Die großen Fragen der Zeit – Angelika Fitz
Interview mit Frau Angelika Fitz von Az W
Frau Direktor Fitz, Sie haben ja als Direktorin des Architekturzentrums Wien einen ganz anderen Blick auf Architektur als die meisten Architekten. Wie sehen Sie die heutige Architektur aus der Perspektive der Vermittlung?
Für mich ist in der Beschäftigung und Vermittlung von und mit Architektur beides wichtig, ein Fachpublikum und ein breites Publikum anzusprechen. Für beide wollen wir zeigen, was Architektur kann. Ich sehe Architektur als gesellschaftliche Praxis und da ist die Frage, was Architektur zu den großen gesellschaftlichen Fragen beiträgt.
Und was kann sie beitragen?
Es sind drei Bereiche, die mich interessieren und um die unser Programm kreist:
• Die Frage des sozialen Auseinanderdriftens und ob es eine gebaute Verteilungsgerechtigkeit gibt.
• Der Klimawandel und der Umgang mit unseren Ressourcen. Da geht es nicht nur um Wärmedämmung, sondern auch um die Stadt der kurzen Wege und auch soziale und kulturelle Ressourcen.
• Die steigende Diversität unserer Gesellschaften, vor allem, aber nicht nur in der Stadt. An diesem Faktum kann man sich auch erfreuen, statt darin ein Problem zu sehen. Auch da können Architektur und Stadtentwicklung dazu beitragen, dass dieses diversere Zusammenleben gelingen kann.
Angelika Fitz leitet seit Jänner 2017 das Architekturzentrum Wien. In ihrer Leidenschaft für Architektur fokussiert sie sich darauf, was Architektur kann und auf die großen Fragen der Zeit.
Ich möchte gleich bei Ihrem dritten Punkt einhaken – was kann oder soll Architektur zur Migration und Integration beitragen?
Die Architektur kann das natürlich nicht alleine bewältigen, aber sie kann Fragen stellen und mitarbeiten. Eine elementare Frage manifestiert sich im „Ankommen in Wien“, etwas, das wir alle momentan ganz stark erleben. Das betrifft nicht nur Geflüchtete, sondern auch Menschen aus den Bundesländern. Das Ankommen in Wien ist im Moment viel schwieriger als noch vor 20 oder 30 Jahren. Damals war der Wohnungsmarkt ein anderer, es gab zum Beispiel noch Substandardwohnungen. Nicht dass ich das romantisieren will, aber nach dem Erfolg der sanften Stadterneuerung stellt sich die Frage, wo das leistbare Segment des Wohnungsmarktes heute ist. Kann man das im sozialen Wohnbau, bei diesen Bodenpreisen, überhaupt noch bauen? Muss die Lösung wirklich darin liegen, dass die Wohnungen immer kleiner werden? Natürlich kann die Architektur nicht die Bodenfrage lösen, aber sie kann sie mitstellen.
Was kann nun Architektur tun, um das Ankommen zu erleichtern?
Die Leistbarkeit ist sicher ein wichtiger Faktor dabei. Städtebaulich geht es darüber hinaus um Teilhabe und die Aneigenbarkeit von öffentlichen Räumen. Als Beispiel möchte ich ein Projekt des Az W nennen: Wir sind in das Stadtentwicklungsgebiet am Nordbahnhof gegangen und haben dort mit internationalen Architekturbüros und mit lokalen Stakeholdern unseren öffentlichen Arbeitsraum „Care + Repair“ eröffnet. Die Bildungsbürger haben das Gebiet gleich als neue Location entdeckt. Wir wollten dort aber auch mit anderen Nachbarn arbeiten, zum Beispiel mit einer Gruppe von MigrantInnen. Das wichtigste war für sie, dass sie endlich einen Ort haben, wo sie wieder einmal selbst GastgeberInnen sein können, nicht immer nur „Betreute“.
Da kommt ein sehr stark menschlicher Faktor zum Vorschein?
Wofür ist die Architektur denn da? Doch nicht nur für die Autos, sondern auch für die Menschen!
Ausstellung Form folgt Paragraph, Az W 2017
Worin sehen Sie den Sinn von Architektur?
Beim diesjährigen Mies-van-der-Rohe-Preis sind zum ersten Mal in seiner 30-jährigen Geschichte zwei Wohnbauten als Siegerprojekte gekürt worden. Das empfinde ich schon als ein Zeichen, es gibt wieder eine Generation, die sich die Frage stellt: „Um was geht es eigentlich beim „guten“ Leben?“ Sie erleben die Wirtschafts- und Finanzkrise als moralische Krise und das spürt man langsam auch in der jüngeren Generation von ArchitektInnen. Da verändert sich etwas!
Und Sie glauben, dass diese neue Generation eine Auswirkung auf die Architektur haben wird, und zwar im Gegensatz zur neoliberalen Kapitalisierung von Raum und Ansprüchen?
Man soll ja nicht naiv sein, aber wir können mit dem Az W Themen setzen. Mit Assemble haben wir eine junge britische Gruppe gefeatured, die sagt: Ästhetisches, Räumliches, Soziales, Ökologisches, Ökonomisches – das alles geht uns etwas an! Das ist ein Gestus, den ich schon lange nicht mehr erlebt habe. Gleichzeitig haben wir mit einer Ausstellung wie „Form folgt Paragraph“ gezeigt, welche Grenzen der Architektur laufend gesetzt werden und was das mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu tun hat. Für den Dialog zwischen Fachleuten und breitem Publikum ist es sehr wichtig, einen Blick hinter die Kulissen des Architekturmachens zu ermöglichen. Das kann die Baukultur insgesamt voranbringen.
Glauben Sie, dass das Bottom-upPrinzip hier noch wirken kann?
Alleine nicht! Wir werden nächstes Jahr unser internationales Projekt „Critical Care – Architektur und Urbanismus für einen Planeten in der Krise“ vorstellen. Da zeigen wir Case Studies aus der ganzen Welt, die sich mit der Verbindung von alternativen Ökologien und Ökonomien in der Architektur befassen. Da geht es nicht um top-down oder bottom-up, sondern um Projekte, die neue Schnittstellen zwischen Initiativen, Stadtverwaltungen, Projekt- und Materialentwicklern schaffen. Erst dann kann es systemisch werden.
Care + Repair – Öffentlicher Arbeitsraum des Az W im Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof
Welche Vision haben Sie von Architektur?
Sie soll gerechter sein, sie soll vielfältig sein, dabei poetisch und großzügig und intelligent mit Ressourcen umgehen. Ich komme immer wieder zu den anfangs erwähnten gesellschaftlichen Herausforderungen zurück. Es geht dabei nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Mich interessiert Architektur, die eine gewisse Offenporigkeit zum Andocken hat, auch im Sinne von Weiterbauen. Die ästhetische Qualität von Architektur ist dabei genauso wichtig wie die soziale.
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen