Was ist humane Architektur? – Wien Museum

1. August 2017 Mehr

Wenn es um die Wahrnehmung von öffentlichem Raum geht, haben Pläne und Karten sowohl in der Raumplanung als auch in der Architektur einen hohen Stellenwert. Kartografische Darstellungen werden zumeist dazu gebraucht, um eine Stadt gezielt zu erkunden. Allerdings können solche Pläne auch Wissen repräsentieren, welches erst im Zuge der Kartierung entsteht. Stadtpläne sind somit Instrument und Dokument zugleich und dienen etlichen Wissenschaften als Forschungsmedium. Dieser Thematik widmet sich die Ausstellung „Wien von oben. Die Stadt auf einen Blick“, die interessierten Besuchern von 23. März bis 17. September 2017 im Wien Museum eine Vielzahl an Exponaten präsentiert.

Architektur umgibt den Menschen jeden Tag – deshalb sind Fragestellungen, die den bebauten Raum betreffen, nicht nur für Experten, sondern auch für Laien von großer Bedeutung. Einen wichtigen Stellenwert nehmen in der heutigen Planungskultur daher vor allem die Transdisziplinarität und Partizipationsprozesse ein. Denn bei hoch komplexen Aufgabenstellungen müssen Experten aus unterschiedlichen Sparten dazu in der Lage sein, zusammenzuarbeiten und gleichzeitig den Dialog zu den Einwohnern aufrecht zu erhalten. Nur so können sensible Projekte, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, realisiert werden. Diesem Thema widmete das Architekturzentrum Wien am 07. Juni 2017 eine Talkshow mit dem Titel „Was ist humane Architektur?“. Dabei wurde in einer Gesprächsrunde mit Gästen aus unterschiedlichen Sparten diskutiert, was eine sogenannte „menschliche“ Planung auszeichnet und wie sich menschenwürdiges Wohnen definieren und realisieren lässt. Eine essenzielle Rolle spielte im Zuge dieser Veranstaltung der Stadtraum. In Anbetracht dessen, wie Bauwerke die Raumstruktur beeinflussen, gingen die Experten Eva Blimlinger, Werner Neuwirth, Sabine Pollak und Tex Rubinowitz der Frage nach, ob die Siedlungsstrukturen der heutigen Zeit unwirtlich sind.

Deutlich wurde im Rahmen der Gesprächsrunde, dass die Qualität und Wahrnehmung der Architektur durchaus wandelbar sind und vom jeweiligen Lebensstandard der betreffenden Gesellschaft abhängen. Auch die Menschlichkeit an sich ist kein statischer Begriff und somit einer stetigen Wandlung unterworfen.

©Thomas Ledl

 

„Architektur geht uns alle an“
Mit diesen Worten eröffnete Architekturjournalist Maik Novotny die Diskussion im Architekturzentrum Wien. Der Mensch muss sich mit dem gebauten Raum – wenn oft auch unbewusst – schließlich jeden Tag auseinandersetzen. Dabei beeinflusst die Architektur nicht nur dessen Wege, sondern oft auch sein Verhalten. In Anbetracht dieser Faktoren erörterten die anwesenden Experten in der Talkshow unter anderem, ob Kritik an bestimmten Bauformen berechtigt ist. Eine Art von Gebäude, das in der heutigen Zeit negativ behaftet ist, stellt das Hochhaus dar – dies gilt insbesondere dann, wenn dieses die Funktion als Bürogebäude innehat. Planer sehen sich in diesem Fall häufig mit dem Vorwurf der Bodenspekulation und der Gewinnmaximierung konfrontiert. Oft wird jedoch übersehen, dass Hochhäuser vor allem in Großstädten mit hoher Bevölkerungsdichte das Problem des Wohnungsmangels lösen können.

In der Architektur gilt heutzutage auch der Trend zu Einfamilienhaussiedlungen als bedenklich. Vor allem in der Schweiz hat sich gezeigt, dass diese Wohnform im hohen Anteil zur Zersiedelung beiträgt. Während also Hochhäuser vor allem in Österreich einen schlechten Ruf haben, wird dem hohen Flächenverbrauch in Städten noch immer zu wenig Beachtung geschenkt. Ein Beispiel, mit dem sich eine kritische Entwicklung dieses Trends abzeichnet, stellt das „Typenhaus Penta“ der Firma Haus+Herd in der Schweiz dar. Dieser Bau mit seinen Holzelementen wurde bereits von mehr als 2.000 Bauherren kopiert und stellt heute einen fixen Bestandteil zahlreicher Stadtrand-Siedlungen dar. Neben dem hohen Flächenverbrauch ist dieser Trend vor allem in Betracht auf das Orts- und Landschaftsbild zu kritisieren. Denn die derzeit beliebteste Wohnform der Schweizer und Österreicher verstärkt nicht nur Zersiedelungstendenzen in Städten, sondern trägt auch zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen in der Peripherie sowie zur Verödung von Stadtkernen bei.

Fehlt der Planung eine gemeinsame Sprache?
Ein häufiges Problem in Architektur und Planung ist das Scheitern der Kommunikation zwischen den Experten und der Öffentlichkeit sowie auch den Fachleuten unter sich. Schuld daran ist häufig das Fehlen einer sogenannten „gemeinsamen Sprache“. Diese ist vor allem dann wichtig, um die Motivation der Planenden zu verstehen und in weiterer Folge das betreffende Projekt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Eine Maßnahme, welche die Architektur weg von ihrem künstlerischen Auftrag in Richtung Menschlichkeit bewegt, ist die Bürgerbeteiligung. Diese wird bei der Verwirklichung großer Projekte heute noch immer zu selten in Anspruch genommen, was die Akzeptanz baulicher Maßnahmen unweigerlich schmälert. Auch hier nimmt die Kommunikation zwischen Experten und Laien einen hohen Stellenwert ein. Im Rahmen partizipativer Maßnahmen soll der Bevölkerung eine Stimme gegeben werden, sodass diese ihre Meinung zu einer Planungsidee abgeben und damit auf deren Endergebnis Einfluss nehmen können. Dabei ist es besonders wichtig, dass jede Person die Möglichkeit hat, zu Wort zu kommen.

Braucht Architektur Kritik?
Natürlich stellt sich im Zuge dessen gleichermaßen die Frage, welche Rolle und Gewichtung die Kritik in der Planung haben soll. Heute steht die Architektur vor der Herausforderung, zahlreichen Ansprüchen gerecht werden zu müssen. Neben der Funktion von baulichen Strukturen stellt auch die Wahl der Materialien einen häufigen Streitpunkt dar. Vor allem massive Gebäude aus Beton werden heutzutage oft kritisch betrachtet. Im Gegensatz hierzu steht der Baustoff Holz, der sowohl unter Privatpersonen als auch in der Architekturszene einen neuen Boom erlebt.

Bevor Kritik an einem bestimmten Bauwerk oder Material geäußert wird, empfiehlt es sich laut Architekt Werner Neuwirth „genau hinzusehen“ und das Projekt ganzheitlich zu betrachten. So sind nämlich nicht nur die äußerliche Erscheinungsform, sondern gleichermaßen die Funktionalität und damit der soziale Nutzen eines Gebäudes in Augenschein zu nehmen. Ein Beispiel hierfür sind Gemeindebau- und Großwohnsiedlungen wie der Wohnpark Alterlaa im 23. Wiener Gemeindebezirk, der aufgrund seiner massiven Hochhauskomplexe lange im Zentrum der Kritik stand. Trotzdem erhielt der Wohnkomplex in puncto Lebensqualität von seinen Bewohnern durchweg positive Bewertungen. Ein weiterer Wohnbau, der in Wien negativ behaftet ist, stellt das Hundertwasserhaus im 3. Wiener Gemeindebezirk dar. Dabei genießt der bunte, ungewöhnlich gestaltete Gemeindebau international hohes Ansehen und gilt unter vielen Architekten als vorbildlich.

Für Architekten, die ihre Bauwerke in erster Linie als Kunst im Raum ansehen, spielt Humanität eine untergeordnete Rolle. Sollen Gebäude jedoch für Menschen errichtet werden, müssen sich Planer im Rahmen partizipativer Prozesse den Anregungen und Kritikpunkten der Bevölkerung stellen. Immerhin haben Wohnprojekte nicht nur Einfluss auf den Lebensstandard der Menschen im Bauwerk selbst, sondern die Bauten nehmen stets auch Einfluss auf den Raum, der sie umgibt. Architekt Neuwirth bezeichnet die Architektur auch als Raumverteilung – somit gestaltet ein Gebäude auch den Raum, den es umgibt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es weder eine „gute“ noch eine „böse Architektur“ gibt und die Ästhetik von Gebäuden stets im Auge des Betrachters liegt. Allerdings ist es vom ethischen Standpunkt aus notwendig, dass sich Planer beim Entwurf des gebauten Raumes an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Nur so ist es möglich, dass Siedlungen mit humanen, zukunftsweisenden Eigenschaften entstehen.

©Baycrest

 

Text: ©Dolores Stuttner

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Kategorie: Architekturszene