Impulse zur urbanen Selbstversorgung
Die Kärntnerin Barbara Russo ist 1984 geboren und studierte Möbel-Raum-Design an der HTBLA für Kunst und Design in Graz, bevor sie 2022 ihr Studium der Architektur an der Technischen Universität Graz abschloss. Parallel machte sich die Mutter zweier Kinder bereits 2006 im Bereich Architektur und Interieur selbständig und sammelte während eines Auslandsaufenthaltes in Caracas in Venezuela bei UrbanThinkTank weitere Erfahrung. Seit 2023 ist Russo externe Lehrbeauftragte an der TU Graz. Für ihr Abschlussprojekt „Stadtwirtschaft. Impulse zur urbanen Selbstversorgung am Beispiel der Stadt Graz“ erhielt sie im Rahmen der GAD Awards 22+ die Anerkennung für ressourcenschonende und klimagerechte Architektur.
„In der Architektur gibt es zahlreiche Betätigungsbereiche. Für mich war die interessanteste Komponente immer schon die Möglichkeit, unser aller Umwelt mitgestalten zu können, durch schlaue Konzepte und intelligente Lösungen das Zusammenleben immer weiter zu entwickeln, auf aktuelle Situationen zu reagieren und langfristige Lösungen zu finden – die aber natürlich auch dynamisch sein sollen. Eben diese Vielfältigkeit an Anforderungen macht die Architektur und den Städtebau so spannend.” Barbara Russo
Betreut von Aglaée Degros am Institut für Städtebau, analysiert die Arbeit von Barbara Russo unterschiedliche Grazer Quartiere und bietet individuelle Lösungsansätze zur Flächennutzung hinsichtlich der Implementierung einer urbanen Landwirtschaft. Die Erkenntnis: Nur wenn ein Handeln auf vielen verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Maßstäben stattfindet, kann die Tendenz hin zu mehr Grünräumen in Metropolen vielfältige positive Auswirkungen auf die Stadt und die Bewohner haben. Ein Aspekt ist die urbane Selbstversorgung.
Neben ökologischen Vorteilen sprechen für Russo auch ökonomische Belange für eine neue nachhaltige Form der Landwirtschaft, die nach ihrem Wunsch bald auch unsere Städte erobern soll. Eine Reduktion an Verlusten durch den Transport oder die Verbesserung der Resilienz der Stadt als einen großen, lebendigen Organismus sind nur einige der positiven Attribute einer grünen, sich selbst versorgenden Stadt. Innovative Techniken ermöglichen es bereits heute, Lebensmittel nah am Konsumenten direkt in der Stadt zu produzieren. Einzig an der konkreten Umsetzung im urbanen Raum mangelt es vielerorts noch.
„Daher habe ich vier sehr unterschiedliche Grazer Quartiere analysiert, individuelle Vorschläge zur Flächennutzung und Entwürfe für die Umsetzung urbaner Landwirtschaft erarbeitet“, so Russo, deren Vorschläge weniger auf das bis dato häufig publizierte, hoch technisierte Vertical Farming abzielen, als vielmehr auf das Potenzial, das Architektur und Stadtplanung bieten: „Es gibt noch viele andere Möglichkeiten der Interventionen auf Ebene der Stadtentwicklung und Gestaltung des öffentlichen Raumes.“ Laut Russos Recherchen könnten auch Bildungsangebote und eine Steigerung der Wertschätzung politisches und stadtplanerisches Aufgabengebiet sein.
Da Grünflächen mehr und mehr in unsere Städte und Metropolen vordringen, könnte die urbane Landwirtschaft für Russo als messbarer Nutzen für eine grüne, nachhaltige Stadt stehen und vielfältige positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Städter bieten.
Wie lautete das Briefing und wie war Ihre Herangehensweise an den Entwurf?
Die Aufgabe habe ich mir selbst gestellt. In den vergangenen Jahren habe ich mich durch ein berufliches Projekt viel mit stadtnaher Landwirtschaft beschäftigt. Daher wollte ich in meiner Abschlussarbeit noch einen Schritt weiter gehen und Landwirtschaft direkt in die Stadt, so nah wie möglich an den Verbraucher bringen. Bei der Recherche habe ich schnell festgestellt, dass man die Technik oder das Objekt dazu nicht mehr unbedingt entwickeln muss, da es alles dafür Notwendige schon gibt. Es fehlt bislang aber an anwendbaren, stadtplanerischen Vorschlägen und politischem wie organisatorischem Bewusstsein für das Thema Landwirtschaft in der Stadt. Deshalb möchte ich mit der Stadtwirtschaft Graz vor allem zeigen, welche Potenziale schon vorhanden und welche Schritte auf dem Weg zu einer besseren Selbstversorgung noch zu gehen sind.
Woher haben Sie Ihre Inspiration bezogen?
Zuhören, diskutieren, lesen, denken … hinausgehen und die Augen aufmachen.
Ein „Learning“ aus dem Entwurfsprozess?
Am Anfang glaubt man immer, es muss doch möglich sein, EINE Lösung für ein Problem zu finden. Bis man begreift, wie komplex das System Stadt mit den Menschen, der Wirtschaft, der Politik und vielem mehr vernetzt ist. Die Lösung kann also aus meiner heutigen Sicht nur eine stetige, immer wieder hinterfragte Transformation in eine möglichst klar formulierte Richtung auf vielen verschiedenen Ebenen sein.
Was ist in Ihren Augen die größte Stärke Ihres Entwurfsvorschlags?
Eben diese oben erwähnte Möglichkeit, die Lebensmittelkonsumation und -produktion der Stadt langsam und auf unterschiedlichsten Ebenen zu transformieren. Die Impulse geben Ideen, wie es funktionieren und aussehen könnte, sodass für alle Beteiligten Handlungsvorschläge gemacht werden. Vom Balkongärtner über den Gewerbetreibenden bis hin zur Stadtregierung.
Ein Ratschlag für den Architekturnachwuchs?
Dranbleiben und eigenständig denken! Oft ist es einfach zu verführerisch, sich in unendlichen Recherchen und Inputs zu verlaufen. Bessere Lösungen findet man aber nach hartnäckiger Suche immer im eigenen Kopf.
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen, Start