Das Gründach als 5. Fassade
1923 schrieb Le Corbusier seine fünf Punkte zu einer neuen Architektur nieder. Darin formulierte er: „Der Dachgarten wird zum bevorzugten Aufenthaltsort des Hauses und bedeutet außerdem für eine Stadt den Wiedergewinn ihrer bebauten Fläche.“
Ein unsichtbarer Teil der Architektur ist meist das Dach oder die zum Himmel ragende Fläche des Baukörpers. Verstärkt seit Beginn der Industrialisierung, wird diese Fläche oft als Flachdach, Gründach oder Terrasse ausgebildet. Das Dach – wie auch immer es gestaltet ist – kann man eigentlich als die 5. Fassade des Hauses betrachten. Und gerade heute, wo alle Welt über Nachhaltigkeit und Ökologie spricht, kommt dieser Fläche eine große Bedeutung zu: Begrünte Dächer und Terrassen geben der Welt einen Teil des verbauten, versiegelten Raumes wieder zurück, schaffen neue Biotope und halten auch Regenwasser zurück. Sie haben einen wesentlichen Einfluss auf das Mikroklima in dicht verbauten, urbanen Gebieten. Sie binden Feinstaub und sorgen als Sauerstoffproduzent für ein besseres Klima. Sie bieten neuen Siedlungsraum für von der Abwanderung bedrohte Tierarten – kaum jemand weiß, dass es im innerstädtischen Bereich Bienenzucht gibt; und Bienen brauchen Blüten zum Honigsammeln.
Grüne Dächer sind in Europa schon lange bekannt. Beispielhaft sind vor allem die Grassodendächer in den skandinavischen Ländern Norwegen, Schweden und Island. Sie sind heute noch weit verbreitet, vorwiegend schützen sie gegen Wind und Kälte. Es handelt sich um oftmals stark geneigte Dächer, die mit mehreren Lagen Birkenrinde gedichtet sind. Darüber werden Grassoden gelegt, zum Teil auch Torfsoden, die sich durch Vögel und Samenflug von selbst und dauerhaft begrünen.
Man unterscheidet zwei Arten der Begrünung: Bei Dächern oder Terrassen mit mehrschichtigem Aufbau wird bei Intensivbegrünung die Vegetations- und Entwässerungsschicht durch eine Filterschicht (Vlies) getrennt. Die Aufbauhöhe beträgt 20-150 (250) cm, das Gesamtgewicht kann bis zu 1500 kg/m² betragen. Bei dieser aufwendigen Form der Dachbegrünung sind den Bepflanzungen kaum Grenzen gesetzt. Die Intensivbegrünung schafft Gartenlandschaften auf der Dachoberfläche. Friedensreich Hundertwasser schrieb in seinem Buch ‚Die grüne Stadt‘: „Die Natur, die wir auf dem Dach haben, ist dieses Stück Erde, das wir umgebracht haben, dadurch, dass wir das Haus da hin gestellt haben“
Bei der Extensivbegrünung handelt es sich um Dächer oder Terrassen mit einschichtigem Aufbau. Ein Stoffgemisch erfüllt hier gleichzeitig die Vegetations- und Entwässerungsfunktion. Die Aufbauhöhe des Substrats beträgt 2-20 cm. Geeignete Pflanzen sind Moose, anspruchslose Gräser oder trockenresistente Blumen wie Mauerpfeffer. Der Pflegeaufwand ist gering. Extensivbegrünungen eignen sich für große Dachflächen mit geringem gärtnerischem Nutzen – etwa Dächer von Industriegebäuden und Einkaufszentren. Aber auch kleine Vordächer können extensiv begrünt werden. Je vielfältiger ein Dach strukturiert ist, desto mehr Arten können sich ansiedeln. Sturmfest verankerte Holzstücke, Steine, Sandhügel oder gar Steinhaufen an besonders tragfähigen Stellen fördern die Vielfalt auf dem Dach. Heute sind mittlerweile die Baumaterialien und das Know-How soweit ausgereift, dass Flachdächer – intensiv oder extensiv begrünt – problemlos ausgeführt werden können. Extensive Dachbegrünungen sind dabei besonders pflegeleicht. In Kombination mit einer Photovoltaikanlage (oder sogar einer Windkraftanlage) ergeben sie eine ertragreiche Symbiose. Bei der Planung von Dachbegrünungen sind vor allem die statischen Anforderungen an das Bauwerk möglichst frühzeitig festzulegen. Mit einem hochwertigen Flachdachaufbau mit Wurzelschutz, dem entsprechenden Gründachsystem, Dachentwässerung, Vegetation und Pflege lassen sich attraktive Dachbegrünungen mit dem heutigen Stand der Technik nach ÖNORM L1131 dauerhaft sicher umsetzen. Nicht zuletzt erhöhen sie auch den Wert der Immobilie.
Kategorie: Sonderthema