8 architektur FACHMAGAZIN Start Vor allem eines seiner Projekte wurde zum Inbegriff einer neuen Denkhaltung in der zeitgenössischen Architektur: 2003 sollte er Häuser für hundert Menschen im nordchilenischen Iquique entwerfen – es gab allerdings nur 7500 Dollar Fördergelder pro Familie. Er entschied sich dafür, nur halbe Häuser zu bauen, die Infrastruktur und alles, was man schwer selbst machen kann, zu errichten und zwischen den Häusern Raum freizulassen. Diesen können die Bewohner wahlweise als Terrassen nutzen oder, wenn etwas Geld da war, zumauern und vermieten. So verschaffte er den Einwohnern ein zusätzliches Einkommen. Das Projekt war auch ästhetisch ansprechend und wurde mehrmals in Chile und Mexiko kopiert. Es beweist, dass man auch mit wenig Budget und einfachsten materiellen Ressourcen nicht nur publikations-, sondern auch lebenswerte Architektur schaffen kann. Aber nicht nur im großen Maßstab in der Architektur ist er unterwegs. Für die Firma Vitra entwarf er 2010 das Alltagsutensil „Chairless“. Abgeschaut ist das Prinzip von den Ayoreo Indianern, einem nomadisch lebenden, Stamm zwischen Paraguay und Bolivien, die sich aus dem Bast der Bäume so ein Stück selbst bastelten. Der leichte, strapazierfähige Gurt, den man sich um Rücken und Knie schnallt, ist ein ergonomisch fast gleichwertiger Ersatz für Sessel, um auch am Boden sitzend bequem Mahlzeiten zu sich nehmen zu können. Aravena ist jedoch eine zwiespältige Persänlichkeit. Es gibt in seinem Oevre auch imageträchtige Beispiele, die sich der Nähe zum Brutalismus nicht verweigern. Dazu gehört sicherlich das UC Innovation Center der Angelini Gruppe in Santiago in Chile (architektur 08/14). Könnte man die menschliche Figur nicht als Maßstab heranziehen, entzöge sich dieses architektonische Objekt jedem proportionalen Vergleich. Es ist zeitlos, beeindruckend, energieeffizient, hat einen spröden Charme – der vom verwendeten Material Beton herrührt – und ist © Cristobal Palma ausgesprochen lehrreich in seiner nonkonformen, funktionalen Konzeption. Interessant ist auch, dass Alejandro Aravena der Direktor der heurigen Architekturbiennale in Venedig ist. Nachdem Chipperfield eine Themenverfehlung und Koolhaas eine Systemanalyse geliefert hatten, steht mit dem Motto „Reporting from the Front“ ein weites Feld für den „Architekten beider Welten“ offen. © Nicole Bachmann © Ludovic Dusuzean ©Tadeuz Jalocha
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