Schadenersatzansprüche beim Arbeitsunfall auf der Baustelle

24. Februar 2011 Mehr

Kann ein auf der Baustelle verunfallter Arbeitnehmer einer Elektrofirma direkte Ansprüche gegen den Baumeister daraus ableiten, dass dieser den Bauherrn nicht auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Baustellenkoordinators hingewiesen hat?

DER SACHVERHALT (vereinfacht)

Zur Errichtung eines Biomasseheizwerkes hatte eine Gemeinde eine Baumfirma sowie verschiedene Professionisten beauftragt. Weil eine Leiter wegen ungenügender Sicherung wegrutschte, stürzte ein Mitarbeiter der Elektroinstallationsfirma fünf Meter ab und verletzte sich schwer.
Der Elektriker klagte die Baufirma auf € 26.000,- Schadenersatz und der Feststellung, dass sie für alle zukünftigen Schäden aus dem Unfall hafte.

Er argumentierte, dass die Leiter vom Baumeister auf die Baustelle gebracht und nach Abschluss der Baumeisterarbeiten auf Ersuchen des Architekten dort belassen worden war. Die Gemeinde habe das Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) verletzt, indem sie weder einen Baustellenkoordinator bestellt habe noch einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGe-Plan) erstellen ließ. Für den Baumeister sei dies erkennbar gewesen, und er hätte daher die Verpflichtung gehabt, die Gemeinde als Bauherrin und die anderen auf der Baustelle tätigen Unternehmen davon zu informieren.
Der Baumeister beantragte, die Klage abzuweisen: Er habe zum Unfallzeitpunkt seine Baumeisterarbeiten bereits abgeschlossen, und die fehlende Bestellung eines Baustellenkoordinators sei nicht kausal für den Unfall gewesen. Die Gemeinde sei in den Ausschreibungsunterlagen vom Architekten auf die erforderlichen Schritte lt. BauKG hingewiesen worden – eine Warn- und Hinweispflicht habe daher für den Baumeister nicht bestanden. Nach Abschluss seiner Arbeiten sei er nicht verpflichtet gewesen, die ordnungsgemäße Befestigung der Leiter zu überwachen.
Das Erstgericht wies die Klage ab – die Baufirma sei nicht dafür verantwortlich, die Leiter nach Beendigung ihrer Tätigkeit weiter auf ihre Sicherheit zu überprüfen.
Das Berufungsgericht hingegen war der Meinung, dass es zu den „Koordinierungspflichten der Arbeitgeber auf der Baustelle“ gehöre, auf die notwendige Bestellung eines Baustellenkoordinators hinzuweisen und erkannte daher die Forderung des Elektrikers als dem Grunde nach zu Recht bestehend an.

AUS DER BEGRÜNDUNG DES OGH

Der OGH hält fest, dass eine Rechtspflicht der Baufirma, nach Abschluss ihrer Arbeiten auf der Baustelle weiter die Sicherheit der Leiter zu überprüfen und für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu sorgen, dem Baukoordinationsgesetz nicht zu entnehmen ist und die Sorgfaltserfordernisse überspannen würde. Die Baufirma hat also keine Rechtsvorschriften verletzt, die als (direkte) Ursache für den Unfall gewertet werden können.
Der Elektriker vertrat jedoch den Standpunkt, dass der Baumeister verpflichtet gewesen wäre, auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Baustellenkoordinators hinzuweisen. Damit habe ihn auch nach Beendigung seiner Arbeiten die Rechtspflicht getroffen, weiter für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu sorgen. Dazu stellt der OGH klar, dass nach ständiger Rechtsprechung die Kausalität einer Unterlassung für einen Schaden dann nicht gegeben ist, wenn derselbe Schaden auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre. Die Beweislast dafür trifft den Geschädigten – also hätte im konkreten Fall der Elektriker nachweisen müssen, dass bei Bestellung eines Baustellenkoordinators der Unfall nicht passiert wäre.
Nach dem OGH richtet sich das BauKG in erster Linie an den Bauherrn, also an denjenigen, der das wirtschaftliche Risiko aus der Errichtung des Bauwerks trägt und an der Spitze der Haftungspyramide steht. Dabei trifft gemäß § 3 Abs. 1 BauKG den Bauherrn die Verpflichtung, für die Ausführungsphase einen Baustellenkoordinator zu bestellen, wenn auf der Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend ArbeitnehmerInnen mehrerer Unternehmen tätig werden.
Bestellt nun der Bauherr – wie hier die Gemeinde – keinen Baustellenkoordinator, trägt er selbst die Verantwortung für die vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben; danach haftet die Gemeinde nach dem Pflichtenkatalog des BauKG (als einem Schutzgesetz) zugunsten der ArbeitnehmerInnen der auf der Baustelle tätigen Unternehmen.
Da die dem Baustellenkoordinator auferlegten Pflichten weit über die Fürsorgepflichten nach dem ABGB hinausgehen, erfolgt eine gewaltige Ausweitung der Bauherrnpflichten. Für den Bauherrn ist es daher ganz wesentlich zu wissen, wann er Koordinatoren bestellen muss. Selbst wenn der Baumeister seine Pflicht verletzt, die Gemeinde darauf hinzuweisen, so hat dies jedoch nichts mit den Direktansprüchen des Elektrikers gegen die Baufirma zu tun. Durch den unterlassenen Hinweis ist der Elektriker gar nicht betroffen, da sich für ihn nur die Person des Haftpflichtigen ändert (eben der Bauherr selbst, wenn er keinen Baustellenkoordinator bestellt hat), nicht aber der Haftungsumfang.
Daher kann der Elektriker keine Direktansprüche gegen die Baufirma aus einer Schutzgesetzverletzung ableiten.

PRAKTISCHE FOLGEN

Der konkrete Fall zeigt ausführlich, dass ein verunfallter Arbeitnehmer eines Professionisten gegen die Baufirma keine Direktansprüche ableiten kann, wenn diese den Bauherrn und andere auf der Baustelle tätige Unternehmen nicht auf den fehlenden Baustellenkoordinator hinweist. Der Elektriker kann nur dann erfolgreich Schadenersatz von der Baufirma verlangen, wenn sie eine direkte Norm, die zu seinem Schutz besteht, verletzt hat. Wurde kein Baustellenkoordinator bestellt, ist es daher ratsam, sich ohne Umwege an die Spitze der Haftungspyramide zu wenden und vom Bauherrn Schadenersatz zu fordern.
Der Planer, der die Erfordernisse nach dem BauKG in die von ihm erstellte Ausschreibung aufgenommen hat, hat diesbezüglich jedenfalls richtig gehandelt. Ob er den Bauherrn auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Baustellenkoordinators und die Erstellung eines SiGe–Plans hingewiesen hat, geht aus dem konkreten Fall nicht hervor – dies ist PlanerInnen aber nachdrücklich anzuraten, da der Bauherr sonst versuchen kann, sich bei ihnen schadlos zu halten.
OGH 7 Ob 17/09i vom 03.03.2010

Dipl.-Ing. Dr.techn. Dr.iur. Nikolaus Thaller
Sachverständiger für Bauwirtschaft

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Kategorie: Bau & Recht