Anton Schweighofer – Nach allen Seiten offen

28. Januar 2013 Mehr

Anton Schweighofer, am Schwarzen Meer, in der Türkei geboren, studierte Architektur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Clemens Holzmeister, wo er 1954 diplomierte. Danach folgten Praxisjahre in Österreich, Schweden und der Schweiz. Von 1959 bis 1964 bestand eine Partnerschaft mit den Architekten Rupert Falkner und Peter Schweger. Schweighofers Projekte umfassen Kindergärten, Schulen, Universitäten, Heime, Spitäler, Wohnbau, Theater- und Kulturhäuser und Städtebau, die Stadt des Kindes in Wien, ein Kinderdorf in Neu Delhi, das Krankenhaus in Zwettl (NÖ), eine Forschungsstation in der Arktis, Stadtsäle in Niederösterreich sowie Wohnbauten in Wien und Berlin.
architektur besuchte Anton Schweighofer in seinem Haus in Wien/Nußdorf und sprach mit ihm über seine Arbeiten.

Herr Architekt Schweighofer, wie sind Sie zur Architektur gekommen?

Ich bin am Schwarzen Meer geboren und eigentlich erst mit sieben Jahren zum ersten Mal nach Europa gekommen, habe aber die Architektur des Orients als Kind kennengelernt.
Ich glaube daran, dass es Prägungen gibt. Mich haben sicherlich das Meer und die Kultur der dortigen Völker geprägt und beeinflusst.
Das sieht man zum Beispiel in meiner Architektur, im ‚Haus Wördern‘ deutlich: Der Gedanke des Zentralraumes ist mir wichtig. Ein Raum zum ‚Nebeneinandersitzen‘, zum ‚Miteinanderleben‘ und den ‚Anderen respektieren‘.
Es geht immer darum, etwas umfassender zu sehen, zu denken und auch zu wollen. 

Architektur ist also für Sie nicht etwa nur das Bauen oder das Konstruieren oder das Soziale?

Nein, es ist alles zusammen. Etwas Holistisches sozusagen.

Sie haben den Begriff ‚Räume für die Gemeinschaft‘ geprägt.

Ja, in meiner ganzen Architektur spielt das eine große Rolle. Das hat meiner Meinung nach mit einer Kindheitserfahrung zu tun.

Die Kultur, die Sie als Kind erlebt haben, hat Sie zu diesem Gemeinschaftsgedanken geführt?

Ja, sicherlich. Ich schätze die Tradition. Aber es reizt mich immer wieder, gleichzeitig etwas infrage zu stellen. Was ist es wirklich?

Das heißt, Sie geben sich nicht mit der Oberfläche zufrieden, Sie gehen in die Tiefe?

Ja, und das fehlt auch den meisten Zeitschriften, Magazinen und Informationen, sie sind bildlastig. Es geht immer nur um den Moment. Wir kommen aber leider nicht ohne die Bilder aus. Man sollte sich nie mit diesem Blitz eines Blickes, eines Fotos zufrieden geben, er zeigt nur einen Teil, das Andere lässt er vergessen. Kunst ist für die Architektur sehr wichtig und Architektur ist ein Teil der Kunst.
Es ist ja immer ganz interessant zu sehen, was bei Konstruktionen in der Architektur entsteht, was der Calatrava macht zum Beispiel, oder auch der Prix. Aber bewegen tut mich das überhaupt nicht.

Was ist eine Architektur die Sie bewegt?

Zum Beispiel Loos oder Frank, ich war sehr befreundet mit Aldo van Eyck und Hassan Fathy, auch mit Bogdanovic, das sind alles Menschen, die Architektur als Kultur verstehen.

Und von den heutigen, den modernen Architekten?

Gottfried Böhm, auch Zumthor, aber da geht es eher um das Respektieren der Arbeiten, die sie machen.

Was ist für Sie Architektur?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Es gilt, etwas zu schaffen, das mit Raum zu tun hat, und zwar insgesamt gesehen.
Ich habe einmal ‚Wohnen im Raum und nicht im Zimmer‘ geschrieben.
Ich bin gegen die heute laufenden Programme, zum Beispiel den Wohnbau betreffend. Ich habe seit fast zehn Jahren nichts mehr gebaut – obwohl wir (Architekten) ohnehin nicht bauen. Es gibt zwar Technokraten, Baumeister, die das tun (sehr ehrenwert selbstverständlich), aber das ist eigentlich nicht meine Vorstellung von Architektur. Architektur hat sehr viel mit Theorie zu tun, mit dem was wir uns unter Lebensformen, Gemeinschaftsformen vorstellen. Mit dem, wofür wir planen, denken und gestalten. Da sind Personen wie Rudofsky und Loos wichtig.
Ich bin kein Formalist, ich bin sogar gegen das Formalistische, gegen diese Sprache, die etwas nur der Form willen macht, um damit aufzufallen.

Da sprechen Sie die ‚Verbildlichung‘ der momentan gegenwärtigen Architektur an?

Zum Beispiel, ja!
Vom Wohnen ist jeder Mensch betroffen, er hat vielleicht sogar eine Vorstellung, was das Wohnen für ihn bedeuten soll. Wo fühlt er sich wohl, wo kann er – räumlich gesehen – kreativ sein, wo drückt er seine Persönlichkeit und seine Bedürfnisse aus.

Glauben Sie, dass der Mensch bewusst wohnt oder nur, um eine schützende Hülle um sich zu haben?

Es ist leider das Zweite, das entspricht aber nicht dem geistigen Niveau, das wir theoretisch haben.
Wohnen hat für mich viel mit Bewegung zu tun. Es geht dabei um Blickachsen, verschiedene Standpunkte, die man einnehmen kann. Und um die Verbindung von einem Raum zum anderen. Räume können so kraftvoll sein, dass man kaum mehr Möbel braucht. Das ist im Orient sehr stark spürbar. Ich war immer vom Topkapi-Palast begeistert.

Der Philosoph Martin Heidegger sagt: „Der Mensch muss das Wohnen erst lernen“.

Heidegger meinte das eher sprachlich, verbal. Ich habe hier am Tisch gerade den Heidegger mit den ‚Darmstädter Gesprächen‘ liegen. Ich habe mich nie mit dem Wort ‚wohnen‘ wohlgefühlt. Es ist viel elementarer, als dass man spielerisch damit umgehen könnte. Es ist eine Frage der Kultur, auch der Kunst natürlich. Es ist eine Frage der geistigen Auseinandersetzung mit sich selbst, mit der Zeit und mit der Kultur. Eine Frage mit dem bewussten Umgang mit den Dingen und nicht so sehr etwas, das einem durch Politik, Finanz oder Geschäft zukommt.
Ich habe in meiner Ausbildung nie das Technische als das Wesentliche verstanden. Die meisten Studenten kommen mit dem Metier aber nicht soweit, dass sie Raum, Orte oder Geborgenheit schaffen können. Sie setzen sich geistig nicht damit auseinandersetzen.

Otto Friedrich Bollnow gibt in seinem Buch ‚Mensch und Raum‘ eine Erklärung der sogenannten ‚glücklichen Räume‘. Bringt das nicht eine neue Bedeutung in die Architektur?

Ja, in die Architekturwissenschaft. Aber nicht in die Architektur als Kunst. Hier ist das Imaginäre, das Visionäre mit eingeschlossen.

Soll Architektur eher aus den Gefühlen, aus dem Bauch oder aus dem Kopf entstehen?

Beides gehört zusammen. Sie ist so umfassend, dass eines allein nicht genügt. Mit dem Geist ordnet man, mit dem Bauch akzeptiert man das Chaos, das an und für sich aber eine Ordnung ist. Die geistige Ordnung finde ich spannend und interessant, aber ich brauche sie nicht alleine. Ich benutze einen Vergleich: Das ist wie mit dem Schwimmen, hier ist das Element Wasser und der Mensch. Solange man mit dem Kopf schwimmt, also nicht wirklich gut schwimmen kann, wird man sicher über Wasser bleiben. Aber erst wenn es zu einer Vermählung vom Wasser mit dem Menschen kommt, kann man ‚gut‘ schwimmen. Das geht in die Richtung KUNST.

Da kommen wir zum Prozesshaften in der Architektur. Im Strukturalismus gibt es eine Bewegung, die die Architektur als einen offenen Prozess, der auch das Chaos miteinbezieht, betrachtet.

Ja, da bin ich völlig einverstanden. Es entsteht ja nichts von selbst – es ist ein ‚Schaffen‘. Es ist falsch, alles als Architektur zu bezeichnen.

Also hat Hollein nicht recht, wenn er sagt: „Alles ist Architektur“?

In dem Fall nicht. Loos sagt, nur die Kirche und das Denkmal sind Architektur und Kunst. Der Begriff Architektur weist darauf hin, dass man über das Vertrauen, das man zur Natur hat, etwas schafft. Da ist auch das Rationale enthalten, denn wir können nicht nur gefühlsmäßig handeln. Man kann aber durch das Gefühl geleitet werden.

Könnte man jetzt sagen, dass dieses Fixieren auf das Rationale ein mangelndes Vertrauen in die Natur und auch auf Gott ist?

Das könnte man vielleicht so weiter denken. Es benötigt aber auch beim – vom Kopf gelenkten Entwurfsprozess – ein Vertrauen: Wann hört man auf mit einer Linie? Das ist ein Vertrauen in mich, in meine Persönlichkeit und ein Vertrauen in meine Hand, die den Strich zieht.
Auch wir schaffen manchmal etwas, das kühn ist – in der Gotik zum Beispiel.

Was war das Konzept der ‚Stadt des Kindes‘, die Sie gebaut haben?

Es ging um das Wohnen für gefährdete Kinder, aber ein Wohnen im städtischen Raum, in einem städtebaulichen Raum. Ich hatte gerade dieses Dorf in Indien gebaut – eines meiner Lieblingsprojekte. Es ist fast archaisch von der Anmutung, ich musste sehr sparsam sein. Diese Erfahrungen habe ich auch bei der ‚Stadt des Kindes‘ angewendet. Ich hatte damals eine große Sicherheit in mir. Ich weiß, was junge Menschen tun wollen und tun können. Und ich hatte Vertrauen, das ist ein wesentliches Merkmal von mir.
Zuerst habe ich überlegt, was das denn für ein Quartier sein könne. Ich habe damals überhaupt nicht aus einem realistischen ‚Denken für das Bauen‘ gehandelt. Ich habe zu fantasieren begonnen, was da denn schön wäre. Punkto Straße war ich natürlich von Alexander Mitscherlich beeinflusst, ich habe auch sehr viel Vertrauen in die Kinder gehabt, es gab Brüstungen, wo sie auch hinunterfallen hätten können. Aber es ist nie etwas passiert.

War vielleicht der Raum richtig ‚gemacht‘? Raum soll so gestaltet sein, dass der Mensch ihn richtig benutzt.

Ich habe Schwierigkeiten mit dem Wort ‚richtig‘. Richtig hängt von so vielen Dingen ab, von der Kultur und so weiter…
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Wenn man beim Gewohnten bleibt, da kann man nicht so viel falsch machen. Die zweite Möglichkeit ist, es aufregend, anders zu gestalten. Das mögen aber viele Menschen nicht, weil es sie beunruhigt. Diese Sensibilität für Formen, das ist etwas, das mir bei den heutigen Architekten, wenn sie solche Formen versuchen, völlig fehlt. Das ist furchtbar primitiv. Es ist zwar nie nur schlecht oder nur gut, es überwiegt aber das Eine oder das Andere.

Sind Sie bei der Stadt des Kindes von den Arbeiten van Eyck‘s beeinflusst worden?

Ja, ein bisschen schon, er hat auch etwas sehr Schönes darüber gesagt: „This city is so good, because it doesn‘t have what it doesn‘t need!“

Würden Sie sich als einer, der die Wohnbaupolitik des sogenannten ‚roten Wien‘ fortführt, bezeichnen?

Vom Anliegen, vom Sozialen her – JA. Aber nicht vom Formalen her. Ich galt ja damals als ‚Linker‘, der ich auch mit meinen humanen Ansichten war. Vom Denken her war ich jedoch ein Radikaler.

Wo würden Sie sich in der Architekturgeschichte einordnen?

Ich bin kein Stilist. Es geht mir um die Qualitäten des Humanen, in der Architektur selber bin ich ein Traditionalist. Für mich gelten die Gesetze der Architektur.

Meinen Sie die klassische Moderne?

Ja, das ganz bestimmt.

Stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt?

Nein, mir ist der Mensch wichtig, das Lebewesen, die Tiere und auch die Natur. Politiker und Bauträger, die sagen, sie machen alles nur für die Menschen – das sind doch nur Worte, Phrasen. Wenn es wirklich darauf ankommt, ist mir das Architekturgesetz wichtiger als diese sentimentale Art der Menschlichkeit. Die Gesetze der Architektur sind nicht, niemals menschenfreundlich im Sinne des Sentimentalen. Sie fordern den Menschen auf, Haltung zu haben, Geist zu haben, Kultur zu haben. Das ist mir sehr wichtig.
Eigentlich habe ich immer Instrumente gebaut, erdacht.

Instrumente um den Raum zu beherrschen oder Instrumente, die Sie den Menschen zur Benutzung zu geben?

Raum als Instrument, das den Menschen animiert, etwas mit dem Raum zu tun. Diese Qualität muss ein Raum haben. Der Benutzer soll ihn sich aneignen, damit leben.

Wenn Sie auf Ihr Werk zurückblicken, wie sehen Sie Ihre Architektur?

Zuerst sehe ich mich als Menschen, der dieses Abenteuer gelebt hat. Und zwar mit offenen Augen, bewusst. Ich habe reagiert, aufgenommen und abgestoßen. Ich bin auch mit diesem Leben umgegangen.
Das Zweite ist: Im Orient aufgewachsen, aus Salzburg gekommen, beim Holzmeister studiert – ich habe Kulturen erlebt, die fundamental für die Architektur sind. Ich habe einen Beruf gewählt, den ich für wunderschön halte: Architekt!
Und das Dritte ist: Ich bin doch ein leidenschaftlicher Lehrer. Und es ist ein unglaubliches Glück, dass ich – von der Akademie kommend – Professor an der TU Wien wurde. Ich lehne aber diese Spezialisierung ab, denn Architektur ist nicht alleine Technik, sie ist auch nicht alleine Kunst. Sie greift nach allen Seiten und lässt viel Freiraum. Ich bin selbst ein Beispiel eines Menschen, der offen ist für alles Mögliche.

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Kategorie: Architekten im Gespräch