt, sie besteht aus Begrifflichkeiten, die darauf angewiesen sind, dass sie in dem Kulturkreis, in dem sie geäußert werden, auch wieder verstanden werden. Sprachliche Missverständnisse bringen mich in architektonischen Ideen aber oft eher weiter, sind anregender.

Was ist dann die Architektur für Sie?

Wenn man die Antwort simplifiziert – im Grunde ist Architektur eine Tätigkeit. Eine Tätigkeit, die als Ziel die Herstellung eines Werkes hat. Man ist quasi werktätig, das ist zwar ein relativ antiquierter Begriff, er unterscheidet sich aber substanziell vom Begriff der Arbeit und des Jobs. Die Arbeit ist funktionalisiert und industrialisiert worden, der Werkbezug hat sich ganz aufgelöst.
Das Werk ist aus meiner Sicht nicht die Antwort auf Probleme, auf vermutete Umstände, oder behauptete Unzulänglichkeiten, sondern das Bauwerk ist eine Lösung. Es gibt gute und schlechte Lösungen, alle lösen sie irgendwelche „Probleme“, aber ich kann nicht von Problemen ausgehen.

Ist dann die Arbeit nur noch ein Gewinnbringer?

Alle Lebensbereiche sind funktionalisiert worden, zuerst war das Material, dann die Arbeitsleistung, die Ökonomie dann die Information und auch die sozialen Tätigkeiten. Grundsätzlich lässt sich alles ökonomisch gewinnbringend betreiben, es ist eine Frage der Wertvorstellungen in einer Gesellschaft. Man könnte ja auch von sozialem oder kulturellem Gewinn sprechen.

Und ist jetzt die Architektur auch kommerzialisiert, gewinnmaximiert worden?

Es gibt derzeit in der Gesellschaft wenig Ambitionen, darüber hinaus etwas zu finden oder anzustreben. Das Bauen ist alltäglich notwendig, wie das Essen, ich kann das nicht einfach weglassen. Ich könnte ja sonst sagen: Ich baue ab heute gar nicht mehr, weil es nichts Kulturelles mehr zu finden gibt, weil kein geistiger Beitrag mehr geleistet werden kann.

Oder Sie beschränken Ihre Aussage auf: Ich baue nichts Neues mehr, es gibt schon genügend gebaute Substanz.

Man hat immer alte und neue Substanz, mit der man sich beschäftigen muss. Mich hat Alt oder Neu eigentlich nie interessiert. Das ist keine qualitative Eigenschaft, weil es ja beides gibt, es ist ja beides gegenwärtig. Mich hat auch nie interessiert, ob es modern ist und aus welcher Zeit es stammt. Der Historismus hat zum Beispiel im Umgang mit dem Bauen viel offenere Systeme als die Moderne genutzt.

Was ist ‚Bauen‘ für Sie?

Das Bauen ist einerseits ein ideelles Konstrukt, es gibt Architekten die denken Architektur nur so – sozusagen losgelöst von jeder Schwerkraft – als reine Idee. Das ist durchaus legitim, es hat eine Leichtigkeit aber es bleibt in einem gewissen Sinn immer in einer Kindlichkeit, in einer Infantilität stecken.
Die andere Seite ist das Bauen selbst, der Prozess hat eine gesellschaftliche Energie. Es werden ökonomische Mittel materialisiert und verfestigt, da kann ich teilhaben oder auch nicht. Man kann als Architekt einen kulturellen Teil beisteuern oder nicht.

Sehen Sie nicht einen Konflikt in den Bestrebungen der Stadt Wien, immer neue Wohnungen zu bauen und das angesichts des großen Bestandes an Gründerzeitbauten, die genutzt werden könnten?

Die zwei Möglichkeiten schließen einander nicht aus. Ich denke, am Besten ist beides zu verfolgen. Es ist auch nur ein Teil der Gründerzeitbauten räumlich qualitativ halbwegs gut und auch der ist schon sehr alt.
Was ich eher unglücklich finde ist, dass der öffentlich geförderte Neubau wegen der enormen Grundstückkosten nicht in Kerngebieten möglich ist. Soziale Wohnungen gibt es damit nur in Randgebieten, im Stadtkern haben wir nur noch hoch kapitalisiertes Wohnen – wenn überhaupt noch Wohnen. Allein auf Grund der Menge an Raum und der darin lebenden Menschen ist der Wohnbau aber für einen Stadtraum und das soziale Milieu extrem wichtig.
Wohnbau ist ja vielleicht die essentiellste Bauaufgabe. Die Spanne zwischen persönlichen Vorlieben, Sehnsüchte einzelner Menschen und den öffentlichen Interessen und Intervention ist hier am größten.
Nötig wäre mehr ein elementarer Wohnbau. Mir wäre lieber, die überzogenen Standards würden wieder angemessener werden.
Es könnte auch „Nullstandardhäuser“ – robuste dauerhafte Primärbauwerke geben, die erst im Laufe der Gebäudedauer an vereinbarte Standards, die sich ja fast täglich ändern – angepasst werden können.
Und wir werden mehr über unsere unverschämte Lebensweise nachdenken müssen – wie es schon Bernhard Rudofsky formuliert hat. Mit den überzogenen Standards erkaufen wir uns vielleicht ein gutes Gewissen, ändern aber die Situation nicht substanziell.

Und was ist mit dem Wohnbau, können wir über den Wohnbau sprechen?

Über Wohnbau zu sprechen ist wieder eine spezielle Situation. Das hat mit Nutzung zu tun und Nutzung hat im Grunde mit Architektur nicht unmittelbar zu tun. Architektur kann ich ja im Wesentlichen nutzungsfrei denken.
Der Mensch hat die Eigenschaft sich an Situationen anzupassen und er ist nie zufrieden damit. Wenn jetzt zum Beispiel die Architektur, die Häuser vom Himmel fallen würden, dann hätten wir einen unschuldigen Zustand. Der Mensch würde sich die Wohnungen aneignen, sie für sich adaptieren. Da das aber nicht so ist, muss jemand planen. In diese Planung werden nun alle Sehnsüchte und Wünsche, alle guten und edlen Werte hineingestopft. Man will ja etwas besseres als das, was zufällig vom Himmel fällt. Es entstehen Erwartungshaltungen, die in Normen und Standards vergesellschaftet werden. In dieser Erwartungshaltung – was eine Architektur leisten kann – entsteht eine völlige Überfrachtung. Damit ist dann automatisch ein Verlust im konkreten Tun da.
Nun gibt es Architekten, die entziehen sich dem, sie wollen damit nichts zu tun haben. Es gibt schon fast eine Parallelwelt im akademischen Bereich. Und dann gibt es Architekten, die diesen Spagat versuchen: zwischen der reinen geistigen Idee der Architektur und dem Bauen. Der Spagat wird immer größer und ich kenne nur sehr wenige, die das elegant schaffen.

Architekt Werner Neuwirth

  

Sind Sie der Meinung, dass die Architektur durch den Zwang von Regeln und Normen nicht mehr frei ist, sich nicht mehr entfalten kann?

Die Idee, die gedachte Architektur ist immer frei. Ich sehe das völlig getrennt, es sind zwei Zustände. Das rein gedankliche Modell einer Architektur, das kann ich losgelöst denken. Wenn dieses als 1:1 Versuch dann gebaut wird, ändert es quasi den Aggregatzustand.

Sie haben also eine Architekturvision im Kopf, als Kopfentwurf, wie kommen Sie jetzt zu einer Realisierung im Bauen?

Wenn ich eine Vorstellung, sozusagen als Architekturmodell habe, dann ist es natürlich interessant es zu bauen, als Versuch. Dazu brauche ich einen Auftrag.

Jetzt kommt dann ein starker, intensiver Prozess zwischen Architekt und Auftraggeber?

Ein Auftrag ist ja noch kein Werk. Zwangsläufig widersprechen sich die Interessen von Architekten und Auftraggeber. Der „ideale“ Zustand, dass der Auftraggeber die Architektur verstanden hat und aus diesem Verständnis heraus die Architektur finanziert – daran glaube ich nicht. Ob ich jetzt 50, 80 oder 100 Prozent umsetzen kann, ist nicht so relevant. Den Teil den ich umsetzen kann, den habe ich überprüfen können. Das nächste Mal setze ich den Schwerpunkt bei der Realisierung woanders und untersuche etwas anderes. Ich habe gar nicht die Selbstherrlichkeit, alles zu 100 Prozent umsetzen zu wollen. Die architektonische Vorstellung ist eine ideelle Vermutung und noch formal unscharf. Für mich ist das Bauen die Möglichkeit zu prüfen, wieweit die Idee überlebensfähig ist, wie robust sie ist und sie auch im architektonischen Modell dann weiterzudenken. Jedes Bauwerk ist eine mögliche Erscheinungsform der Idee und zeigt zugleich auch den Zustand einer Gesellschaft und das kulturelle Verständnis. Es wird immer eine Mischung sein.

Ist es ein Kompromiss?

Nein, es ist ein Resultat. Wie viel Architektur drinnen ist, hängt von der eingebrachten Intensität des Architekten ab. Während des Bauens entstehen ja oft auch Dinge, werden möglich, entdeckt, die vorher gar nicht in der Vorstellung waren.

Beziehen Sie sich da auf die Thesen von Lucius Burkhart?  Das Offene, das Flexible im Bauen?

Ja, durchaus. Für mich ist der Bauprozess nicht nur Verlust. Der größte Verlust ist der Umstand, dass ich durch die Generalunternehmer, die sich als Vermittler dazwischenschalten, kaum noch direkten Kontakt und Auseinandersetzung mit den Ausführenden habe.

Über Ihr Projekt ‚Generationen: Wohnen am Mühlengrund‘ wurde die Aussage getroffen: Eine generationsmäßige Zuordnung beim Bauen wurde vermieden.
Das ist eine sehr interessante und anspruchsvolle Aussage. Ist es gelungen, das durchzuhalten?

Aus meiner Sicht in einem hohen Maß – ja! Der Bau ist generationsspezifisch wertfrei.
Ich glaube auch nicht, dass Generationen unterschiedliche Verhaltensweisen haben. Dieses Denken führt wieder nur zu Standardisierungen, die einengend sind. Bestehende Lebensgewohnheiten werden im Alter eher einfach fortgesetzt und langsam an die geänderten Möglichkeiten angepasst. Räume sind da grundsätzlich offen nutzbar. Ich muss ihnen trotzdem eine Form geben. Es gibt keinen formlosen Raum, er kann unförmig sein, aber nicht ohne Form. Welche Form es ist, liegt in der Veranlagung der gedachten Architekturidee.

Hat die Architektur in erster Linie eine Schutzfunktion, als Weiterentwicklung der Haut zur Kleidung und dann zur gebauten Hülle?

Es ist für mich selbstverständlich, dass die Dinge die in unmittelbarer Nähe zum Menschen sind, wie zum Beispiel eine Türklinke oder ein Sessel, organische Formen haben. Je weiter sie sich vom Menschen entfernen, desto mehr unterliegt die Formfindung dann den Materialien. Warum ein Bauwerk gesamt organische oder naturähnliche Formen haben soll, verstehe ich nicht.

Wie ist eigentlich Ihr Raumbegriff, was ist der Raum für Sie?

Der Raum hat sinnliche und semantische Qualitäten und ist nur unmittelbar erlebbar, nicht darstellbar. Aus meiner Sicht ist der Raum das, wo die Sprache versagt und eigentlich auch die Zeichnung. Räume kann ich wahrnehmen, das ist wahrscheinlich das Erste, das man tut. Und ich kann Räume herstellen. Die einfachen und grundlegenden Überlegungen von Hans van der Laan zum Raum kommen dem vielleicht nahe, wie wir Raum erfassen und definieren können, sinnlich und rational.

Das bringt mich zu einer Frage bezüglich Ihrer Homepage: Wieso ist diese so unzugänglich, so sperrig?

Ich mag Webseiten, auf denen dauernd andere Fenster aufgehen und das nervöse Mausklicken nicht. Ich wollte alles in einer Ebene, einer Fläche haben, praktisch den Überblick über den Umfang bewahren. Außerdem orientiere ich mich lieber aus der Mitte der Fläche. Aber es stimmt, jemand muss schon neugierig sein.

Wieso findet man nichts über Sie im Internet?

Das ist gut so! Finden Sie das schlecht?

Nein, es ist eine gewisse Zurückgezogenheit, die Sie vermitteln. Sie nehmen im Vergleich zu den meisten Kollegen eine Sonderstellung im Bezug auf Öffentlichkeit ein.

Ich baue ganz gerne und man braucht für eine bestimmte Intensität auch Ruhe. Wenn das Werk fertig ist, sehe ich keinen Grund daneben zu stehen, es ändert ja an der Tatsache der Architektur nichts mehr. Wenn es brennt gibt es zum Beispiel Pyromanen, die kommen und sagen „Ich war es“, sogar solche die es zugeben und gar nicht getan haben. Und dann gibt es Pyromanen, die zünden etwas an und sind dann weg. Ich bin lieber weg – es brennt ja schon.

Legen Sie Wert auf Understatement? Oder ist das ein bewusstes Zurücknehmen des Eigenen um die Architektur zu Wort kommen zu lassen?

In einem gewissen Sinn – schon!

Ist Nachhaltigkeit in Ihrer Architektur ein Thema?

Ich denke Architektur ist grundsätzlich nachhaltig, vor allem die räumliche und kulturelle Qualität ist da der zentrale Wert. Das Bauen ist die dauerhafteste Form geistige Inhalte zu materialisieren.

 

Architekt Werner Neuwirth

* Bodenmühl, Gailtal in Kärnten, Österreich.
Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste und Studium der Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Assistent am Institut für künstlerische Gestaltung an der TU-Wien und seit 2000 eigenes Architekturbüro in Wien.

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Kategorie: Architekten im Gespräch