Innovation im Regionalen

3. März 2022 Mehr

Die Vorarlberger Architekten Markus Innauer und Sven Matt sehen sich selbst als sehr klassisches Architekturbüro, das weniger den lauten Paukenschlägen als vielmehr den leisen Zwischentönen zugetan ist. Ihre Lösungen orientieren sich nie am Zeitgeist, sondern immer am Kunden und der Bauaufgabe selbst. Die so entstandenen Charakterprojekte sind im Laufe der vergangenen zehn Jahre vielfach prämiert und ausgezeichnet worden. Sven Matt spricht im Interview über die Rolle des Architekten sowie die damit einhergehenden Herausforderungen im Laufe der Zeit. Ein wichtiger Aspekt für ihn: Regionale Baustoffe und traditionelles Handwerk auf Augenhöhe, ohne dabei zu dogmatisch zu werden.

 


© Christian Anwander

 

Stichwort: “Bauen für die Ewigkeit” – Wie kann man als Architekt heutzutage mit dem schnelllebigen Wandel der Zeit noch Schritt halten?

Da stellt sich mir zuerst einmal die Frage: Was bedeutet “Bauen für die Ewigkeit”? Sind das zehn Jahre, 100 oder mehr? Aus meiner Sicht hängt die Antwort ganz von der Aufgabe an sich ab. Wir versuchen jedenfalls der Schnelllebigkeit etwas entgegenzusetzen. Und auch, wenn wir vielleicht nicht für die Ewigkeit bauen, dann hoffen wir, so doch für eine recht lange Zeitspanne. Funktion und Gestaltung sollten meiner Meinung nach schon Bestand haben, auch über das Modische hinaus. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die äußeren Einflüsse immer vielfältiger werden und damit das Bauen generell schnelllebiger. Hier gilt es für die Architekten, einen Weg zu finden, eine möglichst lange Gültigkeit des Gebauten zu Erreichen. Das hängt natürlich auch von der Bauaufgabe selbst ab – eine Kirche hat per se eine andere Halbwertszeit als ein Einfamilienhaus. Denn auch, wenn Letzteres adaptierter geplant werden kann, so wird es dann doch eher trivial und eben nicht mehr individuell zugeschnitten auf den Nutzer.

 

Wie kann die Lebenszeit eines Bauwerks durch den Architekten aktiv verlängert werden?

Durch den im Moment vorherrschenden Mangel an Ressourcen gewinnt der (qualitätsvolle) Bestand zunehmend an Bedeutung. Man überlegt sich vielleicht zweimal, ob man ein Bestandsgebäude unbedingt abreißen muss, oder ob sich noch andere Lösungswege auftun. In Zukunft wird es wohl vermehrt zur Aufgabe des Architekten werden, Konstruktionen und Materialien auf lange Sicht zu bewerten. Rückbau- und Umbaumöglichkeiten werden aus meiner Sicht noch zu wenig bedacht. Das ist definitiv ein Thema, das uns im Büro momentan stark beschäftigt. Ich denke dabei auch an das Vereinfachen von Konstruktionen. (Nachhaltige) Materialien aus der Region werden in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Gerade jetzt, wo die Holzpreise steigen, zeigt sich die Problematik, wenn man zu sehr auf Importware setzt. Ich denke auch, dass es der Branche guttun würde, etablierte Bauweisen zu hinterfragen. Die Massivholzbauweise – die ich nebenbei bemerkt sehr schätze – hat in Vorarlberg beispielsweise eigentlich keinerlei Grundlage, weil es hier keinen regionalen Produzenten gibt. Hier sind wir abhängig vom Weltmarkt, obwohl Holz an sich doch eigentlich ein absolut regionaler Baustoff ist.

 


Revitalisieren, Umnutzen und Aufwerten anstatt Abriss und Neubau: Das Atelier von INNAUER-MATT ARCHITEKTEN in Bezau. © Darko Todorovic

 

Welche positiven (oder negativen) Aspekte bringt die immer weiter voranschreitende Digitalisierung Ihrer Meinung nach mit sich?

Unser Arbeitsalltag ist stark von der Digitalisierung geprägt. So konnten wir trotz Lockdown  effizient weiterarbeiten und auch die Zusammenarbeit mit den Fachplanern hat reibungslos funktioniert. Man merkt generell, dass vieles jetzt etwas schneller geht – die Arbeit an sich wird aber auch komplexer, ich denke dabei konkret an BIM. Durch die wachsende Komplexität kann meiner Ansicht nach die Architekturqualität auf lange Sicht leiden. Zudem bereitet mir die Schnelllebigkeit der Technologien Sorge: Werden die Daten in 20 Jahren überhaupt noch einlesbar sein? Die Digitalisierung ist für mich, ungeachtet ihrer Vorteile, daher kein Allheilmittel. Wir setzen ganz klassisch noch auf Pläne aus Papier und physische Modelle.

 

Wird sich die Rolle des Architekten Ihrer Meinung nach in Zukunft verändern?

Die Ansprüche an das Bauen (Haustechnik, Lebensdauer…) verändern sich ständig. Während alles an Komplexität gewinnt, sollte die Planung meiner Meinung nach radikal reduziert und vereinfacht werden. Ich denke auch, dass sich die Rolle des Architekten über die Jahrhunderte nicht so sehr gewandelt hat – der Architekt ist immer noch die Person, die alle Fäden in der Hand hält. Heute herrschen eben andere Rahmenbedingungen vor, man ist nicht mehr der klassische Einzelkämpfer, steht mehr und mehr in ständigem Austausch mit den Fachplanern. Auch, wenn das Schaffensfeld stetig breiter wird, die Kernkompetenzen bleiben.

 


Auf lange Sicht gebaut: Die Bergkapelle Wirmboden im Bezirk Bregenz in Vorarlberg. © Adolf Bereuter

 

Ein positiver Aspekt, den Sie aus dem vergangenen Jahr mitgenommen haben?

Wir haben gelernt, dass nicht jeder Termin physisch stattfinden muss und dass vieles auch digital funktioniert. Für uns hat das einen enormen Gewinn an produktiver Zeit bedeutet. Dennoch würde ich sagen, was bei der Ausführung(splanung) recht gut funktioniert, gestaltet sich im Entwurfsprozess nicht so einfach. Hier hat uns das Gemeinsame schon gefehlt. Die digitalen Planungsbesprechungen wollen wir aber – wo es Sinn macht – beibehalten.

 

Wie können moderne Produkte, Baustoffe und Technologien Ihrer Meinung nach auf die Herausforderungen unserer Zeit Antworten geben? Ist NEU immer die beste Lösung?

Hier komme ich gerne nochmal auf das Thema Brettschichtholz zurück. Auch wenn dieser Baustoff gegenüber dem Rahmenbau sehr vorteilhaft ist, so rückt einem die jetzige Krise wieder ins Bewusstsein, dass es eben nicht alle Werkstoffe “regional” gibt. Wir stellen uns daher immer die Frage: Welche Bauweise passt zu welcher Bauaufgabe? Will man der Abhängigkeit vom Weltmarkt entfliehen, muss man sich ohne Frage auf regionale Werkstoffe rückbesinnen. Das stärkt auch die Handwerksbetriebe vor Ort und zeugt von einer gewissen inneren Haltung gegenüber dem Bauen. Wenn es zwischen Planern und Ausführenden Offenheit und Respekt gibt, dann kann auch aus Altbewährtem innovatives Neues entstehen.

 


Im Bau: Für den Kunstraum Kassel haben INNAUER-MATT ARCHITEKTEN eigens Tageslichtlinsen als grafische und identitätsstiftende Besonderheit entwickelt. © IMA

 

Was erwarten Sie von modernen Bau­stoffen – und auch von den Herstellern?

Wir versuchen, mit dem zurechtzukommen, was schon vorhanden ist. “NEU” heißt für uns  nicht immer GUT oder BESSER. Es ist klar, dass dieser Gedanke in der heutigen Gesellschaft und auch in der Architektur vorherrscht. Wir nähern uns Neuerungen jedenfalls zumeist kritisch – falls wir den Nutzen für uns erkennen, verschließen wir uns dieser Erkenntnis aber selbstverständlich nicht. Dennoch sind wir hier eher klassisch eingestellt: Wir setzen gerne auf erprobte Lösungen. Das heißt allerdings nicht, dass wir nicht nach neuen und besseren Lösungen suchen, wenn es diese noch nicht gibt. Für unser Projekt “Kunstraum Kassel” haben wir für die Fassade beispielsweise eigene Glaslinsen gestaltet. Bezeichnenderweise war es letztlich einzig eine Vorarlberger Firma, die bereit war, das Risiko der Produktentwicklung auf sich zu nehmen. Diese Motivation, der Spaß am Tüfteln und das Verständnis der eigenen Arbeit – das würde ich mir von den Herstellern noch mehr wüschen. Und dass neben dem reinen Profit eben auch noch andere Dinge in der Architektur wie im Leben zählen.

www.innauer-matt.com

 

 

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen