Architektur von Menschen für Menschen

9. März 2023 Mehr

Michael Anhammer, geschäftsführender Gesellschafter und Partner des Wiener Architekturbüros Franz&Sue, spricht im Interview darüber, wie wichtig es ist, die Bauherr:innen auf die gemeinsame Reise mitzunehmen, welche Vorteile und Herausforderungen ein internationales Team mit sich bringt und welches Potenzial der Bildungsbau in Österreich noch zu bieten hat. Franz&Sue stehen für eine Architektur für die Nutzer:innen, die Veränderung aushalten kann und Adaptionsfähigkeit zeigen muss.

 

 

Bevor „Franz“ und „Sue“ 2017 in fester Liaison zusammenfanden, kannten sich die fünf Gründer ­Christian Ambos, Michael Anhammer, Robert Diem, Harald Höller und Erwin Stättner bereits aus dem Architekturstudium an der TU Wien. Die Quintessenz ihrer legendären Fight-Club-Diskussionen gipfelte in der Erkenntnis, dass die beiden bis dato eigenständigen Unternehmen nicht nur deren architektonische Her­angehensweise verbindet, sondern auch ihr Engagement für Baukultur. Seit 2018 arbeitet das internationale Team gemeinsam mit anderen Kreativen im selbst entwickelten, finanzierten, geplanten und errichteten „Stadtelefanten“ – einem Bürogebäude gleich neben dem Wiener Hauptbahnhof. Die Architektur von Franz&Sue ist dabei klar, radikal und nachhaltig. Im Blickpunkt liegt die Relevanz abseits der Mode – gebaut wird für den Menschen, nicht für Prestige oder Trends.

 

Stadtelefant: Das Bürogebäude und Kreativcluster im Wiener Sonnwendviertel ist ein Pionierprojekt und Arbeits-, Denk- und Vernetzungsort inmitten der Stadt. © Franz&Sue/Andreas Buchberger
Stadtelefant: Das Bürogebäude und Kreativcluster im Wiener Sonnwendviertel ist ein Pionierprojekt und Arbeits-, Denk- und Vernetzungsort inmitten der Stadt. © Franz&Sue/Andreas Buchberger

 

Was sind für Sie essenzielle Fragen, die Sie jeder Bauherrin und jedem Bauherren stellen, bevor Sie eine Kooperation starten – und warum?

Bevor wir eine Kooperation eingehen, eröffnen wir den Dialog mit den Auftraggeber:innen, freuen uns über deren starke Meinungen und ein gedankliches Ping-Pong-Spiel – denn Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Wir haben gelernt, dass ein genaues Zuhören wichtig ist und sind davon überzeugt, dass Architektur nur dann wirklich gut werden kann, wenn etwas Gemeinsames entsteht. Dieser interaktive Prozess auf Augenhöhe braucht Zeit, ist aber notwendig, denn wir sind nicht nur Dienstleister. Am Anfang bitten wir die Auftraggeber:innen, uns in eigenen Worten das Projekt zu erzählen und uns zu verraten, was ihnen wichtig ist. Dabei erfahren wir die wesentlichen Aspekte, die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer – abseits des Raumprogramms und gesetzlicher Vorgaben. In schwierigen Phasen kann ich meine Notizen hervorholen, mich auf das Gespräch zurückbesinnen und mich wieder auf das Wesentliche konzentrieren.

 

Stadtelefant © Franz&Sue/Louai Abdul Fattah
Stadtelefant © Franz&Sue/Louai Abdul Fattah

 

Schon lange miteinander bekannt, sind Franz und Sue erst seit 2017 fest liiert – welche Herausforderungen und Chancen lagen/liegen in Ihrem Bürokonzept?

Wenn zwei Unternehmen zusammenwachsen ist das so, wie wenn ein Pärchen zwei Haushalte zusammenlegt. Zwei Identitäten treffen aufeinander, zwei Herangehensweisen. So sehr wir uns auch in den Unternehmenswerten geähnelt haben, so unterschiedlich waren teils doch unsere Arbeitsroutinen und Lösungsstrategien. Wir haben voneinander gelernt und uns auf vielen Ebenen weiterentwickelt. Ein Erfolgsfaktor unseres Bürokonzepts ist bis heute diese Vielfältigkeit. In den vergangenen Jahren haben wir uns mehr als verdoppelt, es sind viele Leute aus unterschiedlichen Berufsfeldern wie Grafik, Controlling oder Projektmanagement hinzugekommen. Knapp 100 Personen aus 18 Nationen arbeiten jetzt bei Franz&Sue. Da prallen auch unterschiedliche Backgrounds und Kulturen aufeinander. Dieses Wachstum schafft Komplexität und bedeutet, Gewohntes hinter sich zu lassen, die Komfortzone zu verlassen. Da geht es gar nicht anders, als uns täglich diesen Herausforderungen zu stellen, neue Herangehensweisen zuzulassen und bewusst nicht nur im eigenen Saft zu schmoren.

Inwieweit hat der von Ihnen konzipierte „Stadtelefant“ als Quartiershaus und Architekturcluster Leuchtturmcharakter und welche konkreten Synergien entstehen im Alltag?

Wir sind sehr stolz darauf, dass sich das Lokal im Erdgeschoss, „Mimi im Stadtelefant“, zu einem Magnet im Sonnwendviertel entwickelt hat. Auf unserem Vorplatz ist den ganzen Tag was los – Vorträge und Veranstaltungen, Konzerte und Kabaretts. Am Abend trifft man sich mit Kolleg­Innen aus anderen Büros, die gerade in der Nachbarschaft zugezogen sind. Diese Öffentlichkeit ist unser Beitrag fürs Quartier und war uns bei der Planung wichtig. Es macht sehr viel Freude, dass auch das Konzept des Architekturclusters so aufgegangen ist. Wir können mal schnell bei Brandschutzplaner:in oder Statiker:in vorbeischauen, uns mit A-NULL über BIM austauschen – eine sehr inspirierende Arbeitsatmosphäre.

 

Volksschule und Neue Mittelschule Leoben: Dank eines intensiven Partizipationsprozesses mit allen Beteiligten wurde aus einem dunklen, nicht mehr zeitgemäßen Schulzentrum ein heller, freundlicher Ort der Begegnung, des gemeinsamen, selbstbestimmten und flexiblen Lehrens und Lernens. © Franz&Sue/Hertha Hurnaus
Volksschule und Neue Mittelschule Leoben: Dank eines intensiven Partizipationsprozesses mit allen Beteiligten wurde aus einem dunklen, nicht mehr zeitgemäßen Schulzentrum ein heller, freundlicher Ort der Begegnung, des gemeinsamen, selbstbestimmten und flexiblen Lehrens und Lernens. © Franz&Sue/Hertha Hurnaus

 

Sie nehmen oft und gerne an Architekturwettbewerben teil – wo sehen Sie hier strukturell noch Optimierungspotenzial und kann sich das jedes Büro leisten?

Für Architekturwettbewerbe ist ein ganz eigenes Know-how gefragt, das kann man innerhalb einer großen Struktur besser weiterentwickeln. Seit der Hochzeit vor fünf Jahren konnten wir ein breit aufgestelltes Team von 15 Personen aufbauen, das ausschließlich an den Wettbewerbsaufgaben tüftelt. Uns diese Struktur zu leisten, ist eine bewusste Entscheidung. Die Wettbewerbsabteilung steht bei uns im Zentrum des Büros und ist keine Randerscheinung. An unserem zweiten Standort im Sonnwendviertel, dem Franz&Sue-Studio, können wir auch in unserer Werkstatt besser an Modellen arbeiten und uns gegenseitig challengen. Das kann man wie einen internen Fight Club verstehen, in dem wir halbfertige Projekte diskutieren und unterschiedliche Ideen in Konkurrenz stehen. Nach so vielen Wettbewerbsteilnahmen hat sich aber auch eine gewisse Routine eingestellt, die gilt es immer wieder bewusst zu durchbrechen. Wir suchen jetzt die Vielfalt, neue Gebäudetypen, bei denen wir noch nicht so routiniert sind, wie Kultur- oder Gesundheitsbauten. Ein Weg, der uns frisch hält. Vor Kurzem haben wir etwa unseren ersten Krankenhausneubau gewonnen, das war eine echte Freude und wird in der Planung eine neue schöne Herausforderung.

Neben Wohnen, Interior und öffentlichen Gebäuden liegt ein Schwerpunkt Ihrer Planungsarbeit auf Bildungsbauten – wie kam es dazu und was macht dieses Feld so spannend und wichtig für Architekt:innen?

In Österreich sind Bildungsbauten ein großes Aufgabenfeld, das auch sehr ernst genommen wird – es gibt ambitionierte Auslobungen mit fairen Auftragsversprechungen und hochkarätigen Jurys, nicht nur von der BIG, sondern auch von kleineren Gemeinden. Das gab uns die Möglichkeit, Haltung zu entwickeln, zu wachsen und zu zeigen, was wir können. Über Bildungsbauten haben wir uns etabliert, sie geben uns jetzt die Möglichkeit, an größeren Bewerbungsverfahren teilzunehmen. Was so spannend an Bildungsbauten ist? Sie sind Orte der wirklichen, realen Begegnung, gebaut für die nächsten Generationen. Diese Orte müssen gut funktionieren und angstfreie Lernlandschaften ermöglichen. Da unseren kleinen gesellschaftspolitischen Beitrag zu leisten, ist uns ein Anliegen.

 

 

Volksschule Angedair in Landeck © Franz&Sue/Lukas Schaller
Volksschule Angedair in Landeck © Franz&Sue/Lukas Schaller

 

Wird Ihrer Meinung nach in Österreich genug für den Raum für Bildung getan oder fühlen Sie sich als Architekten eher alleingelassen?

In den vergangenen Jahren hat sich ein spannender Diskurs entwickelt, Planer:innen haben gute Antworten geliefert, die auch gebaut worden sind. Hier sind wir zum Beispiel weiter als in Deutschland, wenn wir etwa an die Vielfalt an Clusterschulen denken. Wertschätzung ist vorhanden, auch das Budget für den Bau. Was in Österreich immer wieder fehlt, ist das Budget für den laufenden Betrieb. Für pädagogische Konzepte ist kaum Geld vorhanden, auch kein Sachbudget. Wir bauen zukunftsweisende Schulen und dann kann sich das Personal oft nicht mal eine Kaffeemaschine leisten – das System erzeugt gute Schulen, die quasi brachliegen. Hier müsste man österreichweit investieren, ins Personal und ins Sachbudget, in Ganztageskonzepte für Kindergärten und Elementarschulen. Davon hängt gesellschaftlich wahnsinnig viel ab.

Welches räumliche Potenzial schlummert noch in unseren bestehenden Bildungsbauten oder muss es immer der Neubau sein und welchen Einfluss kann die Architektur in Ihren Augen in Bezug auf die Motivation, Lernfähigkeit und Stressresistenz von Jugendlichen und Kindern haben?

Ein großes Thema ist das Bauen im Bestand, das Weiterentwickeln von Kasernen zu Orten des offenen Lernens. Es ist nachhaltiger, bereits gebaute Substanz weiterzuverwenden. Auch stehen die Schulen meist schon am richtigen Ort, wo sie benötigt werden. Oft braucht es gar nicht so viel, um neue Bereiche zu schaffen. Typisch für alte Häuser ist zum Beispiel, dass sie keine gemeinsame Mitte haben – die klassische Gangschule hat keinen Ort, wo sich die Schule als Gemeinschaft wahrnimmt oder finden kann. Beim Bildungszentrum Leoben konnten wir durch eine zentrale Stiege einen hellen Ort der Begegnung generieren. Dazu gilt es, die Hermetik der Klassenräume aufzubrechen, Sichtbeziehungen zu schaffen sowie uneinsichtige Orte und den Rest von schwarzer Pädagogik zu verbannen. Genau dieses Konzept verfolgen wir auch beim ehemaligen Orthopädischen Spital Gersthof, das wir gerade in eine Schule umbauen. Wenn die Architektur die Kinder wertschätzend behandelt, macht das was mit ihnen – das Klima wird entspannter, achtsamer, sie sind stolz auf ihre Schule und fühlen sich gut aufgehoben. Gute Bildungsorte sind hell, offen und geben auch Raum fürs Toben und Laut-Sein.

 

Gemeinsam mit ARGE-Partner Schenker Salvi Weber realisieren Franz&Sue den Neubau der Berliner Stadtreinigung am Südkreuz. © Franz&Sue & Schenker Salvi Weber
Gemeinsam mit ARGE-Partner Schenker Salvi Weber realisieren Franz&Sue den Neubau der Berliner Stadtreinigung am Südkreuz. © Franz&Sue & Schenker Salvi Weber

 

Ein spannendes Projekt, das Sie gerade beschäftigt oder ein „Problem“, das Sie vor Kurzem erfolgreich lösen konnten?

Wir sind gerade an zwei ganz unterschiedlichen Orten mit spannenden Aufgaben beschäftigt. So setzen wir an einem Berliner Verkehrsknotenpunkt, dem Südkreuz, einen Schlussstein eines Stadtteilzentrums. Gemeinsam mit Schenker Salvi Weber entwickeln wir den Neubau der Berliner Stadtreinigung, ein sehr inspirierendes Projekt. Deutschland hat zwar fast dieselbe Sprache, aber im Detail doch ein anderes Planungsprozedere als wir – eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Außerdem sitzen wir gerade an unserem ersten Krankenhausneubau. Viele Fragestellungen sind da ähnlich zu denen, die wir aus dem Schulbau kennen. Wir freuen uns, unsere Expertise auf dem Gebiet der „Healing Architecture“ weiterzuentwickeln. 

www.franzundsue.at

 

 

Interview: Linda Pezzei

 

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen