Kreativer Austausch braucht Vertrauen
Christoph M. Achammer über den gemeinsamen Planungsprozess
Was ist Architektur / Was ist nicht Architektur?
Bei der Frage, was Architektur ist, verlasse ich mich auf die Herkunft des Wortes aus dem Griechischen und Lateinischen und schließe mich der Definition an, dass dies die handwerkliche Beschäftigung und ästhetische Auseinandersetzung des Menschen mit dem gebauten Raum ist. Damit ist inkludiert, dass es einer engagierten, intellektuellen und schöpferischen Anstrengung bedarf, um Architektur zu schaffen.
Was bedeutet das für den Beruf des Architekten?
In meinem persönlichen Verständnis und im Verständnis unseres Unternehmens, gelingt Architektur dann, wenn die Vitruv‘schen Prinzipien Firmitas, Utilitas und Venustas erfüllt sind. Diese Anstrengung beginnt bei der Auseinandersetzung mit dem Kernprozess der zukünftigen Nutzung, die möglicherweise einen Verzicht auf ein neues Haus als Folge hat. Auch das ist Architektur. Mehr als andere kreative Berufe verlangt Architektur aber nicht nur Verantwortlichkeit gegenüber dem Bauherrn und den zukünftigen Nutzern, sondern auch gegenüber dem Ort, an dem das Bauwerk errichtet wird, seinen Bewohnern und gegenüber unserer Welt im weitesten Sinne. Kein Bauwerk, das nur eine oder zwei der Vitruv’schen Qualitätsansprüche erfüllt, ist gelungene Architektur.
Architekt und Universitätsprofessor Christoph M. Achammer ist Vorstandsvorsitzender von ATP architekten ingenieure (ATP), mit ca. 700 Mitarbeitenden das führende Büro für INTEGRALE PLANUNG in Europa, und plant an zehn europäischen Standorten, unterstützt durch eigene Forschungs- und Consultinggesellschaften. Die Kultur der Zusammenarbeit wird in einer lernenden Corporate Structure gelebt.Der von ATP über mehrere Jahre entwickelte BIM-Standard trug zur Österreichischen BIM-Norm (ÖNORM A 6241) bei. Als Universitätsprofessor an der Technischen Universität Wien, Lehrstuhl für Industriebau und interdisziplinäre Bauplanung, beschäftigt sich Christoph M. Achammer mit der Forschung zu Integraler Planung, Lebenszyklusorientierung, BIM und Digitalisierung. Foto:©ATP/Becker
Was kann oder muss gute Architektur (heute) leisten?
ArchitektInnen müssen heute, mehr denn je, die proaktive Prozessführung der Planung übernehmen. Das Auseinanderbrechen von gestalterischen Ambitionen und technologischer Kompetenz am Ende des 19. Jahrhunderts und die forcierte Weiterführung dieses Trends nach dem 2. Weltkrieg macht viele ArchitektInnen zum Fachingenieur unter vielen. In diesem Fall zum Fachingenieur für Gestaltung. ArchitektInnen müssen heute mehr denn je mit umfassendem Wissen die ersten beiden Phasen des Entstehungsprozesses eines Hauses begleiten und dann den eigentlichen Planungsprozess mit all seinen Fachleuten verantwortlich führen.
Welche Prozesse sind das konkret?
Den ersten Schritt nennen wir die Umsetzung einer Unternehmensstrategie in eine Immobilienstrategie, die auch dazu führen kann, dass eben kein Haus gebaut werden muss, was mit die nachhaltigste Lösung einer Aufgabenstellung ist. In der zweiten Phase sollte diese Immobilienstrategie zu einem klaren Anforderungsprofil für das zu planende Haus führen.
In diesen beiden Phasen kann und muss der Architekt, die Architektin die eigene soziale, kulturelle und auch zu einem gewissen Grad pädagogische Verantwortung einbringen.
Mit Fortschreiten des Planungsprozesses nimmt der Wirkungsgrad dieser Einflussmöglichkeit und Verantwortung zusehends ab. Erst danach setzt bei ATP der eigentliche Planungsprozess ein, bei dem zeitgleich Architekten und Ingenieure um die beste Lösung ringen. Dieser simultane und interdisziplinäre Prozess von Beginn an, den wir Integrale Planung nennen, scheint mir in der Zukunft von entscheidender Bedeutung zu sein. Einmal, weil damit suboptimale Add-on Routinen vermieden werden und andererseits, weil in dieser Phase des kreativen Austauschs die gegenseitige Wertschätzung aller am kreativen Prozess Beteiligten am besten wachsen kann.
Ist dieser kreative Austausch nicht eher selten?
Die dazu notwendigen Kompetenzen werden in den aktuellen Ausbildungscurricula nicht gelehrt und deren Erwerb in der Praxis ist durch die vorherrschenden Bürostrukturen sehr erschwert. Die gängigen Vertragskonstellationen der Projektzusammenarbeit tun das Übrige, um Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung in einem gemeinsamen kreativen Prozess nicht gerade zu fördern.
Foto:©IWC
Der Kernprozess in einem Gebäude, wie die Erzeugung von Präzisionsuhren (IWC Manufaktur, oben) oder interaktive Forschung (IMP, rechts), bestimmt die Architektur. Foto:©Lukas Beck
Vor einiger Zeit habe ich einen jungen Architekten gefragt, ob er es nicht schade findet, dass in Österreich so viel schöne Landschaft verbaut ist. Er meinte: Gerade durch gute Bauten, werde Landschaft doch erst schön. Wie sehen Sie das?
Den Gegensatz zwischen naturbelassener Landschaft und gestalteter Umwelt zu bewältigen, muss mehr sein, als nur noch den Bestand zu renovieren. Es ist aber klar, dass gerade unser Land, und hier besonders die westlichen Bundesländer, als knappste Ressource Grund und Boden haben. In Tirol sind beispielsweise nur 0,3 % der Landesoberfläche Bauland, während 1 % Verkehrsflächenwidmung hat. Dieses Beispiel verfehlter Raumplanung kann und muss natürlich durch Rückbau und Verdichtung des Bestandes korrigiert werden.
Im Falle der einzigen Großstadt Österreichs – Wien – stellt sich aber die Frage, ob die großartigen öffentlichen Verkehrsverbindungen an die Peripherie oder sogar nach Niederösterreich nicht dazu führen sollten, neue Agglomerationen in derzeitiger „Landschaft“ zu bauen.
Zweifellos bedeutet der gekonnte bauliche Eingriff unter kulturellen Beurteilungskriterien eine Weiterentwicklung, ich würde sogar sagen Aufwertung von Landschaft zur bereicherten Kulturlandschaft.
ATP kennen viele im Zusammenhang mit Shoppingcentern wie dem Neubau Gerasdorf oder dem Refurbishment SCS Vösendorf. Kann (oder muss) Architektur im Spannungsfeld Bauherr / Betreiber / Mieter / Kunde auch Baukunst sein? Und kann man Shoppingcenter als Landmark sehen?
Nach der enormen Qualitätsentwicklung der Industriebauten in den 80er- und 90er-Jahren, erkennt nun auch die Retail-Branche mehr und mehr, dass nur zwei der Vitruv’schen Kriterien – Ökonomie und Ressourcen – zu wenig sind, um nachhaltig attraktiv für ihre Kunden zu sein. Ich wohne in einem Land, in dem ein Familienunternehmen erkannt hat, dass der Supermarkt über seine Warenversorgungsfunktion hinaus auch eine kommunikative und kulturelle Funktion haben kann. Dies macht dieses Unternehmen außerordentlich erfolgreich und in seinem Heimatland zum Marktführer. Warum soll das bei anderen Handelsimmobilien nicht auch so sein? Ich denke, je weiter eine Industrie von der Bedarfsdeckung zur Schaffung von Zusatznutzen gezwungen wird, desto höher werden auch die Ansprüche an die Gebäude, die dieser Industrie dienen.
Den Ausdruck Landmark mag ich weder in diesem noch in einem anderen Zusammenhang, da er in den seltensten Fällen der Bedeutung des im jeweiligen Gebäude stattfindenden Prozesses adäquat erscheint. Was für den Stephansdom oder ein Parlamentsgebäude gilt, scheint mir für ein Bürohaus oder ein Einkaufszentrum übertrieben zu sein. Von einem Wohnbau ganz zu schweigen.
Wie geht es Ihnen damit, ein Projekt loszulassen? Bleibt Ihr planerischer Ansatz meist erhalten oder leben Bauwerke eben weiter, sobald der Architekt die Baustelle verlassen hat? Was würden Sie sich für Ihre Bauten (Baudenkmäler?) wünschen?
Architekten und Ingenieure haben die Aufgabe, hervorragende Gebäude zu entwerfen und deren Realisierung bis zur Inbetriebnahme zu begleiten. Wir freuen uns, wenn wir darüber hinaus daran arbeiten können, unsere eigenen Gebäude weiter zu entwickeln, umzuplanen oder sogar neu zu errichten. Das drückt unter anderem auch die Zufriedenheit der Bauherren und/oder der Nutzer „unseres“ Hauses aus. Einen Anspruch darauf erheben wir aber nicht. Ab Übergabe übernehmen der Eigentümer oder die Nutzer die Verantwortung für sein oder ihr Haus, sowohl nach innen wie auch nach außen.
Vor diesem Hintergrund sehe ich auch den Begriff „Baudenkmal” nur im Zusammenspiel von außerordentlich gelungenen Bauwerken und einer kulturhistorisch bedeutsamen Nutzung. Nur in diesem Kontext sehe ich Unterschutzstellungen für gerechtfertigt. Schön wäre in diesem Zusammenhang allerdings die Realisierung eines „negativen“ Schutzes, der den Abbruch von besonders störenden und misslungenen Gebäuden unterstützen würde.
Im Falkensteiner Hotel Park Punat gibt der Piniengarten die Form der Pergola vor. Foto:©ATP/Travas
Wie geht es Ihnen mit Innovationen in der Baubranche? Kann Neues zeitnah umgesetzt werden?
Die Baubranche ist trotz ihres ökonomischen und vor allem ökologischen Stellenwerts eine fossile Industrie. Sie ist weitgehend forschungsfrei und enorm innovationsfeindlich. Es ist eigentlich der Industriebau, der das Bauen seit Ende des 19. Jahrhunderts hinsichtlich neuer Materialien, neuer Konzepte und neuer Prozesse nach vorne gebracht hat. In unserer Zeit betrifft das vor allen Dingen die Digitalisierung unserer Industrie. Die Kreation von digitalen Zwillingen parallel zur gebauten Realität wird meines Erachtens die Baubranche disruptiv verändern. Dass dabei ArchitektInnen und IngenieurInnen die Speerspitze der Entwicklung darstellen sollten, versteht sich aufgrund des Einflusses der Planung auf den Lebenszyklus eines Gebäudes eigentlich von selbst.
Gibt es Teilbereiche, für die Sie sich noch mehr Wachstum bzw. Unterstützung wünschen würden?
Die öffentliche Hand sollte dies erkennen und Infrastrukturen und Rahmenbedingungen schaffen, die diesen Prozess einer trägen Industrie beschleunigt. Wir ArchitektInnen sollten unser Selbstverständnis hinterfragen und sowohl innerhalb des Planungsprozesses wie auch zu den Bereichen Errichtung, Finanzierung und Betrieb daran arbeiten, durch gegenseitiges Vertrauen die Komplexität der heutigen Aufgabenstellungen zu verringern.
Text:©Heidrun Schwinger
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen