Das Winterthur-Gebäude am Karlsplatz
Als Reaktion auf den Ausbau des Wien Museums will die Zürich Versicherung ihr Bürogebäude (auch als Winterthur-Haus bekannt) auf dem Karlsplatz sanieren und um zehn Meter aufstocken lassen – ein Vorhaben, das in den vergangenen Monaten sowohl bei Experten als auch in der Bevölkerung große Emotionen weckte und harsche Kritik einstecken musste. Von Interesse ist jener Bau aber nicht in erster Linie wegen seiner Architektur, sondern insbesondere aufgrund seiner Lage. Immerhin befindet sich dieser direkt neben einem der bedeutendsten historischen Bauwerke Wiens – der Karlskirche. Als Grund für den Unmut wird sowohl seitens der Bevölkerung als auch von Experten die Sorge, dass die Karlskirche ihre städtebauliche Wirkung als Landmark verlieren könnte, genannt.
©Henke Schreieck Architekten
Im Rahmen eines eingeschränkten Architekturwettbewerbs wurden sieben Büros aus Österreich dazu aufgefordert, Vorschläge zur Neugestaltung des über 40 Jahre alten Gebäudes einzureichen. Voraussetzung war dabei, dass die Bedeutung der Karlskirche beim Entwurf der Konzepte entsprechend berücksichtigt wird. Als Sieger des Wettbewerbes ging schließlich das Architekturbüro Henke Schreieck Architekten ZT hervor. Vorgesehen ist nunmehr eine Aufstockung des Bürogebäudes um zwei weitere Etagen sowie ein zurückgesetztes Staffelgeschoss – die Bauarbeiten hierzu sollen recht bald – im Winter 2017/ Frühling 2018 – starten. Die geplanten Veränderungen brachten dem Bürogebäude einen Ruf als potenzielle Bausünde und Bedrohung für die Karls-kirche ein. Dieser Meinung sind insbesondere die Mitglieder der Initiative „Rettet die Karlskirche“, welcher neben mittlerweile 5.800 Mitgliedern auch Persönlichkeiten wie Künstler Erwin Wurm, Architekt Friedmund Hueber und Kulturmanager Gerald Matt angehören. Die Mitglieder der Vereinigung sehen durch den Ausbau des Zürich-Gebäudes vor allem die Singularität und somit auch die Identität des Sakralbaus in Gefahr.
Die Karlskirche als wichtige Landmark für Wien
Um die Auswirkungen des geplanten Umbaus am Winterthur-Gebäude auf die Karls-kirche hinreichend bewerten zu können, ist im Vorfeld die Frage zu klären, ob und wie ein Bauwerk dieser Dimension als Merkzeichen (Landmark) für das Ortsbild von Bedeutung ist. Als sogenannte Landmarks werden Bau- oder Kunstwerke im öffentlichen Raum verstanden, die einerseits zur Orientierung des Fußgängers dienen und andererseits für den betreffenden Bezirks-teil prägend sind. Zusätzlich können diese für eine Stadt identitätsbildend sein und so zur Unverwechselbarkeit derselben beitragen – einige Bauwerke wie das Guggenheimmuseum in Bilbao oder der Eiffelturm in Paris sind als Landmarks deshalb auch weltweit bekannt. Das Schlüsselelement eines jeden Merkpunktes im Stadtraum stellt dabei dessen Singularität dar. Hierbei handelt es sich um Eigenschaften wie die unverwechselbare Gestaltung oder die Lage, welche dem Objekt seine Einzigartigkeit verleihen. Eine Landmark dient des Weiteren der optischen Gliederung des Stadtraumes. Da diese zumeist auch von großen Entfernungen aus sichtbar und eindeutig identifizierbar sind, sind diese für den Betrachter in dicht verbauten Gebieten richtungsweisend. Insbesondere Reisende sowie ortsunkundige Personen bedienen sich daher häufig einer einzigartigen baulichen Struktur als grobe Orientierungshilfe. Auch der barocke Sakralbau am Karlsplatz hat als Landmark für die Identität der Hauptstadt Österreichs eine wichtige Bedeutung. Von den meisten anderen Kirchen der Stadt Wien hebt sich die Karlskirche dabei neben ihrer architektonischen Gestaltung vor allem auch durch ihre städtebauliche Positionierung ab. Der 1739 fertiggestellte Bau ist nämlich nicht direkt ins Ortsbild integriert, sondern stellt ein Solitär auf einer großen urbanen Freifläche dar. Mit diesem Grundriss stemmt sich die Karlskirche gegen eine Eingliederung in die umliegenden baulichen Strukturen. Entfalten kann ein Gebäude dieser Art seine gestalterische Wirkung demnach nur dann, wenn auf allen Seiten ausreichend Abstand zu benachbarten baulichen Strukturen besteht. Viele Planer und Architekten befürchten, dass der Solitär durch die Aufstockung des Winter-thur-Gebäudes zusätzlich “bedrängt“ werden und dadurch seinen Charakter als frei stehendes Bauwerk verlieren könnte. Der Abstand zwischen Karlskirche und dem Bürogebäude würde nach der Fertigstellung des Zubaus lediglich drei Meter betragen.
Eine Chance für den Karlsplatz?
Das heutige Bürohaus der Zürich-Versicherung wurde vom Architekt Georg Lippert entworfen und im Jahr 1971 auf dem Karlsplatz, im 4. Wiener Gemeindebezirk errichtet. Ergänzend zum Wien Museum von Oswald Haerdtl soll das Gebäude in den kommenden Jahren umfassend saniert und erhöht werden. Laut der Homepage der Zürich Versicherung wird dem Karlsplatz mit diesem Unterfangen eine „frische Optik“ verliehen. Gemäß Christoph Luchsinger, dem Professor für Städtebau an der TU Wien, stellt das Projekt eine „sinnvolle Ergänzung zum Wien Museum“ sowie eine Aufwertung für den urbanen Platz vor der Karlskirche dar. Mit dem Ausbau des Gebäudes wäre der Karlsplatz aus der Sicht des Experten ein geschlossener Stadtraum und somit auch optisch vollendet. Laut Architekt und Stadtplaner Erich Raith wäre diesbezüglich auch eine Verkehrsberuhigung der Straßen hinter dem Wien Museum und der Karlskirche anzustreben, wobei deren Oberflächengestaltungen durch Aufpflasterungen der des Karlsplatzes angepasst werden sollten. Somit würden Kirche und Museum auf einer großzügigen und durchgängigen Fläche stehen, wodurch der Raumfluss besser erkennbar wäre.
© Schaub-Walzer
Ein Respektabstand wahrt die städtebauliche Wirkung der Karlskirche
Nur drei Meter trennen den eher schlichten Winterthur-Glasbau heute von der Karlskirche – viel zu wenig, um einem Solitär wie der Karlskirche angemessen Geltung zu verleihen. Mit der Aufstockung des Winterthur-Hauses legen einige Fachkräfte der Stadt Wien daher die Verschmälerung des Bürobaus nahe. Architekt Florian Ketter sieht mit dem geplanten Umbau des heutigen Zürich-Bürobaus die Möglichkeit, einen städtebaulichen Fehler aus den 1970er-Jahren – gemeint ist hiermit unter anderem der zu geringe Abstand zum barocken Sakralbau – zu korrigieren. „Ein architektonisch bedeutendes Bauwerk wie die Karlskirche verlangt von seinen Nachbargebäuden einen Respektabstand. Das ist insofern von Bedeutung, als dass diese inhaltlich und städtebaulich als Solitär konzipiert wurde. Der Grundriss des Baus stemmt sich gegen eine Eingliederung in den gründerzeitlichen Raster, der Wien in weiten Bereichen prägt. Eine angemessene stadträumliche Behandlung wurde in den 1970er-Jahren versäumt – mit dem heutigen Wissensstand sollte diese neu gedacht werden.“
Auch Architekt und Denkmalpfleger Friedrich Hueber könnte sich eine Aufstockung des Winterthur Baus dann vorstellen, wenn dieser um drei Fensterachsen von der Karls-kirche abgerückt wird. Auf diese Weise würde die gleiche Breite, wie sie bereits auf der anderen Seite des Sakralbaus besteht, geschaffen. Als Vorbild für diese Maßnahme beruft sich Hueber auf die Formensprache der Ringstraße. Diese ist nicht nur von auffälligen Prunkbauten, sondern gleichermaßen von weitläufigen Freiflächen und zum Teil großen Abständen zwischen den wichtigen Gebäuden geprägt. Mit ihrer markanten städtebaulichen Gestaltung und den zahlreichen Merkzeichen stellt die Ringstraße einen der markantesten Angelpunkte der Wiener Altstadt dar. Knüpft die Stadt Wien beim Ausbau des Winter-thur-Gebäudes an eben diese Formensprache an, besteht die Möglichkeit, die derzeit vorherrschende Struktur am Karlsplatz städtebaulich aufzuwerten und eine aus architektonischer Sicht intelligente Lösung zu finden – unerlässlich hierfür ist allenfalls ein ausreichender Abstand zwischen dem Zürich-Bürohaus und der Karlskirche.
Text: Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene, News