Farbe, Wind und Schatten
Licht – als wesentlicher Faktor dafür, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen – lenkt in der Architektur ebenso wie in der bildenden und der darstellenden Kunst den Fokus des Betrachters. Dessen Aufmerksamkeit richtet sich in der Regel weniger auf die Lichtquelle als vielmehr auf das, was durch sie zum Leuchten gebracht wird. Dies gibt für den Wohn- und Arbeitsbereich ebenso wie für den öffentlichen und halböffentlichen Raum. Was zählt, ist die Wirkung. Und diese kann – gerade bei Lichtinstallationen – weit mehr sein als eine rein ästhetische oder funktionale.
Mit „Prism“ lenkten HAKUTEN mit Takumi Takahashi als leitendem Architekten die Aufmerksamkeit der Betrachter auf das Gestern, genauer gesagt auf die Vergangenheit von Sarushima. Auf der kleinen Insel in der Bucht von Tokio waren bis zum zweiten Weltkrieg Geschütztürme im Einsatz. Obwohl Teile der damaligen Bauten noch heute bestehen, scheinen diese von der Bevölkerung ignoriert zu werden. Weder Einheimische noch Besucher wollen wohl an diesen Abschnitt der japanischen Geschichte erinnert werden, was nur allzu verständlich ist.
HAKUTEN luden mit ihrer Installation nun dazu ein, hinzusehen. Und zwar mit dem Mittel der Ästhetik. Dabei wurde nicht glorifiziert. Nicht schöngeredet. Vorhandenes galt es einfach nur zu betrachten. Es ist Teil der Insel. Und wie auch die Insel selbst ist es Teil ihrer Schönheit. Um diese sichtbar zu machen, wurden zahlreiche Prismen auf einer mit Sand gefüllten Holzbühne so angeordnet, dass sie die Konturen der Insel nachbildeten. Dort, wo sich die Geschütztürme befanden, wurde ein Scheinwerfer positioniert. Diesen konnten die Betrachter bewegen und nach Belieben auf bestimmte Prismen richten, wo sich das Licht in Farben spaltete und so wieder andere Prismen traf, bis ein buntes Netz aus verschiedenfärbigen Lichtlinien entstand.
Der Blick in die Vergangenheit forderte dazu auf, diese nicht zu verdrängen, sondern zu respektieren. Gleichzeitig galt der Respekt des Kreativstudios auch der Zukunft, denn der lokale Sand auf dem Podest kann rückstandslos rückgeführt, die Holzkonstruktion rückgebaut und Prismen sowie Leuchten können für spätere Installationen wiederverwendet werden.
Zu einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft wollen wiederum NEON und Frankie Boyle Studio mit „The Living Lantern“ ermutigen. Die überlebensgroße Installation war erstmals während des World Science Festival in Brisbane, Australien zu sehen und tourt nun für einen Zeitraum von fünf Jahren quer über den Globus.
Weltweit steht die Laterne für Helligkeit, Transzendenz und Orientierung. Sie symbolisiert Zusammenhalt, Trost und Hoffnung ebenso wie Herzlichkeit, Erleuchtung und Weisheit. Gerade seit Covid-19 Regierungen, Wirtschaftsmärkte und jeden Einzelnen verunsichert, bedarf es, so Frankie Boyle und Mark Nixon von NEON, eines gemeinsamen Lichtblicks. Die an öffentlichen Plätzen installierte Living Lantern soll solch einen Lichtblick ermöglichen.
Trotz des festen Standortes kommuniziert sie Flexibilität und Veränderlichkeit. Denn das Licht der Laterne wird von einer Konstruktion aus beweglichen Holzteilen gerahmt, die sich im Wind bewegen. Die dünnen Sperrholzelemente sind mit einer Stahlmutter und einem Bolzen so gewichtet, dass sie nur bei Windstille horizontal stehen, jedoch schon bei einer leichten Brise nach oben oder unten auspendeln. So bietet sich dem Betrachter ein sich stets veränderndes Bild, eine atmende Membran, die ihn einlädt zu Meditation, Kontemplation, Tagtraum und Transzendenz.
Kaum etwas erscheint so transzendent wie der Duft einer Lotusblume im Nebel eines Teichs am frühen Morgen. Der Nebel aus zartem Licht und feinen Wasserpartikeln hat etwas Fragiles, Flüchtiges und steht in Japan auch für eine geradezu heilige Atmosphäre. Der Schönheit dieses vagen Augenblicks ist die Installation „Fragance with Lotus Flowers“ gewidmet. Designer Kazunobu Nakamura schuf mit einer Vielzahl filigraner Linien eine schwebende Konstruktion als Kulisse für eine Tanz-Performance von Egiku Japanese-Dance Products in Tokio, Shibuya City. Die mehr als tausend dünnen Lichtlinien bestehen aus nur 4 mm dünnen Holzstäben, vertikal und zueinander parallel, jedoch in unterschiedlicher Höhe in feinen Metallgittern fixiert, die wiederum in verschiedenen Höhen von der Decke hängen.
Dabei wurde – wie auch in der japanischen Gartenkunst – vor allem den so entstehenden Zwischenräumen höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Sie sind die Räume, in denen Transparenz und Tiefe entsteht. Gleichzeitig wird dem Schatten zumindest ebenso viel Gewicht verliehen wie dem Licht selbst. Denn die Tänzer unterhalb der Installation tauchen in ein beständiges Wechselspiel von Licht und Schatten. Ihre Konturen verschwimmen – wie in einem Nebel am frühen Morgen an einem Teich voller Lotusblüten.
Text: Heidrun Schwinger