6 architektur FACHMAGAZIN Start Wie werden wir wohnen? Wohnen begeistert, schafft Sehnsüchte, polarisiert, befriedigt, ängstigt, benötigt Geld, wird teurer, ist mehr als nur ein Dach über dem Kopf ... die Reihe der Aufzählungen ist beliebig fortsetzbar. Schon beim Philosophen Martin Heidegger wird Wohnen als Metapher des räumlichen ‚In-der-Welt-seins‘ bezeichnet (Darmstädter Vorlesung) und die vorliegende Ausgabe von architektur befasst sich auch in kontroversieller Hinsicht mit dem Thema. Es gibt nicht nur die heile Welt des Wohnens, sondern – wie Sie im weiteren Verlauf lesen werden – auch eine Kehrseite der Medaille. Ist jemand, der nicht ‚wohnt‘ nicht mehr in der Welt? Wohnen müssen wir alle, allerdings stellt sich die Frage: wie? Ein interessanter Ansatz zu einer möglichen Beantwortung dieses Problems wurde bereits 2013 in Frankreich auf dem Seminar „Habiter le Grand Paris“ von der Architektin Beatriz Ramo (STAR-Strategien + Architektur, Holland) gemacht. Mit dem Begriff ‚Co-Residence‘ bringt sie den Gedanken des ‚sharing‘ ins Spiel. Diese Haltung findet ja in unserer Gesellschaft immer mehr Verbreitung – Fahrräder, Autos, Verkehrszonen, Büros, Schreibtische werden bereits ‚shared‘. Sogar Bundesminister Andrä Rupprechter propagiert öffentlich das Potenzial von Foodsharing und Co-working findet bereits in der gesamten Arbeitswelt statt. Warum also nicht auch Wohnungen teilen? Eine ‚Co-Residence‘ ist ein Appartement, in dem einige der Grundstrukturen und Räume mit zwei oder mehreren anderen privaten Einheiten geteilt oder/und mitbenutzt werden. Ausgangspunkt für ‚Co-Residence‘ war eine Studie, bei der die Häufigkeit der Benutzung aller in einer Wohnung vorhandenen Räume und Funktionen über einen längeren Zeitraum untersucht wurde. Dabei ergab sich, dass eben bestimmte Zonen, Funktionen nur ein bis zweimal pro Tag benötigt werden. In der Gesamtnutzfläche, die ja ausschlaggebend für den Preis ist, nehmen sie jedoch unbeschadet ihrer Nutzungshäufigkeit einen festen prozentuellen Anteil der Quadratmeter und der Miet-/Anschaffungskosten ein. Die Architektin rechnete bei ihrem Vortrag vor, dass man ca. 35% der Grundfläche durch gemeinsames Nutzen sparen könnte. Das bedeutet 35% weniger Investitionskosten, 35% weniger Energieverbrauch oder 35% mehr Wohnungen zum gleichen In welcher Welt? Preis. Selbst wenn sich das nicht 1:1 umsetzen lässt, ist der Gedanke eine Überlegung wert. Es würde bedeuten, dass man beim Wohnen den Besitzgedanken neu definieren und überdenken müsste. Ramo deutet einen gesellschaftlichen, begrifflichen Wandel, weg vom Eigentümer, hin zum Nutzer und Mitglied an. Was jetzt vielleicht nach politischer Revolution klingt – ist es nicht. Defacto haben wir derartige Wohnformen schon längst. Cohousing-Projekte stehen in ganz Österreich und Deutschland, Gemeinschaftsräume gibt es in fast jedem sozialen Wohnbau in Wien, Wohngemeinschaften sind bei der Jugend sehr beliebt, usw. Das Prinzip der ‚Co-Residence‘ stellt eine mögliche Lösung für die zweifache Spaltung beim Wohnproblem dar. Wie kann man Wohnungen mit Qualität in großer Zahl schaffen, die auch leistbar für die Nutzer sind, sozialen Zusammenhang fördern und gleichzeitig – angesichts unserer ökologischen Krise – Umweltschutz betreiben? Es stellt auch eine Alternative zu den momentan von der Stadtplanung und Politik (vor allem in Wien) propagierten ‚smarten‘ Wohnungen dar. Bei diesen Wohnungsmodellen wird versucht, Wohnbauten leistbarer zu machen, indem man einfach den Wohnraum verkleinert. Aber solange der Mensch nicht physisch kleiner wird, kann das doch wohl keine dauerhafte Lösung sein. Für die Architektin Beatriz Ramo stellt das ständige Minimieren eine Sackgasse dar. Die hier erwähnte Möglichkeit der Co-Residence‘ betrifft jedoch nur Menschen, die sich überhaupt einen ‚Wohnraum‘ (groß oder klein) leisten können. Doch was ist mit jenen ausgegrenzten, durch das Netz unserer Gesellschaft gefallenen Personen, diedas Wohnen sozusagen bereits verlernt haben? Diejenigen, bei deren Anblick uns das schlechte Gewissen befällt und wir schnell weitergehen? Weil sie in Plastiksäcken und Kartons gehüllt, unter Brücken oder (wie in Wien) in Parks ‚wohnen‘? Grafik: Co-Residence “Habiter en Grand” Konzept: STAR strategies + architecture Collaborator: BOARD / MONU magazine
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