Das rechtskräftige, nicht vollstreckbare Urteil

18. September 2013 Mehr

Die Justiz ist insbesondere bei technisch komplexen Sachverhalten des Bauwesens regelmäßig überfordert und auf die korrekte Zuarbeit von mehr oder weniger geeigneten Sachverständigen angewiesen. Irrt der Sachverständige, kann daraus ein irreparables Fehlurteil resultieren, das faktisch nicht umsetzbar und damit nicht vollstreckbar ist. So geschehen ist es aufgrund einer gegen einen Dachdeckerbetrieb wegen vermeintlicher Mängel geführten Klage auf Verbesserung einer Blechdacheindeckung. Der Dachdecker hatte wiederholt gegen die Klage eingewendet, er habe das Dach mangels passender Unterkonstruktion nie mängelfrei ausführen können und den Kläger im Vorhinein auch ausdrücklich darauf hingewiesen.

Der im Prozess beigezogene Sachverständige hat die Unterkonstruktion dennoch als geeignet bewertet mit der Folge, dass der Klage auf Verbesserung letztlich rechtskräftig stattgegeben wurde. Im Zuge der Verbesserungsarbeiten hat sich dann bestätigt, dass die Unterkonstruktion tatsächlich nicht passend ist und die Verbesserungsarbeiten faktisch nicht durchführbar sind.

Eine prekäre Situation, die zwangsläufig zu einem Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den unterlegenen Dachdecker führt, wenn sich die Streitparteien nicht auf eine akkordierte Vorgehensweise (z. B. Sanierung der Unterkonstruktion auf Kosten des Klägers, danach Neuausführung der Blechdacheindeckung) einigen.

Doch kann ein solches Zwangsvollstreckungsverfahren überhaupt Erfolg haben? – Immerhin ist die Verbesserung der Dacheindeckung (und damit die Erfüllung des Urteils) ausgehend von der vorhandenen, unpassenden Unterkonstruktion ja faktisch unmöglich, solange die für die Erfüllbarkeit des Urteils erforderlichen Voraussetzungen (Sanierung der Unterkonstruktion) nicht hergestellt sind.

Grundsätzlich könnte die Tatsache, dass eine ordnungsgemäße Verbesserung der Dacheindeckung faktisch nicht möglich ist, sowohl nach österreichischem als auch nach deutschem Recht die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen, was nur binnen enger Fristen zulässig ist. Diese Fristgebundenheit der Wiederaufnahme wird in der Praxis häufig übersehen, weshalb man als Rechtsanwalt regelmäßig mit Wiederaufnahmefällen konfrontiert wird, wenn es schon zu spät ist.

Die Nichterfüllbarkeit eines Urteils ist vom Zwangsvollstreckungsgericht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen. Vielmehr könnte das Gericht die beantragte Zwangsvollstreckung selbst bei Nichterfüllbarkeit des Urteils zunächst auf Kosten des Dachdeckers bewilligen. Für den Fall, dass die Zwangsvollstreckung trotz Nichterfüllbarkeit des Urteils eingeleitet wird, kann der Dachdecker jedoch mit Impugnationsklage (österreichisches Recht) bzw. Klauselgegenklage (deutsches Recht) vorgehen.

Diese Klagen würden darauf abzielen, dass die im Einzelfall bewilligte Zwangsvollstreckung mangels Fälligkeit der Verbesserung der Dacheindeckung – eben weil die Voraussetzungen für die Verbesserung nicht hergestellt sind – für unzulässig erklärt wird, ohne jedoch die Aufhebung des Urteils zu bewirken. Sind die Voraussetzungen für die Verbesserung der Dacheindeckung hergestellt, könnte dann ein neuerliches Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet werden.

Auch eine Oppositionsklage (österreichisches Recht) bzw. Vollstreckungsabwehrklage (deutsches Recht) wäre diesfalls denkbar, die jeweils darauf ausgerichtet wären, die objektive Unmöglichkeit der Verbesserung der Dacheindeckung gemäß Urteil feststellen zu lassen. Allerdings wäre die Unmöglichkeit der Verbesserung der Dacheindeckung diesfalls nicht immerwährend, sondern nur solange gegeben, als die für die Erfüllbarkeit des Urteils erforderlichen Voraussetzungen nicht hergestellt sind. Ein einer solchen Klage stattgebendes Urteil würde die Durchsetzbarkeit des Verbesserungsanspruches daher nur hemmen und nicht ausschließen. Es würde dem Urteil nur vorübergehend die Vollstreckbarkeit entziehen.

Allerdings ist im Zusammenhang mit der Oppositionsklage zu beachten, dass nach den sowohl in Österreich als auch in Deutschland geltenden Präklusionsvorschriften nur solche Einwendungen gegen die Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen sind, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in dem früheren Verfahren entstanden sind. Diese Beschränkung soll die Rechtskraft unanfechtbar gewordener Urteile sichern, selbst wenn diese faktisch nicht erfüllbar sind. Eine Oppositions- oder Vollstreckungsabwehrklage setzt also eine nachträgliche vom Dachdecker nicht zu vertretende Unmöglichkeit der Leistung voraus. Es reicht nicht, dass die Leistung zwar bereits unmöglich war, aber der Dachdecker davon nichts wusste und man ihm dies auch nicht vorwerfen kann. Entscheidend ist ausschließlich, ob die Unmöglichkeit tatsächlich erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingetreten ist oder nicht.

Im Übrigen besteht weder in Österreich noch in Deutschland eine prozessuale Möglichkeit, gegen ein rechtskräftiges Urteil vorzugehen. In einem solchen Fall kann nur dringend empfohlen werden, eine einvernehmliche, sachgerechte und außergerichtliche Lösung mit dem Gläubiger zu finden. Der Gläubiger wird im Regelfall selbst ein erhebliches Interesse an einer solchen Lösung haben, wenn er das Urteil nicht (im Wege der Zwangsvollstreckung) umsetzen kann.

Text: Mag. Matthias Nödl, Rechtsanwalt in Wien, Gregor Barbers, Rechtsanwalt in Düsseldorf

Kategorie: Bau & Recht, Kolumnen