architektur FACHMAGAZIN 70 Wie wohnen wir? Da die Ruine und das neue Gebäude zusammen ein Palimpsest (Vorgang des Neu- oder Wiederbeschreibens eines Manuskriptes) darstellen, also mehrere Zeit- und Bearbeitungsschichten bereits übereinanderliegen und nun noch eine weiter dazu kommen sollte, wollte die Bauherrin stark kontrastierende Materialien, um so die diversen Schichten sichtbar zu machen. Und zwar sollten nicht nur die Materialien, sondern auch die Geometrien der Architektur den Gegensatz deutlich zeigen. Die erste Schicht ist somit die noch existierende Steinmauer. Diese wurde von einem geschickten, lokalen Steinmetz in einen stabilen Zustand gebracht. Im Inneren dieser Mauer, welche die äußeren Grenzen des Hauses bestimmt, ist ein mit einer schwarzen EPDM Gummihaut (Ethylen-Propylen-Dien Kautschuk) und einem Satteldach versehener „Umschlag“, eine Hausform. Diese Folie ist mittels Kontaktkleber vollflächig auf der Grundkonstruktion aus OSB-Platten verklebt. Hier offenbart sich nicht nur der Materialkontrast, sondern auch die Gegensätze zwischen linearer, geometrischer Form und den verfallenen, fast natürlich wirkenden Mauerresten. Im Inneren dieses sattschwarzen Körpers befindet sich ein weißes, gekurvtes, organisches Wandsystem ähnlich einer Höhlenröhre. Diese „Inneneinrichtung“ besteht aus einer Holzstruktur mit Polystyrenblöcken, überzogen mit glasfaserverstärktem Plastik. Stärker können die Gegensätze eigentlich nicht sein. Diese drei Schichten, Ruine, Umschlag und Röhre, waren als miteinander verbunden gedacht. Im Inneren der Röhre befinden sich die mehr öffentlichen Funktionen wie Küche, Arbeitsraum, Wohn- und Essbereich. In einigen Zonen entkoppelt sich die Röhre vom Umschlag um private Zonen wie Schlafzimmer, Bad und Lagerräume zu definieren. Hier werden die Räume eher rechteckig und nehmen „gewöhnliche“ Formen an. Das Bad ist über dem Schlafzimmer an der nordöstlichen Giebelseite des lang gestreckten Baus und im ersten Stock gelegen. Eine kleine Innentreppe erschließt es für den Nutzer. Die Öffnungen der Architektur, die Fenster zu der herrlichen Landschaft, werden durch die Reste der Mauern und die Aussichtspunkte bestimmt. Bei den Fenstern und Türen erweitert sich die Röhre gegen das Licht hin und lässt so eine problemlose Integration der Tür- und Fensterelemente zu. Die Zonen, in denen die Röhre wieder von der Außenwand zurückweicht, werden für Regale, Möbel und (verborgene) Stauräume benutzt. Manche der Einrichtungen reagieren auch auf die Form der Röhre, wie zum Beispiel ein Sofa und Wandregale. Diese scheinen – als Holzstrukturen – aus der Wand herauszuwachsen oder (je nach Perspektive) in ihr zu verschmelzen. u
architektur_317_eMag
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