Grüne Fassaden – gesundes Stadtklima

15. April 2015 Mehr

 

24.600 m² beträgt die Fläche des derzeit größten vertikalen Gartens der Welt. Tree House lautet der Name des berühmten Bauwerks in Singapur, welches von City Development Limited errichtet wurde. Man erwartet, dass das Wohnhaus mit 24 Geschossen und 2.289 m² Grundfläche bis zu 500.000 $ an Energie- und Wasserkosten im Jahr einspart. Auch London hat sich in puncto grüner Wandverkleidung bereits einen Namen gemacht – auf der 350 m² großen Brandmauer des Rubens Palace wurde die bislang umfangreichste, lebendige Fassade der englischen Hauptstadt realisiert.

 

 

Bei begrünten Wänden handelt es sich nicht um eine neue Erfindung. Bereits in der Antike kam diese Bepflanzung in der Architektur zum Einsatz. Seit einigen Jahren erlebt die Beliebtheit der sogenannten Green Walls jedoch einen Aufschwung, der nicht zuletzt dem erhöhten Umweltbewusstsein der Planer zuzuschreiben ist. Viele Experten setzten sich in den vergangenen Jahren mit diesem Thema auseinander und entwickelten unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten der lebendigen Wandverkleidung. Als Green Wall wird eine Wand, die teilweise oder zur Gänze mit Vegetation verdeckt ist, verstanden. Oftmals beinhalten die dazu notwendigen Konstruktionen auch Erde, welche das Wachstum der Bepflanzung ermöglicht. Mittlerweile werden Green Walls an vielfältigen Konstruktionen realisiert. Zu finden sind diese nicht nur an Außenwänden, sondern auch in Innenräumen und als alleinstehende Objekte. Im Stadtgebiet kommen begrünte Fassaden häufig auch in engen Straßenräumen zum Einsatz. Aufgrund des fehlenden Platzes ist es in stark verbauten Arealen nämlich oft schwierig, eine Baumbepflanzung zu realisieren. In solchen Fällen stellt der vertikal angelegte Grünraum eine gute Alternative dar. In Großstädten sind die grünen Fassaden überwiegend in urbanen Strukturen sowie auf öffentlichen Plätzen zu finden. Hier dienen sie der Verringerung starker Sommerhitze und der Klimaregulierung. Laut einer Studie der TU Wien kann die Temperatur eines Metalldachs im Sommer auf bis zu 80°C ansteigen, während vegetative Strukturen nicht wärmer als die Umgebungsluft werden. Diese Eigenschaft macht Green Walls zu einer effektiven Maßnahme gegen die Entstehung der gefährlichen Hitzeinseln in Städten.

 

Vegetation und Fotovoltaik – eine klimafreundliche Kombination

An ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten lässt sich erkennen, dass Vegetation auf Bauwerken zukunftsweisenden Charakter hat. Heutzutage kann die Wand- und Dachbegrünung nämlich auch zur Unterstützung moderner Technologien verwendet werden. In vielen Fällen hat es sich als effektiv erwiesen, erneuerbare Energieträger mit begrünten Fassaden zu verbinden. Mittlerweile realisieren Experten auf Green Walls sowie bepflanzten Dächern deshalb Fotovoltaikanlagen. Aufgrund der Verdunstung, welche durch die Pflanzen hervorgerufen wird, kommt es zu einer Kühlung und in weiterer Folge zu einer Leistungssteigerung der Anlage. Um die Installation der Module mit der Dach- und Fassadenbegrünung vereinbaren zu können, sind bereits transparente Paneele erhältlich. Diese ermöglichen ein Durchscheinen des Sonnenlichts auf die darunter liegenden Gewächse. In puncto Green Wall und nachhaltiger Energiegewinnung zählt derzeit die italienische Stadt Mailand zu den Vorreitern Europas. Hier wurde mit zwei Hochhäusern der Entwurf „Bosco Verticale“ realisiert. Der vertikale Wald stammt aus der Hand des Architekten Stefano Boeri und gilt wegen der ausgeklügelten und gleichzeitig innovativen Umsetzung der Fassadenbegrünung als Vorzeigeprojekt – nicht umsonst wurde das Projekt mit dem Hochhauspreis 2014 ausgezeichnet. Auf 8.900 m² Terrassenflächen werden bis zu 20.000 Pflanzenarten sowie an die 800 Bäume wachsen. Zusätzlich sollen die jeweils 119 und 87 Meter hohen Bauwerke ihre Bewohner durch Fotovoltaikanlagen mit Strom versorgen.

 

Wien hat Aufholbedarf

Was die Umsetzung von Green Walls betrifft, hinkt Wien im internationalen Vergleich leider hinterher. Trotz ihrer Vorteile für das Stadtklima sind Bepflanzungen auf Hausmauern in Wien auch heute nur vereinzelt anzutreffen. Selbst bei Prestigeprojekten und kostspieligen Neubauten wird über den Nutzen der begrünten Fassaden scheinbar gekonnt hinweggesehen – von der Realisierung eines nachhaltigen Hochhauskonzeptes im Ausmaß des Mailänder Projekts ist die Stadt somit noch weit entfernt. Doch auch in gründerzeitlichen Vierteln der Hauptstadt fällt die Wandgestaltung noch immer karg aus. Dabei besteht gerade in den engen Gassen der inneren Bezirke erhöhter Bedarf nach vertikalem Grünraum. Mittlerweile hat sich Wien dazu bereit erklärt, zumindest die Umsetzung kleinerer Maßnahmen finanziell zu unterstützen. Mit einer solchen Förderung soll ein Schritt in Richtung Klimaschutz gemacht werden. Derzeit ist jedoch fraglich, ob mit dieser neuen Regelung tatsächlich eine bedeutende Veränderung bewirkt werden kann. Denn die Unterstützung richtet sich in erster Linie an Privatpersonen. Ein entsprechender Anreiz für Investoren und Planer wird dadurch nicht geschaffen.

 

Darum schrecken Planer vor der Green Wall zurück

Viele Architekten verzichten natürlich nicht ohne Grund auf die Einplanung vertikaler Bepflanzung. Dadurch ersparen sie sich nämlich Ausgaben für die Arbeit des Landschaftsplaners. Sowohl bei privaten Investoren wie auch der öffentlichen Hand lautet – bezüglich der Umsetzung von Green Walls – die Devise „weniger ist mehr“. Es ist nämlich nicht zu leugnen, dass der Entwurf einer solchen Wand eines gewissen Aufwands bedarf. Nicht nur Oberfläche und Material müssen für das Anbringen einer Bepflanzung geeignet sein. Es gilt auch, die passende Art des Gewächses zu wählen. Soll eine Green Wall angelegt werden, kommt der Wahl des Untergrundes eine große Bedeutung zu. Gebäudehülle sowie Bausubstanz müssen dabei in einwandfreiem Zustand sein, sodass sie den äußeren Einwirkungen durch Kletterpflanzen standhalten können. Nur auf diese Weise kann eine nachhaltige Lösung für die jeweilige Bausubstanz entwickelt werden. Begrünte Fassaden stellen natürlich keine schnell umsetzbare Lösung dar. Zumeist dauert es mehrere Jahreszeiten, bis sich die Bepflanzung vollständig entwickelt hat. Eine achtlos angelegte Bepflanzung kann eine ohnehin schon triste Fassade noch verwahrloster wirken lassen. In kühleren Regionen sind auch die langen Winter ein Problem. Viele Pflanzenarten halten den tiefen Temperaturen während der kalten Jahreszeit nicht stand. Trotz des erhöhten Planungs- und Pflegeaufwands der Gebäudebepflanzung stellt diese in Großstädten mittlerweile eine Notwendigkeit dar. In diesem Kontext ist insbesondere dem langfristigen Nutzen der Fassadenbegrünung Beachtung zu schenken. Schließlich reguliert die Vegetation nicht nur das Ortsklima, sondern bringt auch finanzielle Vorteile mit sich. Vor allem fassadengebundene Bepflanzungen wirken wie eine zusätzliche Schicht der Wärmedämmung. Dadurch lassen sich Kosten für das Heizen im Winter und die Kühlung im Sommer einsparen. Beispiele wie das Mailänder Projekt „Bosco vertikale“ sowie das „Tree House“ in Singapur machen zudem deutlich, dass sich der erhöhte Planungsaufwand sehr wohl lohnt. Das Errichten von Green Walls und Green Roofs in Großstädten bedeutet nicht nur ein besseres Stadtklima, sondern eben auch eine langfristige Kostenersparnis.
Text: Dolores Stuttner

 

 

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Kategorie: Architekturszene, Kolumnen