Qualitätsvoller Freiraum
Jeder öffentliche Raum folgt in seiner Erscheinung und Nutzung einer eigenen Logik. Waren historische Gestaltungen vorwiegend politisch motiviert, sind Planer heute mit Fragen zur universellen Nutzbarkeit und den Auswirkungen auf Umwelt und Stadtklima konfrontiert. Dank ihrer langfristigen Nachlieferbarkeit und kurzen Transportwegen sind regionale Natursteine immer gefragter.
Platzgestaltung mit politischem Auftrag: Kapitolsplatz in Rom nach dem Entwurf von Michelangelo.
Ausgerechnet eine Platzgestaltung war Michelangelos erster größerer Architekturauftrag. Jahrzehnte, nachdem das Universalgenie den David geschaffen und die Decke der Sixtinischen Kapelle bemalt hatte, beauftragte ihn Papst Paul III. Farnese, einen der berühmtesten, aber auch verwahrlosesten Plätze Roms auf dem Kapitol neu zu gestalten. Hintergrund der Neugestaltung war der geplante Rombesuch Kaiser Karl V. Michelangelos Lösung bestand darin, die Orientierung des trapezförmigen Platzes durch den Palazzo Nuovo, einen Neubau an der Platzrückseite, neu auszurichten. Durch den baulichen Abschluss zeigt die Blickachse über die verbleibende offene Stirnseite symbolisch hin zum Vatikan als Sitz der Päpste und – nach deren Rückkehr aus dem Exil in Avignon – neuen Herrscher Roms. Nach dem Tod Michelangelos wurde seine Planung ohne nennenswerte Änderungen mit dem prägnanten Sternenmuster aus dunklem Basalt und hellem, römischem Travertin vollendet.
Vielfältige Nutzung: In Radstadt wich das herkömmliche Straßenbild einer Begegnungszone.
Lebendiger Freiraum
Die Hintergründe moderner Platzgestaltungen scheinen weniger vielschichtig, ihre Umsetzung ist aber keinesfalls anspruchslos. Stand der Individualverkehr mit dem Auto jahrzehntelang im Vordergrund, wird der öffentliche Raum nicht erst seit der Novelle der österreichischen Straßenverkehrsordnung von 2013 als lebendiger, vielfältiger Freiraum wahrgenommen, der allen Nutzern und Nutzungsarten ein gleichberechtigtes Miteinander erlauben soll. Gelungene Beispiele hierfür gibt es nicht nur in urbanen Ballungsgebieten, sondern auch außerhalb der großen Städte. Ein Beispiel ist die 2017 auf Basis eines Bürgerbeteiligungsmodells vollendete Begegnungszone im Ortskern von Radstadt. Als dauerhafte Grundlage für Fußgänger, Autos, Radfahrer und den Busverkehr dient eine Pflasterung aus Waldviertler Granit in ungebundener Bauweise. Zum Einsatz kamen 5000 Quadratmeter Herschenberger Granit aus der Nähe der Stadt Gmünd. Entscheidend bei der Materialentscheidung waren ökologische und wirtschaftliche Erwägungen, denn ein heimischer Naturstein erzeugt weniger CO2 beim Transport, hält die Wertschöpfung im Inland, ist besonders widerstandsfähig gegenüber klimatischen Einflüssen und lässt sich wegen seiner Dauerhaftigkeit nach einem Rückbau problemlos wiederverwenden – alles Argumente also, die auch für Mammutprojekte wie die Neugestaltungen der Wiener Kärntnerstraße, des Stephansplatzes, der Mariahilfer Straße, der Rotenturmstraße oder jüngst beim Neuen Platz mit regionalen Natursteinen zum Tragen kamen.
Istrischer Kalkstein am Hauptplatz in Bad Radkersburg knüpft an die lokale Bautradition an und senkt die Oberflächentemperatur des Bodenbelags. © Stephan Piber
Naturstein fürs Stadtklima
Keinen Granit, sondern ein witterungsbeständiges Sedimentgestein wählten Planer und Stadtgemeinde bei der Neugestaltung des Hauptplatzes im südoststeirischen Bad Radkersburg. Dort steht das Jahr 2024 ganz im Zeichen des 725-jährigen Jubiläums der Stadt. Höhepunkt des Jubiläumsjahres war ein großer Festakt, bei dem der Hauptplatz feierlich eröffnet wurde. Die 3500 Quadratmeter große Fläche wurde mit Pflasterplatten aus dem istrischen Kalkstein Kirmenjak belegt. Neben der langen Bautradition in der Verwendung von Kalksteinen in Bad Radkersburg fiel laut dem Grazer Architekten Stephan Piber die Wahl auf den hellen Naturstein, weil dieser gemäß eigenen Messungen bei starker Sonnenbestrahlung an heißen Sommertagen dank Albedo-Effekt im Vergleich zu Asphaltflächen eine um 20 Grad Celsius niedrigere Oberflächentemperatur aufweise.
Beim Schloßplatz im oberfränkischen Markt Wiesentheid bieten drei regionale Muschelkalke ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild. Dabei ergänzen sich dunklere, spaltraue Steine und hellere mit gesägter Oberseite. © Gerhard Hagen Fotografie
Ein weiteres gelungenes Beispiel für die Verwendung von Sedimentgesteinen ist die Neugestaltung des Schlossplatzes im oberfränkischen Markt Wiesentheid, für die das Bamberger Büro JOMA Landschaftsarchitektur Paul Böhmer beim Deutschen Natursteinpreis 2024 eine Besondere Anerkennung erhielt. Basierend auf vorgefundenen, bandartigen Pflasterstrukturen aus Muschelkalk wurden für die Platzfläche Pflasterbahnen mit einer Breite von 46 Zentimeter entwickelt. Die Pflasterbahnen setzen sich aus sechs unterschiedlichen Steingrößen aus fränkischem Muschelkalk zusammen.
Waldviertler Quarzite schaffen am Andachtsplatz des Waldfriedhofs Prinzersdorf ein besonders naturnahes Ambiente. © Neubauer
Wie harmonisch regionaler Naturstein nicht nur für Stadtplätze und Begegnungszonen, sondern für jede Art der Platzgestaltung verwendbar ist, belegt der aus der Feder der Wiener Architektengemeinschaft Ernst Beneder und Anja Fischer stammende, kommunale Waldfriedhof im niederösterreichischen Prinzersdorf. Bei dem 2019 fertiggestellten Projekt wurden alle Mauern am Andachtsplatz und entlang der Wiesengräber als Trockenmauern im Stil der Wachauer Weinbergterrassen ausgeführt. Beim Material wählten die Architekten den Waldviertler Gneis Vorderleitner in Formaten des natürlichen Bruchs. Auch beim Bodenbelag kam der regionale Stein zum Einsatz, dort aber nicht im natürlichen Lager, sondern hochkant verlegt.
Spektakulär und funktional zugleich: Die Skatermarke Avenue & Son wählte Marmor für den Parcours, weil dieser den Boards besonders gute Gleiteigenschaften bietet. © SHAWN, A&S
Skaten auf Marmor
Keine Platzgestaltung, sondern eher einen Freiluft-Schauraum stellt eine Skateranlage in China dar. Mitten in einem aufstrebenden Wohn- und Geschäftsviertel von Shanghai formen großformatige Marmorplatten einen abwechslungsreichen Parcour, auf dem die Kunden die im Flagship Store der Marke Avenue & Son präsentierten Skateboards testen können. Auch nach Ladenschluss ist der Platz öffentlich zugänglich.
Die Wiener Mariahilfer Straße ist ein Paradebeispiel für den Einsatz von Naturstein in stark frequentierten Freiräumen.
Text und Fotos: Richard Watzke (soweit nicht anders angegeben)
Kategorie: Naturstein