128 architektur FACHMAGAZIN RETAIL architektur Kann Shopping Sünde sein? Kaufen macht glücklich, oder? Und ist es das Glück vom Haben oder vom Sein? Reicht der reine Konsum oder zählt das Erlebnis? Wir fragten Univ.-Prof. Christoph M. Achammer, CEO ATP architekten ingenieure, was Retailflächen allgemein und Shoppingcenter im Speziellen heute leisten müssen, ob Grün mehr als eine Farbe ist und inwieweit Einkaufszentren tatsächlich Räume für Menschen sein können. Oder ist Shopping an sich schon Sünde? Fotos: ATP, Kurt Kuball Grundsätzlich ist monofunktionaler Handel in der Innenstadt nicht zukunftsfähig. Dort sind multifunktionale Gebäude mit offener Handelsnutzung meines Erachtens die Zukunft. Auch auf der grünen Wiese wird es weiterhin Center geben, die aber mehr „Destination“ als reine Einkaufsmaschine werden müssen. Alleine die Verdoppelung an Restaurantanteilen in den letzten Jahren ist ein deutliches Zeichen dafür. Shoppingcenter sollen vor allem rentabel sein – wie lässt sich dieser Anspruch mit nachhaltiger Architektur vereinen? Wie sollte denn – Ihrer (ATP) Definition nach – Nachhaltigkeit in der Architektur aussehen? Rentabilität und Architekturanspruch widersprechen sich meiner Erfahrung nach nicht. Sie ist Teil der uralten Nachhaltigkeitsdefinition nach Vitruv, die ich noch immer für uneingeschränkt gültig halte: Utilitas, Firmitas und Venustas. Da jedes gute Haus den Kernprozess der zukünftigen Nutzung unterstützen muss, sind die Zielsetzungen eines Einkaufszentrums auch hinsichtlich der Rentabilität klar. Nur wenn man in Dimensionen der Casinoindustrie und Quartalsergebnissen denkt geht das nicht. Grün verkauft sich gut. Sind Gründach, Echtpflanzen und Tageslicht reine Kosmetik, Marketingtools oder doch ein bisschen mehr? Welche Rolle spielen Zertifizierungen wie BREEAM für Bauherren bzw. für die Nutzer von Retailarchitektur? Mit der umfassenden Nachhaltigkeitsdefinition sind Gründach etc. kleine Teile echter Nachhaltigkeit. Jedenfalls ist die Retailarchitektur in vielen Bereichen Vorreiter, da sie ja jene Bautypen darstellt, über deren Akzeptanz jeden Tag aufs Neue durch die Entertainmentexperte Christian Mikunda definierte die sieben Todsünden als sieben Hochgefühle des Konsums. „Joy“ (Freude) entspricht z.B. der Völlerei, „Glory“ (Ehre) dem Hochmut und „Chill“ (Entspannung) der Trägheit. Welche Rolle spielen diese „Sünden“ Ihrer Erfahrung nach bei der Inszenierung von Retailflächen? Retail heißt Freude und Ärger, Entspannung und Stress, Haben und Sein oder eben einfach intensives Leben in der Gemeinschaft. Handel war und ist ursächlicher Austausch nicht nur von Waren und Dienstleistungen, sondern auch von Meinungen und Gefühlen und so sollten Retailflächen weniger inszeniert werden, sondern den attraktiven Rahmen für offenes öffentliches Leben darstellen. Shoppingcenter sind die neuen Begegnungszonen unserer Gesellschaft. Sie sind streng genommen kein öffentlicher Raum, ersetzen aber zunehmend Innenstädte, Marktplätze und Freizeitparks. Inwieweit können sie vollwertiger Lebensraum sein? Shopping-Center sind hinsichtlich Begegnungsqualität jeder einigermaßen intakten europäischen Stadt unterlegen. Sie können ergänzen aber nie ersetzen. Sie waren und sind allerdings Katalysatoren für vernachlässigte Stadträume, denen sich die Bürger und Hauseigentümer plötzlich wieder mehr annehmen. Die wachsende Zahl an BIDs (businness improvement districts) sind Zeugnis dafür. Allerdings könnte da der Gesetzgeber mit entsprechenden Rahmenbedingungen viel mehr Gutes tun. Riesige Komplexe auf der grünen Wiese und Betonburgen in der Innenstadt – wie passt das zur gewachsenen Landschaft & Baukultur? Konsumenten abgestimmt wird. Alle Zertifizierungssysteme haben in erster Linie einen Beitrag dazu geleistet, dass die darin behandelten Kriterien für den Immobilienmarkt sicht- und messbar wurden. Ohne Zertifizierungen wäre diese Qualitätsverbesserung sicher langsamer erfolgt. Noch einmal zum Tageslicht: Auf der Light & Building ging es heuer vor allem um Human centred Lighting. Welche Rolle spielt (künstliches oder natürliches) Tageslicht bei Ihren Retailprojekten? Die besten Einkaufszentren sind die guten Städte, und die haben im Tagambiente Tageslicht in allen Farben und im Nachtambiente attraktives Kunstlicht. Human centered Lighting ist ein wesentlicher Beitrag zur Steigerung der Aufenthaltsqualität jedes Centers, und das ist schon heute der entscheidende Wettbewerbsvorteil, da sich das Waren und Mieterangebot immer mehr angleicht.
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